Mit zwei Rollen hat sich der 1982 in London geborene Eddie Redmayne in die Top-Liga Hollywoods gespielt. In der aufwändigen Miniserie „Die Säulen der Erde“ nach Ken Follett verkörperte er den Steinmetz Jack, und in der Musicalverfilmung „Les Misérables“ überzeugte er an der Seite von Hugh Jackman auch als Sänger. Nach vielen bemerkenswerten Arthouse-Filmen wie „Wilde Unschuld“, „Das gelbe Segel“ oder „My Week with Marilyn“ kann er sich nun mit seiner Darstellung des an ALS erkrankten Physikers Stephen Hawking in „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ Hoffnung auf einen Oscar machen. Der Film startet hierzulande an Weihnachten in den Kinos.
engels: Mr. Redmayne, war diese Rolle die schwierigste, die Sie bislang gespielt haben?
Eddie Redmayne: Ich habe vor einiger Zeit in Ungarn den Fernsehzweiteiler „Birdsong“ gedreht, als mich Regisseur Tom Hooper, mit dem ich befreundet bin, am Set besuchen kam. Weil es einen engen Drehplan gab und es sich um ein großes Weltkriegsdrama handelte, habe ich Tom auf dem Weg zum Mittagessen gesagt, das sei das schwierigste Projekt, an dem ich je beteiligt war. Darauf meinte er: „Aber fühlt es sich nicht jedes Mal so an, als sei es das schwierigste Projekt?“ Und genau so ist es. Und da ich seit „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ noch keinen neuen Film gedreht habe, fühlt er sich im Moment tatsächlich noch wie der bislang schwerste an (lacht).
Stimmt es, dass Sie alles daran gesetzt haben, die Rolle zu bekommen?
an muss die Beteiligten immer überzeugen, dass man eine Rolle spielen kann, wenn sie außerhalb dessen liegt, was man bislang gemacht hat. In diesem Fall wurde mir das Drehbuch von meinem Agenten zugeschickt. Im ersten Moment erwartete ich ein Stephen-Hawking-Biopic und erkannte schnell, dass es sich dabei um eine komplexe und leidenschaftliche Liebesgeschichte handelte. Das übertraf alle meine Erwartungen. Dann hörte ich, dass James Marsh die Regie übernehmen sollte, der Regisseur von „Man on Wire – Der Drahtseilakt“, einem meiner absoluten Lieblingsfilme. Diese Kombination war für mich sehr berauschend. Aber dann gibt es noch die Hürde des persönlichen Kennenlernens. Ich glaube, die Rolle war auch anderen Schauspielern angeboten worden. Deswegen rief ich in Kopenhagen an, wo James Marsh lebt, und überzeugte ihn, Filme mit mir anzuschauen, die er noch nicht gesehen hatte. Und schließlich trafen wir uns zu einem Gespräch in einem Pub in London. Es war gegen 14 Uhr und als mich der Regisseur fragte, was ich trinken wolle, sagte ich zögerlich: „Ein Bier?!“ Darauf erwiderte James: „Okay, Eddie, Du bekommst ein Bier, ich nehme einen Kaffee.“ Das war mir schon etwas unangenehm. Er trank dann ungefähr sechs Kaffees und wurde ziemlich hibbelig, und ich trank sechs Pints und wurde ziemlich betrunken. Aber wir lagen trotzdem auf einer Wellenlänge, wir beide hatten ein gewisses Maß Angst und Respekt voreinander.
Was hat Sie so an Stephen Hawking fasziniert?
Das war am Anfang noch gar nicht der Fall. Ich hatte ihn als Student an der Universität erlebt, denn ich hatte ihn in Cambridge gesehen und seine Stimme gehört, wusste, wie er sich bewegt, aber verstand nichts davon. Erst als ich das Drehbuch gelesen hatte, wurde ich mir im Klaren darüber, was er erreicht hatte. Und ich erkannte auch, was für ein ungewöhnliches Leben er mit Jane gelebt hatte. Es war also nicht so, dass ich schon im Vorfeld sehr viel über ihn gewusst hätte und ihn unbedingt einmal spielen wollte. Das war überhaupt nicht der Fall, aber ich mochte das Drehbuch gleich auf Anhieb. Ich fragte mich, ob ich die Rolle wohl spielen könnte und machte mich daran, sie an Land zu ziehen. Dabei habe ich mich wie bei einem Vorstellungsgespräch benommen, bei dem man sich sehr selbstsicher gibt und den Eindruck erweckt, dass man wüsste, was man tut, um den Job zu bekommen. Und wenn man ihn dann tatsächlich hat, weiß man nicht, wie man diese Aufgabe meistern soll (lacht).
Sie haben Stephen Hawking getroffen. Über was haben Sie sich mit ihm unterhalten?
Er fragte mich, ob ich ihn auch zu einer Zeit spielen würde, in der er seinen Sprachcomputer noch nicht hatte. Als ich das bejahte, sagte er: „Meine Stimme war sehr undeutlich.“ Es gibt eine Dokumentarszene von einer Vorlesung Stephens aus den 80er Jahren, in der seine Stimme nahezu unverständlich ist. Aber wenn man einer seiner Studenten sein wollte, dann verbrachte man zwei Wochen mit ihm, um ihn verstehen zu können. Ansonsten verstanden ihn nur seine Familienmitglieder, und die übersetzten, was er gesagt hatte. Für alle Szenen, in denen Stephen noch jünger war, hatte ich mir für seine Sprache etwas zurechtgelegt, das ich bei meinen Besuchen in ALS-Kliniken und meinen Begegnungen mit den Patienten dort abgeleitet hatte. Dieses Video mit seiner eigenen Stimme war das einzig Handfeste, das mir vorlag. Deswegen wollte ich meine Darstellung daran orientieren, was die Produzenten aber beunruhigte. Denn dann hätte man Untertitel gebraucht, damit die Zuschauer Stephen verstanden hätten. Soweit wollten sie nicht gehen. Als ich das Stephen erzählte, fragte er, ob er in diesen Szenen im Film nicht einen Übersetzer zur Seite bekommen könnte. Da dies der einzige Punkt zu sein schien, der ihm wichtig war, sprach ich noch einmal mit den Produzenten, dem Regisseur und dem Drehbuchautor und erläuterte ihnen, dass wir hier doch näher an der Realität bleiben müssten. Und so schrieb der Autor noch eine Szene ins Drehbuch, in der Jane für Stephen übersetzt und keine Untertitel benötigt werden. Ich habe den Grad seiner Unverständlichkeit nie bis ins Extrem ausgeschöpft, aber diese Szenen sind nun wesentlich realistischer geworden.
Wie war es für Sie, einen Mann mit einer tragischen Krankheit zu spielen, der noch am Leben ist?
Wenn man Stephen trifft, ist an ihm überhaupt nichts Tragisches! Er ist das genaue Gegenteil. Er lebt vorwärtsgewandt, er lebt leidenschaftlich, er lebt ein vollwertiges Leben. Und das macht ihn zu solch einer tollen Figur für einen Schauspieler. Sein Charakter ist ganz anders, als man angesichts seiner Krankheit vielleicht erwarten würde, er steckt voll großartigem Humor. Er zeigt ganz wenige Schwächen. Für Stephen könnte seine Krankheit kaum unwichtiger sein. Er ist überhaupt nicht an ihr interessiert. Er ist jemand, der einfach nur leben möchte.
Es war sicherlich schwierig, jemanden zu spielen, der sich kaum bewegen kann – dann stehen einem als Schauspieler viel weniger Mittel zur Verfügung...
Es war sehr sonderbar und vollkommen ungewohnt für mich. Hawking kann kaum einen Muskel bewegen, eigentlich nur ein paar um seine Augen herum. All die Möglichkeiten, die wir mit unseren Gesten, unserer Stimmlage und unseren Ausdrucksmöglichkeiten haben, kanalisieren sich bei ihm in diesen Muskeln, die er benutzen kann. Die größte Anomalie bei Stephen Hawking besteht darin, dass er, obwohl er nur so wenige Muskeln bewegen kann, eines der charismatischsten Gesichter hat, die man sich vorstellen kann. Ich hatte einige Dokumentarfilme mit ihm auf meinem iPad. Dann habe ich immer gewartet, bis ich alleine im Raum war, um mich vor den Spiegel zu setzen und zu üben, wie man diese Muskeln bewegt, die man ansonsten eigentlich nicht bewegt, die er aber zu benutzen gelernt hatte, weil es die einzigen sind, die er noch bewegen kann. Ich war sehr glücklich darüber, dass wir einen Film gedreht haben, denn Film sieht alles. Wenn ich Stephen Hawking auf der Theaterbühne gespielt hätte, wäre das noch viel schwieriger gewesen.
Hatten Sie Angst vor Stephens Reaktionen auf Ihre Darstellung?
Ja, und wie! Ich hab da wirklich ein paar Nächte nicht gut geschlafen (lacht). Ich habe mich blind in die Sache gestürzt und um die Rolle gekämpft, weil mir die Geschichte so gut gefiel. Erst, nachdem ich die Rolle bekommen hatte, wurde ich mir über die Verantwortung und das Gewicht bewusst, die damit verbunden sind. Stephen war bei unseren Begegnungen wirklich sehr liebenswürdig, aber er gehört nicht zu denjenigen, die einen aufmuntern und sagen, „Du kriegst das schon hin und wirst toll sein.“ Er wollte zuerst den Film sehen, bevor er sein Urteil dazu abgeben würde. Aber so etwas gibt einem den Anstoß, noch härter an sich zu arbeiten. Ich habe ihn noch einmal getroffen, unmittelbar bevor er sich den Film angeschaut hat. Ich gestand ihm, dass ich ziemlich nervös sei, dass er mir aber danach unbedingt sagen solle, was er davon halte. Er brauchte fünf Minuten für seine kurze Antwort, weil er seinen Computer ausschließlich mit seinen Augenbewegungen steuert. Und er sagte: „Ich werde Dir sagen, was ich davon halte, sei es gut oder sonst wie.“ Ich erwiderte: „Danke Stephen, sollte es sonst wie sein, dann sag einfach ‚sonst wie’.“ Aber sein Urteil war unglaublich großzügig. Man muss wissen, dass er das Copyright auf seiner Computerstimme besitzt. Als wir den Film drehten, benutzten wir eine synthetische Annäherung an diese Stimme. Aber nachdem er den Film gesehen hatte, erlaubte er uns, seine geschützte Stimme zu benutzen!
Im Film ist Jane Hawking die Gläubige, und Stephen mehr oder weniger ein Atheist. Glauben Sie an Gott oder sind Sie eher auf Hawkings Seite der Quantenphysik?
Ich bin noch dabei, mir darüber eine Meinung zu bilden. Als Kind wurde ich getauft, und während meines Kunstgeschichtsstudiums habe ich eine Menge Kirchen von innen gesehen, aber nur, um mir Gegenstände darin anzuschauen. Ich fand toll am Drehbuch, dass darin zwei verschiedene Blicke auf die Welt thematisiert werden. Ich bin eher denkfaul, und dieses Projekt hat mir den Anstoß gegeben, die Dinge zu hinterfragen. Als Stephen Hawking kürzlich Facebook beigetreten ist, hat er in seinem ersten Posting dort am Ende zwei sehr schöne Worte geschrieben: „Seid neugierig.“ Es ist typisch für ihn, etwas so Großes in solch einfachen Worten auszudrücken. Man kann entweder faul sein oder neugierig.
Was erhofften Sie sich auf der Bühne oder vor der Kamera zu finden, als Sie als Schauspieler anfingen – und haben Sie es gefunden?
Was auch immer man sich zu finden erhofft, man wird es nie finden. Aber das spornt einen an, weil man nach Perfektion strebt und hofft, sie eines Tages zu erreichen. Aber irgendwann erkennt man, dass man diese Perfektion niemals erreichen wird. Deswegen muss man lernen, den Weg dorthin zu genießen. Für mich sind jene Momente am ergiebigsten, in denen meine Filmfigur und ich für wenige Sekunden deckungsgleich sind. Bei diesem Film passierte das für mich in der allerletzten Szene, die wir drehten, in der Felicity Jones und ich zusammen im Bett in der Küche sind. Stephens Bett wurde gerade in die Küche transportiert, und dort sitzt er nun zwischen all den Kissen, als sich Jane auf den Rand des Bettes setzt. Es stand nicht im Drehbuch, aber ich sagte „Danke!“ In diesem Augenblick ging dieser Dank in erster Linie an die Schauspielerin Felicity, weil sie so viel harte Arbeit in diesen Film gesteckt hatte. Ich konnte mich nicht bewegen, konnte dies und das nicht tun – und sie musste die ganze Zeit so schwer anpacken. Als ich danke sagte, war das einer der Momente, in denen sich meine Filmfigur und ich überlappten.
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