In verschiedenen Zusammenhängen findet Pop in erster Linie als Negativerzählung statt: weniger Einnahmen, weniger Mut, weniger Relevanz für die Gegenwart. All diese Vorwürfe haben ihre Berechtigung und lassen sich an unzähligen Beispielen belegen. Nur eine neue Großerzählung lässt sich daraus nicht basteln. Denn vergleicht man das Popjahr 2014 in der Region Rhein/Ruhr mit den vorherigen Jahren, dann merkt man: 2014 war ein gutes Jahr. Das hat auch die Jury des in der Vergangenheit wegen eher unspektakulären Konsensentscheidungen nicht sonderlich auffälligen PopUp-NRW-Preises des Kultursekretariats Wuppertal mitbekommen. Den bekamen dieses Jahr die Oracles verliehen, die Krautrock, Disco und Ambient zu psychedelischen Popsongs kombinieren, die in dieser Form lange nur in den Nischen selbstorganisierter Kunstgalerien und Jugendzentren existierten. Krautrock war 2014 eine Referenz, die nirgendwo fehlen durfte. Auf dem Debütalbum des Kölner House-Produzenten Barnt finden sich die klaren, bemerkenswert unopulenten Synthesizer, die man vom dritten Neu!-Album „Neu! 75“ kennt, und er kombiniert sie mit reduzierten, leicht neben der Spur liegenden Rhythmen.
Überhaupt merkte man, wie sich in den vergangenen zwölf Monaten langsam eine kleine Underground-House-Szene herausbildete, deren Orte sich über die Rheinschiene von Köln (Roxy, K5) über den seit einer gefühlten Ewigkeit umtriebigen Salon des Amateurs in Düsseldorf bis ins Ruhrgebiet erstrecken. Schön ist dabei, wie sich House szeneübergreifend zum Stil des Begehrens herausgebildet hat. Auch in der ziemlich umtriebigen Kölner Hip-Hop-Szene wird zwischen den Digger-Platten aus der Soul- und Funkkiste immer mal wieder ein Housebeat produziert, und das gar nicht mal schlecht, wie man zum Beispiel in den Radiosendungen von „Radio Love Love“ nachhören kann.
Und damit sind wir ja schon bei dem Hip-Hop aus Deutschland und mitten im Dilemma. Denn wo Köln und Düsseldorf oder Anfang der 90er Jahre, als Hip-Hop erstmals in etwas größerem Rahmen hier einen Widerhall fand, ziemlich weit vorne mit dabei waren, sind sie in den letzten 15 Jahren doch ein wenig ins Hintertreffen geraten. Doch auch das hat sich 2014 geändert – schuld sind vor allem die eher schluffigen Typen mit Bücherregal (Veedel Kaztro) oder die belesenen Typen ohne Schluffigkeit (Antilopen Gang). Letztere bekamen es sogar hin, dass sich der Journalismus-Darsteller Ken Jebsen dazu hinreißen ließ, ihnen mit gerichtlichen Schritten zu drohen und waren damit ein angenehmer Kontrast zum Rest des deutschen Skinny-Jeans-Rap, der sich auf dem Juicy Beats in seiner ganzen Frank-Zander-Haftigkeit präsentierte.
Zum Schluss muss man sich allerdings bedanken: Bei all den Veranstaltern, die sich Woche für Woche die Mühe machen, für wenig Dank und noch weniger Lohn tolle Konzerte und Clubnächte zu veranstalten, egal ob diese im Duisburger Djäzz, im Essener Goethebunker oder in einem Off-Space wie dem Gold+Beton am Kölner Ebertplatz stattfinden. Auch die Festivallandschaft wäre ohne das mit viel Leidenschaft veranstalteten Festivals Heimathirsch (Duisburg) und das Weekend-Fest (Köln) doch trostloser. Danke dafür und auf ein (noch) besseres Morgen!
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
All die Frauen und Prince
Zwei Musikbücher widmen sich Sex, Körper und Gender im Rock ‚n‘ Roll – Popkultur 06/20
„Die besten Bands müssen nicht von ihrer Kunst leben“
René Regier, Veranstalter des Solinger Cow Club, über den Kulturauftrag – Interview 01/19
Grenzenlos episch
Live gespielte Game-Soundtracks werden zum Megaevent – Popkultur in NRW 11/18
Immer genau dahin wo's wehtut
Selbstfindungsrandale mit Danger Dan und Juse Ju – Popkultur in NRW 09/18
Sich trauen, außerhalb der Reihe die Zukunft zu bauen
Neue Deutsche Welle revisited in Hagen – Popkultur in NRW 08/18
Odyssee im Ruhrgebiet
Weltoffene Konzerte umsonst und draußen – Popkultur in NRW 07/18
Tiefenentspannt in Duisburg
Traumzeit-Festival mit Mogwai, Slowdive und The Great Faults – Popkultur in NRW 06/18
Das Recht auf Spaß
We Are Scientists und die Fun-Bombe – Popkultur in NRW 05/18
Global denken, lokal tanzen
NRW Kultursekretariate fördern musikalischen Reichtum – Popkultur in NRW 04/18
Das Gegenteil von Coolness
Sängerin Elif taucht uns tief in ihre Liebe ein – Popkultur in NRW 03/18
Lalla:Labor statt La La Land
Tatkräftige Musikförderung an der Ruhr – Popkultur in NRW 01/18
Das Geld liegt auf der Straße
Musikmesse create & connect will dem Nachwuchs zu Erfolg verhelfen – Popkultur in NRW 11/17
Tolerante Szene
An diesem Abend gehen Kölner Jazzbühnen fremd – Improvisierte Musik in NRW 11/24
Nordisches Spitzenprodukt
Rymden am Theater Krefeld – Improvisierte Musik in NRW 10/24
Experimentell und innovativ
3. New Colours Festival in Gelsenkirchen – Improvisierte Musik in NRW 09/24
Immer eine Uraufführung
4. Cologne Jazzweek – Improvisierte Musik in NRW 08/24
Ein Abend für den Duke
Jason Moran und die hr-Bigband in Duisburg – Improvisierte Musik in NRW 07/24
Musikalische Eröffnung der EM
Bundesjazzorchester mit Tom Gaebel in Dortmund und Köln – Improvisierte Musik in NRW 06/24
Verschiedene Welten
Drei Trompeter besuchen das Ruhrgebiet – Improvisierte Musik in NRW 05/24
Besuch von der Insel
„Paul Heller invites Gary Husband“ im Stadtgarten – Improvisierte Musik in NRW 04/24
Pure Lust an der Musik
Das Thomas Quasthoff Quartett im Konzerthaus Dortmund – Improvisierte Musik in NRW 03/24
Kleinstes Orchester der Welt
„Solace“ in der Friedenskirche Ratingen – Improvisierte Musik in NRW 02/24
Mit zwei Krachern ins neue Jahr
Jesse Davis Quartet und European All Stars in Köln – Improvisierte Musik in NRW 01/24
Sturmhaube und Ballonmütze
Gregory Porter in Düsseldorf – Improvisierte Musik in NRW 12/23
Balladen für den Herbst
Caris Hermes Quintett in Düsseldorf – Improvisierte Musik in NRW 11/23