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„The rake’s progress“
Foto: Hans Jörg Michel

Aufstieg und Fall eines Mannes

30. Mai 2012

Strawinskys „The rake‘s progress“ an der Deutschen Oper am Rhein - Opernzeit 06/12

Wünsch dir was! Wer sehnt sich nicht nach der Erfüllung seiner Sehnsüchte? Wünsche sagen viel über den Wünschenden aus: Sie machen deutlich, wo derjenige sein Lebensglück zu finden hofft, sei es in der Liebe, in der Unabhängigkeit, im Wohlstand oder in ideellen Werten. Und manch einer lässt sich von seinen eigenen Wunschvorstellungen korrumpieren und in den Wahnsinn treiben, so wie es Strawinsksy in satirisch grotesker Weise in seiner Oper aufzeigt, die 1951 in Venedig uraufgeführt wurde.

Tom Rakewell ist kein klassischer Opernheld, sondern ein Durchschnittstyp aus der Provinz. Die Welt scheint ihm offen zu stehen, als er den Pakt mit Nick Shadow (nomen est omen) eingeht, der ihm eine glänzende Karriere in Aussicht stellt. Er lässt seine Geliebte Anne Trulove sitzen und bricht nach London auf. Drei Wünsche stehen ihm frei – Geld, Freiheit und Allmacht – die alle drei in Erfüllung gehen, doch Tom wird dadurch nicht glücklich. Seine Geschäfte stürzen ihn in den Ruin, die Gesellschaft lässt ihn fallen, und er sehnt sich nach Anne zurück. Eines Tages will Nick Shadow auch noch für seine Dienste entlohnt werden und verlangt nichts weniger als Toms Seele. Tom pokert mit ihm um sein Seelenheil und gewinnt, Nick schlägt ihn aus Rache mit Wahnsinn. Tom endet im Londoner Irrenhaus, hält sich für Adonis und sieht in Anne, die ihn ein letztes Mal besucht und Abschied nimmt, seine Geliebte Venus.

Strawinsky regte ein Werk der Bildenden Kunst zu seiner Oper an, ein Novum in der Operngeschichte: Als er die gesellschaftskritische Kupferstichserie „A Rake‘s Progress“von William Hogarth aus den frühen Dreißiger Jahren des 18. Jahrhundert sah, wusste er sogleich, ein Thema für eine Oper gefunden zu haben. Hogarth prangert in seinen satirischen Bildern, ganz im Sinne der Aufklärung, London als modernes Sündenbabel an. Tom ist keine mit individuellen Zügen ausgestattete Figur, sondern der Prototyp eines Wüstlings, auf den Hogarth seine allgemeine Zeitkritik projiziert.

W.H. Auden und sein Lebensgefährte Chester Kalman haben aus dem historischen Sujet eine zeitgenössische Opernhandlung entwickelt und durch das literarische Spiel mit Nursery Rhymes, balladeske Formen und antikisierende Verstraditionen eines der brillantesten und geistreichsten Libretti in englischer Sprache geschaffen.

Diesen Rückgriff auf ältere literarische Formen vollzieht Strawinsky in seiner Komposition nach: Die barocke Rachearie im Stile eines Händel findet sich ebenso dort wie die Kavantine im Verdi-Kolorit. Die Orchester- und Sängerbesetzung ist mit der von Mozarts „Cosi fan tutte“ vergleichbar. Die Friedhofsszene, in der Tom um sein Leben pokert, ist ebenso wie das Schlussensemble an Mozarts „Don Giovanni“ angelehnt. Diese musikalische Doppelbödigkeit schafft eine ironische Distanz zu den Figuren und ihren Leidenschaften, die an das epische Theater erinnert. In diesem Sinne löst sich der Epilog von der Handlung, alle Mitwirkenden treten aus ihren Rollen heraus und richten sich mit ihrem augenzwinkernden, moralisierenden Kehraus direkt an das Publikum: „Für faule Hände, Herzen und Köpfe findet der Teufel eine Beschäftigung, ihr lieben Herren, ihr schönen Damen, für euch und für euch!“

„The rake’s progress“ I 8./27./29.6./1.7. I Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf


KERSTIN MARIA PÖHLER

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