Seit er in der „Edelstein-Trilogie“ („Rubinrot“, „Saphirblau“, „Smaragdgrün“) Gideon de Villiers spielte, gehört der 1992 in Krefeld geborene Jannis Niewöhner zu den größten deutschen Nachwuchsstars. Dabei stand er bereits als Zehnjähriger vor den Kameras und zeigte in Filmen wie „Sommer“, „Einer wie Bruno“, „Besser als nix“, „Alles ist Liebe“ und „4 Könige“ seine Wandlungsfähigkeit und Bandbreite. Im vergangenen Jahr wurde Niewöhner auf der Berlinale zum European Shooting Star gekürt. Ab 6. Oktober ist er in der Titelrolle in „Jonathan“ auf der Leinwand zu sehen, dem Langfilmdebüt von Piotr J. Lewandowski.
engels: Herr Niewöhner, was hat Sie zur Zusage an „Jonathan“ bewegt, zumal Regisseur Piotr J. Lewandowski noch nie zuvor einen Langfilm inszeniert hatte?
Jannis Niewöhner: Das war bei diesem Film auf jeden Fall das Drehbuch, was mich zur Zusage bewegt hat. Es war sehr gut geschrieben und enthielt sehr viel, dem ich mich direkt verbunden fühlte. Ich konnte mit der Geschichte und mit allen Rollen mitfühlen, aber vor allem auch mit Jonathan und mit dem, was in dem jungen Mann vorgeht. Seine Wut, seine Trauer, seine Suche nach irgendetwas und das Brodeln in ihm hat mich sehr bewegt. Das wollte ich unbedingt ausprobieren.
Der Film führt in eine archaische Welt fernab der Großstadthektik. Konnten Sie sich gut darin einfinden?
Absolut, denn diese Welt hat eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt. Ich habe zum einen durch meine Großeltern eine starke Verbundenheit zum Landleben. Zum anderen bin ich sehr ländlich, am Rande eines Dorfes sozusagen, aufgewachsen. Als ich dann nach Berlin gezogen bin, habe ich erst bemerkt, wie stark ich das vermisse und wie sehr ich die Ruhe auf dem Land für mich brauche. Bei den Dreharbeiten war das auch sehr spannend, denn auf den Höfen, auf denen wir gefilmt haben, gab es so gut wie keinen Mobilfunkempfang. Man war also wirklich abgekoppelt und konzentrierte sich nur auf die Geschichte, die man erzählte. Ich hänge ansonsten am Set auch nicht die ganze Zeit am Handy, aber ich checke zumindest ab und zu meine Mails oder bekomme einen Anruf. Und das war hier überhaupt nicht der Fall, weswegen man sich voll und ganz auf den Film konzentrieren konnte, was diesem sehr gut getan hat.
Die landwirtschaftliche Arbeit wird als körperliche Herausforderung gezeigt. Waren die Dreharbeiten deswegen anstrengender als sonst?
Auch in diesem Fall würde ich sagen, dass ich das aus meiner Jugend schon kannte (lacht). Im Film ist das doch sehr temporär, wenn man mal für eine Szene etwas macht, deswegen war das nicht so anstrengend. Natürlich war die Hitze real, das war schon eine Herausforderung. Ansatzweise konnte man deswegen schon verstehen, wie sich das anfühlen muss, wenn man unter diesen Bedingungen den ganzen Tag arbeiten muss.
Man sieht Ihnen Ihre körperliche Fitness an. Ist das eher Last oder Lust für Sie, athletisch und sportlich zu bleiben?
Sportlich zu sein war für mich immer mein Anspruch an mich selbst. Es wurde bislang noch nicht ausdrücklich vorausgesetzt, dass ich für eine Filmrolle noch einmal besonders trainiere. Aber mir ist das schon wichtig, weil der Körper und der Gang einer Figur in einem Film sehr viel über diese aussagen. Daran kann man manchmal schon den ganzen Charakter einer Rolle erkennen. Das ist mir wichtig, weil es mir persönlich auch sehr weiterhilft. Wenn ich in die Körperlichkeit einer Rolle, die ich spielen soll, hineinschlüpfe, dann macht das sehr viel mit mir. Beispielsweise Timo aus „4 Könige“: das ist ein ganz drahtiger, der ständig unter Spannung ist – als ich den spielte, war ich auch ständig unter Spannung. Und Jonathan war nun jemand, der einfach viel anpackt, ohne lange darüber nachzudenken. Das hilft mir immer sehr, um mich in eine Rolle hineinzufühlen.
Nacktheit vor der Kamera scheint deswegen auch kein Problem für Sie zu sein. In „Jonathan“ gibt es nun eine sehr deutliche Sexszene mit Julia Koschitz. War das trotzdem eine größere Herausforderung?
Es ist auf jeden Fall eine besondere Situation, weil man ja eine Szene immer möglichst echt gestalten möchte, natürlich auch eine Sexszene. Bei „Jonathan“ war das keine besonders technische Sexszene, in der der Regisseur genaue Anweisungen gegeben hätte, wann ich sie wo auf den Nacken hätte küssen oder über eine Strähne hätte streicheln sollen. Piotr Lewandowski sagte einfach: „Macht mal, ich will Leidenschaft sehen!“ (lacht) Das ist natürlich etwas Besonderes. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass das am Einfachsten und Angenehmsten ist, wenn man eine angenehme Spielpartnerin hat; in diesem Fall mit Julia Koschitz auch eine Schauspielerin, die mehr Erfahrung hatte als ich. Dadurch wurde ich schon lockerer. Nachdem die Fronten geklärt sind, kann man völlig locker und entspannt in solch eine Situation hineingehen. Es war für mich zwar das erste Mal, dass ich solch eine Sexszene spielen musste, aber durch meine Spielpartnerin war das sehr angenehm.
„Jonathan“ ist ein Coming-Out-Film mit umgekehrten Vorzeichen. Hier muss die jüngere Generation die Homosexualität der älteren akzeptieren lernen. Glauben Sie, dass das schwieriger ist als umgekehrt?
Ich glaube, dass ein Coming Out in der Pubertät am schwierigsten ist. Und es ist vermutlich für niemanden schwieriger als für den, der sich outet. Bei demjenigen verändert sich schließlich die ganze Welt und die Sicht auf die Dinge, das braucht mitunter Jahre. Ich selbst habe einen schwulen Freund, der das aber gar nicht so öffentlich macht. Der hat das erst vor Kurzem, als wir beim Abendessen saßen, erzählt, und das wissen auch nur sehr wenige Menschen aus seinem Freundeskreis. Dieses Coming Out war noch etwas völlig Neues für ihn, obwohl er schon seit Jahren weiß, dass er schwul ist. Mit so etwas kann man das späte Outing in „Jonathan“ nicht vergleichen, obwohl es einen natürlich auch durcheinanderbringt, wenn man einen Menschen, den man schon sehr lange kennt, plötzlich als schwul outet. Jonathan ist im Film natürlich sehr verstört darüber, aber auch wegen der Lüge, die ihm jahrelang vorgelebt wurde. Es kränkt ihn vor allem, weil er es als Sohn nicht früher erfahren durfte.
Der Film konfrontiert auch mit der Vergänglichkeit und dem Tod. Haben Sie sich als junger Mensch darüber überhaupt schon Gedanken gemacht?
Ja, natürlich. Den Tod habe ich schon ein paarmal sehr direkt und intensiv miterlebt. Es kommt dabei immer auf das Alter an, wie jung ist jemand, wenn er stirbt? Oft ist der Tod etwas Erlösendes und was Schönes, weil man weiß, dass das Leiden ein Ende hat. Das ist etwas Positives, wenn man mit sich im Reinen ist. Wenn das nicht der Fall ist, hängt natürlich viel mehr Schmerz daran. Ich habe das auch schon bei jungen Menschen miterlebt, da ist dann mehr Unverständnis und Ratlosigkeit dabei, aber der Tod ist für mich immer etwas Unvergleichbares.
Sie sind schon als Schüler in den Schauspielberuf gekommen. Hat es für Sie jemals einen alternativen Berufswunsch gegeben?
Am Anfang, als ich so zehn, elf Jahre alt war, war die Schauspielerei für mich eine Art Abenteuer. Ans Set zu kommen, die ganzen Trailer zu sehen, zu beobachten, wie die technischen Aspekte um die Kamera und das Licht funktionieren, das waren viele neue Dinge an vielen neuen Orten für mich, an die ich reisen durfte. Man traf zudem mit vielen spannenden Menschen zusammen. Die Spiellust hatte ich auch von Anfang an. Was noch dahintersteckt und die Komplexität des Ganzen zu entdecken, kam für mich dann ungefähr mit fünfzehn Jahren, als ich „Sommer“ drehte und dafür mit einem Coach zusammenarbeitete. Damals verstand ich zum ersten Mal ansatzweise, was Schauspielerei eigentlich ist. Dass man damit Welten erschaffen kann, und was man selbst noch dazu beisteuern kann, um das Ganze noch glaubhafter zu machen. Damals lernte ich, professioneller mit Gefühlen zu arbeiten und mit der Kamera spielerisch umzugehen. Danach habe ich Stück für Stück meinen Weg gesucht, aber der Kennenlernprozess hört eigentlich nie auf, denn jedes neue Projekt verlangt eine andere Art von Spiel. „Jonathan“ und der Film, den ich jetzt drehe, „High Society“ von Anika Decker, eine Romantic Comedy, sind zwei völlig verschiedene Dinge. Bei Anika spiele ich viel mehr das Klischee aus, mache alles viel größer, das ist eine völlig andere Art. Ich merke mittlerweile, dass es bei jedem neuen Film etwas Neues zu entdecken gibt und immer wieder eine neue Suche anfängt. Das ist für mich das Schönste dabei, dass alles immer in Bewegung bleibt.
Auch Ihre Mainstreamfilme sind intelligent gemacht und ragen aus der Durchschnittsware hervor. Lehnen Sie viele Angebote ab, weil Sie Ihnen zu albern oder primitiv sind?
Meine Rollenwahl orientiert sich am ehesten danach, worauf ich gerade Lust habe. Wenn ich merke, dass ich dem Projekt etwas zu geben habe, dann ist mir egal, wie primitiv etwas ist. Denn ich finde, jeder Film hat eine Berechtigung. Man kann alles einmal ausprobieren, man weiß ohnehin nie, was am Ende daraus wird. Wenn man eine besondere Motivation hat, eine Geschichte zu erzählen, hängt das bei mir häufig auch mit dem zusammen, was ich unmittelbar davor gemacht habe. Ich wähle immer danach aus, was für mich im Film drinsteckt; wie hoch ist der Grad dessen, was ich für den Film beitragen kann? Ich versuche dabei aber auch, nicht allzu strategisch denken zu müssen. Die Herausforderung für mich besteht darin, allem gegenüber offen zu bleiben und keine Angst zu haben, irgendetwas zu machen, weil es zu mainstreamig oder zu arthousig ist, sondern sich nichts zu verweigern. In Deutschland liegt ein Problem immer darin, sich einer Welle anpassen zu müssen, auf der man gerade schwimmt. Aber ich finde es viel spannender, damit zu brechen, schon allein auch für mich, weil darin für mich die neuen Herausforderungen liegen.
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