Jan Henrik Stahlberg, bekannt geworden durch seine Filme „Muxmäuschenstill“ und „Bye Bye Berlusconi!“, schrieb das Drehbuch zu „Short Cut to Hollywood“. Außerdem ist er der Regisseur und Hauptdarsteller. Sein Co-Regisseur Marcus Mittermeier spielt die zweite Hauptrolle.
engels: Herr Stahlberg, der Film beginnt mit einem Schleuderkurs: Depressiver Sozialrealismus wird von einer Musicaleinlage abgelöst und mündet schließlich in einer Splatterszene. Überwältigung als Strategie?
Jan Henrik Stahlberg: Sie drücken das recht pointiert aus, das muss man Ihnen lassen. Ich sehe es vielleicht nicht ganz so extrem. Aber ja, es ist für diesen Film gut, wenn einem beim Zusehen sozusagen ab und an der Teppich weggezogen wird. Es werden immer dieselben Helden mit ihrem großen Wunsch bleiben, die wir begleiten - und ein Schleuderkurs der Gefühle, den gibt es, unbedingt! Überwältigt hört sich ein bisschen so an, als würde man nicht zum Nachdenken kommen sollen. Das, glaube ich, findet jedoch statt. Überwältigt wird man vielleicht von den Bildern am Ende des Films, die unglaublich sind - auch in ihrer Schönheit.
„Short Cut to Hollywood“ wirkt mit seinem wilden Mix - ein bisschen Mockumentary, ein bisschen Genreclash - wie ein lockerer Schnellschuss. War es das tatsächlich?
Vielleicht nur das dazu: „Short Cut to Hollywood“ hat fünf Jahre gebraucht.
Es gibt diese surrealen Wechsel zwischen den Erzählebenen: Was gerade noch real Erlebtes war, ist im nächsten Augenblick mediale Inszenierung. Sieht so die unentrinnbare Medienhölle aus?
John F. Salinger, unsere Hauptfigur, sucht vielmehr das Glück. Unsterblichkeit. Das glaubt er ohne die Medien nicht zu bekommen. Das kann manchmal wie die Hölle wirken, ja. Aber wie sagt John so schön am Ende des Films: Wir haben uns nichts vorzuwerfen. Beim nächsten Mal würde ich es wieder genauso machen.
Die Story ist konsequent bis zum Ende. Läuft man bei dem Thema „Reality TV“ nicht trotzdem automatisch Gefahr, von der Wirklichkeit schneller eingeholt zu werden, als einem lieb ist?
Eine Satire ist nicht dafür da, ein reelles Grauen stärker abzubilden, als die Realität dies tut. Kann sie nicht. Aber sie hilft uns, darüber zu lachen. Chaplin hat im grossen Diktator Hitler nicht „toppen“ können. Er hat ihn lächerlich gemacht. Es gibt nichts Subversiveres als Humor.
Zusammen mit Marcus Mittermeier agieren sie als Regisseur, sie beide sind außerdem Hauptdarsteller im Film. Wie funktioniert dieses doppelte Doppel?
Fünf Jahre Arbeit, wie gesagt, sind eine sehr lange Zeit. Ohne Marcus hätte ich nicht die Kraft gehabt, diesen Film zu machen. „Short Cut to Hollywood“ ist ein schräger, ein emotionaler, verstörender und trotz allem sehr lustiger Film - er wird geliebt und gehasst werden. Das spürten Marcus und ich schon früh, denn dieser Film ist einer der wenigen deutschen Kinofilme, die ohne Unterstützung eines Senders entstanden. Die Momente der Niederlagen, wenn man Angst hat, das Geld nicht zusammenzubekommen, sind zu zweit viel leichter zu ertragen. Die Momente des Glücks jedoch, wenn man in Amerika am Straßenrand sitzt und im Sonnenuntergang ein Budweiser trinkt oder während der Berlinale gemeinsam den Zuschauerreaktionen lauscht - diese Momente wiegen hingegen doppelt. Ich glaube, „Short Cut to Hollywood“ war für uns beide, aber auch für das ganze Team ein Film, bei dem man schon beim Drehen merkt: Den macht man nur einmal.
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