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Bernd Böhlich, der Regisseur von „Und der Zukunft zugewandt“, am Set.
Foto: Presse

„Das Thema war in der DDR absolut tabu“

28. August 2019

Bernd Böhlich über „Und der Zukunft zugewandt“ – Gespräch zum Film 09/19

Der 1957 in Löbau geborene Regisseur Bernd Böhlich erzielte schon mit seinem Abschlussfilm an der Potsdamer Filmhochschule, „Fronturlaub“, internationale Erfolge. Nach der Wende begeisterte der Regisseur die Kinozuschauer mit Filmen wie „Du bist nicht allein“, „Der Mond und andere Liebhaber“ und „Bis zum Horizont, dann links!“. Nach etlichen „Krause“-Fernsehfilmen mit Horst Krause hat Böhlich nun mit „Und der Zukunft zugewandt“ wieder einen Kinofilm inszeniert, der am 5. September anläuft.

engels: Herr Böhlich, die Geschichte von „Und der Zukunft zugewandt“ basiert auf Zeitzeugengesprächen. Wann sind Sie zum ersten Mal mit dem Thema in Kontakt gekommen?

Bernd Böhlich: Das war bereits Ende der 1980er Jahre, als ich ein junger Nachwuchsregisseur in der DDR war. 1988 habe ich dort einen „Polizeiruf 110“ mit Swetlana Schönfeld gedreht und damals erzählte sie mir, dass sie in Kolyma geboren wurde. Das war damals schon ein Schlag in die Magengrube für mich. Ich war zwar kein naiver, gläubiger DDR-Bürger oder Parteigänger und habe dem Land doch schon so einiges zugetraut, aber das, was ich dann hörte, hat mich sprachlos gemacht. Swetlana ist 1951 geboren und ihre Mutter war zu 25 Jahre Lagerhaft verurteilt gewesen. Das stürzte damals alles auf mich ein und in der DDR waren dazu keinerlei Literatur oder andere Quellen verfügbar. Das Thema war absolut tabu. Als ich mich dann nach dem Mauerfall weiter damit beschäftigte, wurde mir schnell klar, warum das so tabuisiert gewesen war. Alexander Solschenizyns Buch „Archipel Gulag“ war in der DDR nicht zugänglich – aus gutem Grund. Nach dem Mauerfall erkannte ich, dass es doch etliches an Literatur darüber gab. Dann habe ich mich in Berlin mit einigen hochbetagten Frauen getroffen – die Überlebenden der Gulags waren zumeist Frauen – die sich bis zum Ende der DDR auch an ihr Schweigegelübde gehalten hatten.

Antonia hält an einem Staat fest, der sie zu einer Lebenslüge zwingt. Warum glauben Sie, dass ein Leben im Westen für diese Frau keine Option war?

Das ist ein ganz schwieriges Thema und es wird sicherlich auch Zuschauer geben, die das nicht nachvollziehen können. Auch für mich bleibt da etwas Rätselhaftes zurück. Tatsache ist, dass viele Frauen sich so entschieden haben und wir versuchen das im Film auch zu thematisieren. Der Arzt Zeidler bietet Antonia an, mit ihm nach Hamburg zu kommen, was sie mit der Begründung ablehnt, dass dann alles für sie sinnlos gewesen wäre. Das ist eine mögliche Erklärung, weil einige der Frauen dann der Meinung gewesen wären, sie hätten damit ihre gesamte Vergangenheit weggeworfen. Die kleinen, positiven Dinge, die sie in der DDR erfahren haben, haben diese Frauen als eine Art Lohn für ihre schwere Zeit begriffen. Sie waren fest davon überzeugt, dass der Weg zu einer besseren Gesellschaft ein sehr steiniger ist. Sie dachten, dass das auch mit furchtbaren Irrtümern einhergehen kann, wenn einen die alten Genossen beispielsweise einsperren, quälen, drangsalieren und dass sie zu denjenigen gehören, die diese Leiden erdulden müssen. Das hat sehr viel mit Glauben zu tun und ist aus unserer heutigen Perspektive nur sehr schwer nachzuvollziehen. Ich tue mich auch sehr schwer, das zu bewerten.

Stefan Kurts Figur sagt im Film einmal „Die Revolution ist kein Wunschkonzert“. Können Sie die damaligen Entscheidungen der DDR-Parteiführung irgendwie nachvollziehen?

Das kann ich insofern nachvollziehen, weil ich nicht in solch einer dramatischen Situation war wie in den 1950er Jahren. Aber wenn die Argumente ausgingen, dann kam man sehr schnell auch zu meiner Zeit mit der großen politischen Weltlage. 1984 bin ich mit meinem Filmstudium in Babelsberg fertig geworden, habe zunächst als Regieassistent gearbeitet und dann schon bald versucht, meine eigenen Stoffe unterzubringen. Dabei habe ich dann auch gemerkt, wie schnell man dabei an Grenzen stößt. In den späten 80er Jahren befand sich die DDR bereits in Agonie, deswegen kann man diese Zeit nicht mit den 50er Jahren vergleichen und trotzdem gab es auch damals noch immer wieder diese Reglementierungen. Wenn sachliche, vernünftige, inhaltliche Argumente in einer Auseinandersetzung über ein Drehbuch nicht mehr zur Verfügung standen, kam man eben mit der großen politischen Weltlage, mit Pflichten, die man zu erfüllen hatte und mit Dankbarkeit gegenüber dem Staat. Das waren dann Standardschlagworte, die in solchen Fällen aus der Tasche gezogen wurden. In den 50er Jahren dürfte dieser Appell an das Pflichtbewusstsein und die Parteidisziplin noch viel wichtiger gewesen sein. Wer sich daran nicht hielt, galt schlichtweg als Verräter.

Alexandra Maria Lara ist als gebürtige Rumänin ebenfalls in einem kommunistisch geprägten Land aufgewachsen. War das für Sie auch ein Argument, sie in der Rolle zu besetzen?

Es war natürlich nicht das entscheidende Kriterium, aber ich habe nach unserem ersten Gespräch gemerkt, dass ich ihr ganz viele Sachverhalte nicht erklären musste. Sie kommt ja aus einem sehr kulturpolitisch geprägten Umfeld, ihr leider vor einem halben Jahr verstorbener Vater Valentin Platareanu war in Bukarest Theaterintendant und hatte ständig mit Repressalien zu tun. Rumänien in den 1970er und 80er Jahren war noch eine Nummer schärfer als die DDR, er kannte das aus eigenem Erleben und seine Erfahrungen haben natürlich in der Familie eine Rolle gespielt. Das war der entscheidende Grund, warum die Familie dann unter ziemlich abenteuerlichen Umständen in den Westen geflohen ist. Dadurch bestand zwischen Lara und mir eine Brücke, eine emotionale Basis, die man sich nur sehr schwer erspielen oder erlesen kann. Da macht es schon noch einmal einen Unterschied, ob man sich mit Informationen eindeckt oder ob man eine eigene Erfahrung oder Prägung mitbringt.

„Und der Zukunft zugewandt“ ist Ihr erster Kinofilm seit sieben Jahren, dazwischen haben Sie viel fürs Fernsehen gearbeitet. Ist es schwieriger geworden, einen Kinofilm zu drehen und wie entscheiden Sie, für welches Medium Sie einen Stoff inszenieren?

Die Finanzierung dieses Films war in der Tat sehr schwierig, zumal sich einige Förderungen nicht erfüllt haben, mit denen ich fest gerechnet hatte. Das war uns allerdings auch schon bewusst, als wir mit der Stoffentwicklung begonnen hatten. Auch die Stoffentwicklung war für mich schon sehr schwierig, denn je mehr Informationen ich hatte, je mehr ich gelesen und mich mit Zeitzeugen unterhalten habe, desto unübersichtlicher wurde für mich das ganze Thema. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich das alles irgendwie unterbringen müsse. Ich entscheide mich, einen Stoff fürs Kino zu realisieren, wenn ich merke, dass mich das Thema über eine lange Zeit beschäftigt. Es gibt Stoffe, die einen sofort irgendwie anspringen, aber an die man sich nach einem halben Jahr nur noch fragmentarisch erinnern kann. Andere, so wie „Und der Zukunft zugewandt“, lassen einen einfach nicht los. Und selbst wenn man den Stoff über Jahre beiseitegelegt hat, weiß man am Ende, dass er ins Kino gehört.

Noch zu DDR-Zeiten haben Sie mit Horst Krause einen „Polizeiruf 110“ gedreht, mittlerweile sind Sie beide durch die Krause-Fernsehfilme zu einem eingespielten Team geworden. Wie hat sich das Arbeiten mit ihm in all den Jahren entwickelt?

Wir haben gerade wieder die ersten Drehtage für einen neuen Krause-Fernsehfilm hinter uns und die Vorteile in dieser Zusammenarbeit überwiegen: dass man sich so lange kennt, dass man sich vertraut und sich die Bälle zuspielt. Man muss ein bisschen aufpassen, dass man nicht in einen Kokon gerät und dass man sich nicht innerlich darauf beruft, dass man sich so lange kennt. Mitunter wird es dann etwas schwierig, sich den frischen Blick von außen zu bewahren. Deswegen ist es mir wichtig, dass im Cast und auch im technischen Team neue Leute dazukommen. Ich bin kein Freund jahrzehntelanger Arbeitsbindungen, weil ich, so schön wie das sein mag, dann auch die Gefahr sehe, dass man zu bequem wird. Es entsteht dann eine Art Gemütlichkeit, die meiner Arbeit in meinen Augen dann nicht guttut.

Interview: Frank Brenner

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