Anne Zohra Berrached, 39, ist in der DDR aufgewachsen als Tochter einer Deutschen und eines Algeriers. Sie studierte Sozialpädagogik und widmete sich nach Aufenthalten in London, Madrid und Yaoundé dem Film. Nach einem Studium der Regie wurde 2013 ihr erster Spielfilm „Zwei Mütter“ aufgeführt. Für ihren zweiten Film „24 Wochen“ (2017) erhielt sie die Silberne Lola in der Kategorie „Bester Film“. Ihr Berlinale-Beitrag „Die Welt wird eine andere sein“ (Kinostart: 12. August) handelt von Verdrängung und Schuld. Die Medizinstudentin Asli (Canan Kir) verliebt sich in einen libanesischen Kommilitonen, der sich radikalisiert. Nach kurzer Ehe wendet er sich von ihr ab, und als die Katastrophe näher rückt, stellt sich die Frage: Hätte sie nicht etwas tun können?
engels: Anne, „Die Welt wird eine andere sein“ fällt wie jeder Film unter ein Genre. Was für einen Film hast du gedreht?
Anne Zohra Berrached: Ich habe einen Liebesfilm gedreht, ein großes Liebesdrama. Lange Zeit fühlt es sich genauso an, aber es ist natürlich auch ein politischer Film über einen er größten Verbrecher des 21. Jahrhunderts.
Der Film beginnt im Jahr 1996 und spielt in der nahen Vergangenheit. Deren Darstellung ist akkurat, aber nicht auffällig.
Es war mir wichtig, dass alles korrekt dargestellt ist. Aber ich habe auf auffällige Marker verzichtet, es wird zum Beispiel nirgendwo beiläufig eine Jahreszahl genannt. Es gibt auch keine großen Totalen, wo Werbetafeln sichtbar sind, die eine eindeutige Zuordnung zulassen.
Gewinnt der Film damit einen zeitlosen Charakter, obwohl die Handlung fest in diese Zeit eingeschrieben ist?
Die Grundeigenschaft meiner Protagonisten, das Verdrängen von unangenehmen Gedanken kennen wir alle: Etwas Negatives geschieht. Im ersten Augenblick denken wir, wir hätten es nicht anders machen können. Im genaueren Rückblick aber wird klar: Mir war es für Augenblicke bewusst, ich habe es nur verdrängt, weil es mir unangenehm oder belastend für mich war. An dieser Stelle ist das Unterbewusste kurz ins Bewusstsein gerückt. Asli wird am Ende meines Films von diesem Erkennen überwältigt und das stelle ich dar, indem sie sich selbst in die Augen schauen muss.
Deine Hauptdarstellerin Canan Kir hat mich sehr beeindruckt.
Sie macht im Grunde nie viel, aber du denkst, die Erde bebt. Diese Augen. Sie ist wirklich so, eine der besten Schauspielerinnen, mit denen ich je gearbeitet habe.
Die Darsteller wirken sehr frei und authentisch. Wie kommt ihr zu einem solchen Ergebnis?
Im Grunde drehe ich so: Ich weiß ziemlich klar wo mein Film hingehen soll, aber lasse auf dem Weg zum Ziel viel Freiraum. Die Darsteller haben Raum zu improvisieren und ich fordere sie auf diesen zu nutzen. Sie müssen sich nicht nach der Kamera richten, sondern umgekehrt. Die Handkamera folgt ihnen und sie können jeden Durchlauf einer Szene neu gestalten. Und natürlich bedeutet das, dass meine Crew diesem doch ungewöhnlichen Drehstil zuarbeiten muss. Mein Cutter z.B. braucht starke Nerven, denn durch die Improvisationen drehe ich unheimlich viel Material. Zum Glück ist es immer der gleiche. (lacht)
Der Film ist aus der Sicht Aslis erzählt. Sie verliebt sich in Saeed und über den Verlauf von fünf Jahren erleben wir die Geschichte aus ihrer Perspektive. Sie verhält sich lange Zeit passiv. Manchmal hat man das Gefühl, diese Figur rütteln zu wollen.
Genau so ist es gewollt. In der Drehbuchdramaturgie müssen Protagonisten die Handlung voran treiben. Bei „Die Welt wird eine andere sein“ nicht. Um sie herum geschehen die Dinge, wir beobachten meine Hauptfigur, wie sie zuschaut. Mich hat das Innenleben einer Figur interessiert, die sich am Ende dieser turbulenten Geschichte fragen muss: Hätte ich diejenige sein können, die die langsame heranschreitende Katastrophe verhindern können?
Manche Konflikte bleiben dem deutschen Zuschauer vielleicht verschlossen. Aslis Mutter ist strikt gegen ihre Verbindung mit dem Araber Saeed. Ist dein Film auch eine Lehrstunde in kulturellen Konflikten?
Eine Lehrstunde ist mein Film in keinem Fall. Er lässt den Zuschauer immer selbst entscheiden wie er oder sie das Geschehen einschätzen kann. Und natürlich habe ich die kulturellen Konflikte die im Film vorkommen gut recherchiert. Aber konservative Familien, enge Korsette, in die Menschen hineinpassen sollen, gibt es auch in unserer Kultur. Ein Konflikt mit Aslis Mutter führt zu einem Scheidepunkt. Sie kann vor ihrer Mutter nicht zu Saeed stehen und in diesem Moment wendet er sich von ihr ab. Der Film ist konsequent aus Aslis Sicht erzählt. Der Zuschauer und auch Asli erfahren deshalb nicht genau, was im Hintergrund mit ihm passiert, aber ohne dass es zu einer Trennung kommt, stirbt die Liebe der beiden an diesem Konflikt ein klein wenig. Und sie trägt dafür die schuld.
Du hast migrantische Wurzeln. Kann man sagen, dass du dich deswegen eher in diese Konflikte hinein denken kannst?
Nicht nur durch die Herkunft meines algerischen Vaters habe ich erlebt, wie es ist anders zu sein. Ich bin in der DDR aufgewachsen und habe miterlebt, wie der Staat mit den Normen und Werten, mit denen ich aufwuchs und die ich und meine Eltern verinnerlicht haben, von heute auf morgen zerbricht. Wir mussten uns ein neues Land mit neuen Regeln einfinden. Wir Ex-DDR Bürger wissen, wie es ist, wenn man sich fremd fühlt.
Eine Symbolik zieht sich durch den Film: Asli hat einen Husten, den sie verdrängt.
Für mich steht dieser Husten für eine Konfrontation, der sie aus dem Weg geht. Da steckt ihr etwas tief im Hals fest. Etwas das raus will aber nicht kann. Sie verdrängt diesen Husten, so, wie sie den Konflikt mit und um Saeed verdrängt, lässt ihn über Jahre nicht behandeln. Er wird immer schlimmer und erst am Ende des Films geht Asli ins Krankenhaus, wo sie ihr Jucken im Hals behandelt hat, dann löst sich auch das andere Drama ihres Lebens auf.
Eine letzte Frage, die in einem etwas anderen Wortlaut auch im Film gestellt wird: Wann kennt man einen Menschen wirklich?
(lacht) Man denkt, man kennt seinen Partner, aber natürlich kann man Menschen nicht in den Kopf gucken. Man kann ihnen sehr nahe kommen, aber wirklich, bis ins Letzte, kennt man sie nie. Aber das macht das Leben doch auch spannend!
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