Durch seine Rolle als Arzt in Michael Hanekes „Das weiße Band“ wurde aus dem Theaterschauspieler Rainer Bock 2009 auch ein Film- und Fernsehstar. Seitdem hat der 1954 in Kiel geborene Mime in über 70 Rollen vor der Kamera gestanden, war in Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“, in Steven Spielbergs „Gefährten“ oder in Christian Petzolds „Barbara“ mit von der Partie. Nun spielt er in Lars Montags Kinodebüt „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ nach dem Roman von Helmut Krausser einen aus der Bahn geratenen Familienvater. Der Film ist ab 4. Mai in den Kinos zu sehen und Rainer Bock ist beim Deutschen Filmpreis für die beste Nebenrolle nominiert.
engels: Herr Bock, konnte man die kunstvollen Vernetzungen dieses grandios durchkomponierten Films auch in der Drehbuchfassung schon erkennen?
Rainer Bock: Ja. Man konnte natürlich noch nicht erkennen, in welcher tollen Bildersprache das Lars Montag schließlich umsetzen würde. Das hat mich auch sehr begeistert, dass „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ mal wieder ein deutscher Kinofilm ist, der Mut zu Farbe und Motiven hat, ohne die schauspielerischen Elemente dabei aus den Augen zu verlieren! Ich finde das alles hier äußerst gelungen und aus der Menge der deutschen Filme herausragend.
Für Katja Bürkles Figur der „Janine“ sind sie das Model für die Mal- und Fotografie-Session im Film. War das für Sie ähnlich in den Szenen, die Lars Montag beim Inszenieren quasi visuell komponiert hat?
Jein. Dadurch, dass die Szenen losgelöst aus dem Gesamtzusammenhang des Films geprobt und gedreht wurden, hatte jeder der Darsteller so seinen eigenen, kleinen Kosmos. Dabei wird man auf sich und seine Partner in der jeweiligen Szene zurückgeworfen – der wunderbare Bernhard Schütz oder auch Maria Hofstätter. Dabei vergisst man natürlich den großen Bogen, den der Film haben wird. Das ist schon allein die Aufgabe Lars Montags gewesen, wie sich das am Ende zusammenkomponiert. Mein Hauptaugenmerk und meine Konzentration waren in diesen Momenten allein auf unsere Szenen gerichtet.
Wie geduldig mussten Sie denn in der visuell beeindruckenden Szene sein, in der Sie von Katja Bürkles „Janine“ bemalt werden?
Angemalt wurde ich in diesen Szenen von Felix Manchon, der eigentlich Theatermaler ist. Hauptberuflich ist er also damit beschäftigt, Kulissen zu malen, was übrigens eine sehr große Kunst ist! Das war für ihn auch neu, aber er hat das einfach wunderbar gemacht und war toll darauf vorbereitet. Eine Woche vor dem eigentlichen Dreh haben wir dazu eine Probesession veranstaltet, die ungefähr zweieinhalb Stunden gedauert hat. Wobei das Entfernen der Farbe einige Tage gedauert hat (lacht). Das gräbt sich so zwischen die Fuß- und Fingernägel ein, dass das trotz intensiver Bürstenreinigung einige Tage dauert, bis es restlos entfernt ist.
Sie sind ein vielbeschäftigter und erfolgreicher Schauspieler – wohl das genaue Gegenteil Ihrer Figur Robert Pfennig, von dem gesagt wird, er habe keine Struktur mehr und sei zu nichts nütze. Gibt es bei Ihnen trotzdem Situationen, in denen Sie sich selbst hinterfragen?
Na klar, selbstverständlich! So lange ich diesen Beruf ausübe, sitzt das kleine Teufelchen des Selbstzweifels immer auf der einen Schulter, und das Engelchen des Selbstbewusstseins kreuzt mit ihm die Klinge. Vor Kurzem habe ich in Bremen einen gar nicht mal so schlechten „Tatort“ gemacht (gemeint ist die Folge "Nachtsicht" mit Sabine Postel; die Red.). Selten habe ich so viel positiven Zuspruch von Kollegen und der Presse erhalten, wie dazu. Bass erstaunt habe ich dagestanden und war froh darüber, dass mir mal etwas gelungen ist. Das meine ich jetzt nicht kokett, denn das Überprüfen und das Sich-selbst-Infrage-Stellen gehört bei mir und meinen Kollegen einfach dazu.
Sie haben im Film auch eine Sexszene. Fällt einem so etwas in fortgeschrittenem Alter leichter oder sogar noch schwerer?
Das war meine erste und bislang einzige Sexszene in einem Film! Es war aber gar nicht schwer, weil die Maria Hofstätter eine ganz wunderbare Kollegin ist, mit der man viel lachen und so etwas ungehemmt drehen kann. Ein bisschen Schamgefühl bleibt ja trotzdem immer, aber das ist ja auch schön, denn dadurch geht man behutsam und vorsichtig miteinander um.
Helmut Kraussers Roman und Lars Montags Film geht es auch darum, Peinlichkeiten vorzuführen. Gab es beim Dreh denn etwas, das Ihnen peinlich war?
Richtig peinlich nicht. Ich erinnere mich nur daran, dass wir am meisten gegiggelt haben bei der Rasurszene in der Dusche. Da wollte ich von Lars auch immer wissen, wieviel er von mir dabei zeigen würde, denn ich wollte den Zuschauern weder ein Geschlechtsuchbild zumuten noch sie mit meinem Riesengeschlecht erschrecken (lacht). Aber Lars garantierte mir, dass es außer meinem Po und meinen Oberschenkeln nichts zu sehen gäbe. In diesem Zusammenhang muss ich auch dazu sagen, dass Lars ein unglaublich sensibler, zärtlicher, humorvoller und kluger Regisseur ist! Das Arbeiten mit ihm war ein Hochgenuss.
Auch sehr beeindruckend ist die Szene, in der Robert seine Aggressionen rauslässt und symbolisch eine Wohnung zertrümmert. Würden Sie das auch gerne mal machen oder hat Ihnen das nun im Film gereicht?
Nein, dazu habe ich gar keine Lust. Ich war vollkommen überrascht, dass es so etwas tatsächlich gibt. Diese so genannten „Anger Rooms“ sind keine Erfindung des Films. Die sind witzigerweise in Halle/Saale erfunden worden. Dort werden große Hallen in verschiedenen Segmenten eingerichtet, man kann auch, wie es im Film heißt, eigene Sachen mitbringen. Sehr beliebt ist dabei der eigene Computer, auf den man schon seit Jahren einen Hass aufgebaut hat. Das ist im Film ziemlich realistisch nachgestellt. Als ich mit dem Baseballschläger eine dieser hässlichen, widerlichen, pastellfarbenen kleinen Nachtischlampen aus Porzellan mit einer schönen Drehung aus der Hüfte heraus wegputzen konnte, hat mir das schon Spaß gemacht. Aber ansonsten liegt mir das Zerstören von Dingen nicht so besonders.
In Ihrer Zeit am Theater schätzten Sie die Kontinuität und die familiäre Vertrautheit. Vermissen Sie das nun in Ihren Film- und Fernseharbeiten, bei denen Sie sich immer wieder sehr schnell mit neuen Partnern zurechtfinden müssen?
Ich gebe zu, dass mir das sehr schwer gefallen ist, als ich anfing, in die freie Arbeit zu gehen. Damals hatte ich mir noch nicht diese Art des Stress-Managements angeeignet. Besonders belastend ist zum einen das viele Reisen, das muss man wirklich aushalten. Zum anderen hat man für ein oder zwei Wochen eine Mannschaft von vierzig bis fünfundvierzig Menschen um sich herum. Und da ich mich nicht gerne abschotte, sondern offen und zugänglich sein möchte, nehme ich dann natürlich auch wahnsinnig viel auf. Von vielen Seiten erhält man sehr viel Input, und innerhalb kürzester Zeit sind alle diese Menschen wieder weg und ganz viele neue Menschen stehen wieder vor einem. Das ist anstrengend, darauf muss man sich einstellen. Das kann man meiner Meinung nach aber lernen, auch, wie man ein bisschen ökonomischer mit seinem Sozialverhalten umgeht (lacht). Sonst zerfasert man sicherlich. Das ist eine völlig andere Situation als in einem festen Theaterensemble.
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