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Sönke Wortmann und Anke Engelke bei den Dreharbeiten
Foto: Constantin Film Verleih / Tom Trambow

„Der Film kommt aus dem ‚Ghetto‘ des Kammerspiels heraus“

23. Dezember 2014

Sönke Wortmann über seine neue Komödie „Frau Müller muss weg!“ – Gespräch zum Film 01/15

Sönke Wortmann, Jahrgang ’59, hatte bereits mit seinem Kinodebüt „Allein unter Frauen“ (’91) einen Publikumserfolg. Mit „Kleine Haie“ (’92) und „Der bewegte Mann“ (’94) folgten weitere Komödienerfolge. 2003 brachte er „Das Wunder von Bern“ auf die Leinwand und spiegelte mit „Deutschland – Ein Sommermärchen“ (2006) auch die Gegenwart des deutschen Fußballs. Zuletzt waren von ihm „Die Päpstin“, „Das Hochzeitsvideo“ und die Charlotte-Roche-Verfilmung „Schoßgebete“ im Kino zu sehen. „Frau Müller muss weg!“ startet am 15. Januar in den Kinos.

engels: Herr Wortmann, bei „Frau Müller...“ habe sie zuvor auch Regie am Theater geführt. Wie verhält sich ihre Theaterversion zur Vorlage von Lutz Hübner, und wie verhält sich ihre Theaterversion zu ihrer Filmadaption?
Sönke Wortmann: Für mich sind die Dialoge eine große Stärke des Theaterstücks. Die sind Lutz Hübner super gelungen, und darum wurden die auch für den Film möglichst wenig geändert. Meine Theaterfassung entspricht weitgehend dem, was Hübner geschrieben hat. Die spielt aber nur in einem Klassenzimmer und in Echtzeit. Für eine Verfilmung war mir das auf Dauer ein bisschen zu eintönig und wir haben geguckt, dass wir aus dem Klassenzimmer auch mal raus kommen. Der Film hat gegenüber einem Theaterstück die Möglichkeit und den Vorteil, einen Raum auch wieder verlassen zu können. Wenn die Eltern Frau Müller suchen gehen, geschieht das im Theater nur im Off, im Film sehen wir das. Der Film kommt dann aus dem „Ghetto“ des Kammerspiels raus, wenn sie in der Turnhalle sind, im Schwimmbad oder dem Aufenthaltsraum. Das ist der Vorteil eines Films, dass er so etwas dann ein bisschen größer machen kann.

Ein Kammerspiel ist auch in diesem erweiterten Sinn immer noch eine große Herausforderung an Regie, Dramaturgie und die Schauspieler. Ich musste spontan an John Hughes’ „Breakfast Club“ von 1985 denken – nur mit Erwachsenen ...
Schön, dass Sie das sagen! Das war früher einer meiner Lieblingsfilme. Für meine Generation war das damals ein Kultfilm. Ich habe mich natürlich damals mit den Schülern identifiziert, und jeder hatte so seinen Liebling. Meine Generation ist jetzt zur Elterngeneration geworden. Ich wollte ganz bewusst darauf Bezug nehmen und den Film auch zitieren, z.B. wenn am Anfang die Leute alle angefahren kommen ...

Ich musste auch an Polanskis „Gott des Gemetzels“ denken, der ja in jüngster Zeit gezeigt hat, dass ein Kammerspiel auch heute im Kino funktionieren kann ...
Schade, dass dieser Vergleich jetzt auch noch kommt ... Aber die Inszenierung des Theaterstücks hatte im Februar 2012 Premiere im Berliner Grips Theater, „Gott des Gemetzels“ kam im Mai raus. Und die Uraufführung des Stückes war 2010 – also weit vor Polanskis Film. Ich finde unseren Film auch insofern besser – weil er die größeren Themen hat: Es geht nicht nur um die Kinder, es geht auch um Schule, um Bildung, um Ost- und Westdeutschland. Und wir haben zwei Haupt- und ein paar Nebenrollen mehr – das öffnet den Film.

Inwieweit war ihre Arbeit mit den Theaterschauspielern für die Bühnenfassung bei der Arbeit am Film hilfreich?
Die Dialoge habe ich im Theater in sechswöchiger Arbeit mit den Schauspielern so heraus gefiltert, dass ich genau wusste, was funktioniert und was nicht funktioniert. So wie ein Satz jetzt im Film gesprochen wird, ist er zigfach geknetet und zurechtgebogen worden. Da hatte ich einen Vorteil gegenüber den Schauspielern. Die waren ein bisschen frustriert, dass ich schon so genau wusste, wie sie das sprechen sollen.

Sie konnten sich auf einen außerordentlich guten Cast stützen. Wenn man Anke Engelke so durchs Bild stürmen sieht – haben sie da noch viel zu tun?
Nee, habe ich nicht. Anke war immer meine Wunschbesetzung dafür. Ich finde, sie ist in ihrer Generation – zumindest als Filmschauspielerin – unübertroffen. Mit ihr zu arbeiten ist ein einziges Vergnügen. Man muss nur ein wenig justieren: hier ein bisschen mehr grün, da etwas weniger gelb – das versteht sie sofort und macht das dann entsprechend.

Haben Sie bei der Vorbereitung viel zum Thema recherchiert oder eigene Erfahrungen einfließen lassen – Sie haben ja selber drei Kinder?
Jein. Die Hauptarbeit hatte schon der Autor gemacht, und der hat tatsächlich diese persönlichen Erfahrungen und solche Eltern erlebt, wie man sie in dem Stück sieht. Wir hatten in unseren Schulen bisher Glück und recht coole Eltern. Aber ich weiß natürlich, dass es auch anders sein kann. Manche Eltern haben keine Zeit für ihre Kinder und wollen der Schule die komplette Verantwortung übergeben. Und dann gibt es auch die Eltern, die alles selber machen wollen. Wir haben das – in einer Komödie gehört sich das ja so – natürlich ein wenig zugespitzt.

Die Helikopter-Eltern kriegen ihr Fett weg, Kritik an der Schule bzw. dem Schulsystem kommt im Film nicht so deutlich vor ...
Der Film kritisiert das Bildungssystem durchaus. Ein großes Thema ist die Frage: Vier Jahre oder sechs Jahre gemeinsamer Unterricht für alle Kinder? Die Wissenschaft sagt ganz klar, lieber länger als kürzer, bevor sich die Spreu vom Weizen trennt. Für die Lehrerin ist es im Vergleich zu diesen Helikoptereltern im Film natürlich gar nicht so schwer, Sympathieträgerin zu sein. Aber trotzdem wird es thematisiert, dass sie vielleicht überfordert ist, und infrage gestellt, wie sie ihren Unterricht führt.

INTERVIEW: CHRISTIAN MEYER

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