Gaaanz lange hält der Trommelwirbel an. So kennen wir das Zirkusspektakel, bei dem die Musik den Spannungsbogen für die Aktionen unter dem Zeltdach bildet. Nur dass diesmal die Erlösung nicht einsetzen will. So manches ist anders in den Produktionen von overhead project, denn Regisseur Tim Behren gehört zu jenen Künstlern, die nach dem Vorbild ihrer französischen Kollegen vom Nouveau Cirque, das Konzept des Neuen Zirkus auch in Deutschland propagieren. Dem klassischem Zirkus, wie er seit etwa 250 Jahren in Europa existiert, haftet immer etwas von einem „Egotrip an, bei dem jemand sich zeigt und dann beklatscht wird“, erklärt Behren. Man dehne die Erwartungen des Publikums, bis dann alle durch die Aktion der Darsteller erlöst würden.
Die jungen Protagonisten des Zeitgenössischen Zirkus, die sich aus einer Initiative in Köln gebildet haben und nun mächtig Zulauf in München, Hamburg, Berlin und dem Ruhrgebiet finden, stellen diese Tradition der Unterhaltung ohne doppelten Boden von Sinn und Bedeutung in Frage. Ihr Konzept ist narrativer ausgerichtet, wie Behren erklärt: „Das Theater erzählt vom Scheitern, während der Zirkus vom Können erzählt. Das Übermenschliche, der Held, der für uns Grenzen überschreitet, wird zum Thema.“
Mit dem Eingeständnis des Scheiterns findet die Reflexion Eingang in die Zirkuswelt. Der Spaß am Adrenalin gibt der neuen Produktion „X[iks]“ den Titel. „Auch wenn wir das Risiko zu minimieren versuchen, so bleibt doch der Moment X, nach dem wir unbewusst immer suchen“, erklärt Tim Behren. Die beiden Luftakrobaten Asvin Lopez und Toni Gutiérrez aus Barcelona agieren mit dem Berliner Performer und Schlagzeuger Daniel Schröteler. Ein gleichberechtigtes Trio, in dem jeder einmal die Führung über das Geschehen übernimmt. Den „Herzschlag des Publikums“ solle man vernehmen, wie Behren lachend erklärt. Er hat sich gemeinsam mit Florian Patschovsky als Duo overhead project einen Namen gemacht. Im vorletzten Jahr noch gewannen die beiden den Kölner Tanztheater Preis. Typisch für die neuen Zirkuskünstler ist, dass sie die Nähe zur freien Tanz- und Theaterszene suchen, und so floss denn auch schon bemessene Förderung von Seiten der Kulturämter in Köln und München für Zirkusproduktionen.
Die Arbeit in der Luft, der scheinbare Versuch, die Gesetze der Physik auszuhebeln, das Vertrauen und das mögliche Abstürzen sind Sujets, die das moderne Lebensgefühl essenziell betreffen. Mit dieser Hinwendung zum Individuellen kehrt man auch der militärischen Tradition des Zirkus den Rücken. So möchte Tim Behren auch nicht die Illusionsmaschine anwerfen oder im Stil des Circus Roncalli den nostalgischen Schmelz reaktivieren. Die Akrobaten zeigen ihr Handwerk und verstecken keine Sicherheitsmechanismen. Neben den Schutzhelmen wurden auch die Matten am Boden weiß angepinselt, damit jeder sie wahrnehmen kann. Ein vielversprechender Ansatz, um auch die ins Zirkuszelt zu locken, die diesem Genre keine Zukunft mehr gegeben haben.
„X[iks]“ | R: Tim Behren | Fr 7.7. (P) & Sa 8.7. 20 Uhr | ZAK Zirkus- und Artistikzentrum Köln | 0221 995 72 00
**Achtung: Terminabsage wegen Unfall, neuer Termin im Herbst**
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