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Das Paradies der Egoisten

30. August 2018

Kristóf Szabó und die Vision vom optimierten Menschen – Tanz in NRW 09/18

Gerade ist er auf dem Sprung nach Budapest. Kristóf Szabó wird dort in einem Animationsstudio Sequenzen für seine neue Tanzproduktion entwickeln lassen. Schon die Recherche für „Gehirne“ führte Szabó, der seit 1980 in Deutschland lebt, in das Neurologische Zentrum seiner Geburtsstadt. In Budapest nahm er den Faden für eine Inszenierung auf, die einem Text von Gottfried Benn folgt. 1916 schrieb Benn ein „erkenntnistheoretisches Drama“ mit dem Titel „Der Vermessungsdirigent“, das hundert Jahre später ungeahnte Aktualität erhalten hat. Pameelen, ein Gynäkologe, den der Performancekünstler Thomas Krutmann spielt, macht sich Gedanken über den Transhumanismus. Was nichts anderes heißt, als dass er eine bedingungslose Optimierung des Menschen betreibt.

Ein ewiger Quell der Unvollkommenheit bleibt das träge Fleisch des Körpers, warum also nicht die Zukunft alleine dem Gehirn verschreiben. Würde man das Gehirn auf einen Computer hochladen, ließe sich Unsterblichkeit in einem paradiesischen Ambiente herstellen. Nicht zufällig erinnert Pameelen an einen Nachfahren von Goethes Faust. „Wenn sich der Mensch zurückzieht auf sein Gehirn, gibt er sein Gegenüber auf“, erklärt Szabó. Benns Vision entspringt einem Weltekel, der in der Vorstellung eines Menschen gipfelt, der den Kosmos mit seinen Gedanken „zerkaut“ hat und dem letztlich nichts als Worte bleiben. Wenn man sich selbst als Computer vorstellt, verschwindet jedes Außen. Szabó erinnert daran, dass sich der Dialog mit anderen auflöst und sogar Gott verschwindet, weil jede Gottheit letztlich nur im Gegenüber existiert.

Das Ego wird zur Gottheit, ein Umstand, dem sich nicht allein ein amerikanischer Präsident gerne hingibt, sondern der zunehmend den Zeitgeist erfasst. „Schon seit einiger Zeit rücken wir immer mehr vom ‚Wir‘ ab, auch das ‚Du‘ wird zunehmend schwieriger, eigentlich sind wir vor allem mit dem ‚Ich‘ beschäftigt“, meint der 50-jährige Szabó. Damit löst sich dann auch der soziale Zusammenhalt und die Empathie in einer Gesellschaft auf. „Denn erst durch meine Fähigkeit zur Wahrnehmung, bemerke ich, dass jemand arm ist oder dass die Natur zugrunde geht.“ Die Vorstellung von frei flottierenden Identitäten, nach dem Motto „ich bin, wer ich will, heute so und morgen anders“, wie sie die Theoriedebatten der achtziger Jahre propagierten, bieten da keine Alternativen.

Kristóf Szabó, der in seinen Produktionen „Philoktet“ oder die „Die Jungfrau von Orleans“ den faszinierenden Brückenschlag zwischen Philosophie und Tanz sucht, wird auch diesmal eine multimediale Produktion in der Orangerie des Volksgartens in Köln zeigen. Neben Thomas Krutmann übernimmt Andrián Castello den tänzerischen Part eines Avatar von Pameelen und Theresia Erfort spielt Pameelens Geliebte. Im Verlauf des komplexen Geschehens wird sie die Lebensfreude als eine nicht zu optimierende Energie in die Inszenierung einbringen.

Kristóf Szabó/F.A.C.E.: „Gehirne“ | 20.-22.9., 17.-20.10. je 20 Uhr, 23 9. 18 Uhr | Orangerie, Köln | 0221 952 27 08

Thomas Linden

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