Mit dem Altern ist das so ein Sache. Es kommt auf jeden zu. Da mag man „altern“ mit dem netteren „älter werdend“ ersetzen. Es kommt aufs Gleiche raus. Und wenn dieses Alterwerden mit dem Ansammeln von „Defiziten“ verbunden ist, dann liegt die Frage nahe, ob dies auch für Tänzer gilt. In ihrem neuen Tanzstück „STILL(here)“, das im Kölner Künstler Theater Premiere hatte, stellt die Kölner Choreografin Silke Z. diese Frage.
Pikant dabei: Das Alter der beiden Performer ist zwar ein echter Zahlerdreher: 62 / 26, aber längst nicht spiegelgleich. „STILL(here)“ ist ein perfekt choreografiertes Duett eines 62-jährigen Performers und einer 26-jährigen Tänzerin, die nicht nur in einen tänzerischen Dialog treten, sondern kokettierend in einen – natürlich – ungleichen Wettkampf. Er, Angus Balbernie: ein lebens- und tanzerfahrener Performer; sie, Lisa Kirsch: eine von überbordender Tanz- und Bewegungslust getriebene Tänzerin am Anfang einer viel versprechenden Bühnenkarriere. Beide zusammengeführt von der Kölner Choreografin Silke Z., die nach ihrem erfolgreichen Generationenprojekt „Unter uns“ und der Serie „Wie Leben geht“ jetzt den choreografischen Blick auf unsere älter werdende Gesellschaft richtet.
Dazu fokussiert sie ihren Blick im Tanzstück auf den älteren Darsteller, lässt jung und alt ihre körperlichen Unterschiede und Bewegungsmöglichkeiten ausloten. Es ist ein Duett der besonderen Art, dessen erster Teil der Jugend gehört und Lisa Kirsch die Gelegenheit gibt, ihren ganz persönlichen tänzerischen Ausdruck mit technischem Können zu untermauern. Da fliegen die Arme, rotiert der Körper oder er biegt sich wie eine Weide im Sturm, um aus dieser Spannung gleich wieder nach vorn zu schnellen und in pirouettengleichen Drehungen oder bodennahem Gleiten zu münden. Mit „Tick of the Clock“ von den Chromatics wurde dem Tanz eine ebenso beziehungsreiche wie in Rhythmus und Dynamik passende Musik zur Seite gestellt.
Unermüdlich tickt die Uhr. Das bringt Angus Balbernie allerdings nicht aus der Ruhe. Er zeigt, dass er auch mit 62 noch „still here“ ist. Zuerst sind es kleine Bewegungen der Hand, dann wippt ein Bein einen inneren Rhythmus mit, um nach und nach den ganzen Körper in eine wunderbare, altersadäquate Bewegungsharmonie zu bringen. Leicht, spielerisch und völlig unaufgeregt tastet er sich dabei an seine körperlichen Möglichkeiten heran. Er macht keine großen Sprünge, aber eine Anmutung davon liegt in jeder Phrase. Er übersteigert schon mal eine Bewegung ins Komische und schafft letztlich eine andere Art tänzerischer Ästhetik. Qualitäten, die Silke Z. für ihr künstlerisches Schaffen sehr schätzt: „Angus Balbernie hat einen faszinierend präzisen und außergewöhnlich humorvollem Blick auf (seinen) Körper, Choreografie und die (Tanz-)Welt, der in meinen Produktionen verbal und tänzerisch zum Ausdruck kommt. In der gemeinsamen Arbeit erzeugen wir dann häufig tragisch-komische Momente, die ich sehr mag und die die Zuschauer berühren.“ – „STILL(here)“ ist der erste Teil einer größeren Ensemblearbeit über das Älterwerden.
„STILL(here)“ | Ch: Silke Z. | Fr 9.12, Sa 10.12. 20 Uhr | ehrenfeldstudios | 0221 222 666 3
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
War das ein Abschied?
Sônia Motas „Kein Ende“ in den Kölner Ehrenfeldstudios – Tanz in NRW 10/24
Den Blick weiten
Internationales Tanz-Netzwerk Studiotrade – Tanz in NRW 07/23
Tanzende Säcke
Tanzfuchs verzaubert mit „Papierstück“ junges Publikum – Tanz am Rhein 12/18
Das Paradies der Egoisten
Kristóf Szabó und die Vision vom optimierten Menschen – Tanz in NRW 09/18
Agentenaktion
LIGNA und interaktive Spiele im Stadtraum – Tanz an der Ruhr 09/18
Die innere Mechanik des Tanzes
Die Kölner tanzsociety wirbt für die Tanzkunst – Tanz am Rhein 04/18
Horrible Innenwelten
Internationale Tanz-Kurzfilme im Rex. Präsentiert vom Verein Tanzrauschen – Spezial 10/17
Der Urknall steht bevor
Die Freihandelszone startet mit „Urbäng!“ ihr neues Festival – Tanz in NRW 10/17
Der Herzschlag des Publikums
Zeitgenössischer Zirkus erobert die freie Szene – Tanz in NRW 07/17
Gegen jede Vernunft
„Die Metabolisten“ und der Reiz verschieden gealterter Körper – Tanz in NRW 04/17
Zwei Gewinnerinnen
Kölner Tanzpreise für Reut Shemesh und Sylvana Seddig – Tanz in NRW 01/17
Aufbrechende Wunden
Von Köln und Münster bis Berlin: Festival der Cie. Toula Limnaios – Tanz in NRW 07/16
Im Kreisrund sind alle gleich
4. Ausgabe des Festivals Zeit für Zirkus – Tanz in NRW 11/24
Supergau?
Die TanzFaktur steht wieder einmal vor dem Aus – Tanz in NRW 09/24
Kaffee, Kuchen, Stacheldraht
12. Tanz.Tausch Festival in der Kölner TanzFaktur – Tanz in NRW 08/24
Wunderbar: alles ohne Plan
„Leise schäumt das Jetzt“ in der Alten Feuerwache – Tanz in NRW 07/24
Vor der Selbstverzwergung
Ausstellung zu den „Goldenen Jahren“ des Tanzes in Köln – Tanz in NRW 06/24
Philosophie statt Nostalgie
Das Circus Dance Festival in Köln – Tanz in NRW 05/24
Das Unsichtbare sichtbar machen
Choreographin Yoshie Shibahara ahnt das Ende nahen – Tanz in NRW 04/24
Tennismatch der Kühe
„Mata Dora“ in Köln und Bonn – Tanz in NRW 03/24
Kommt die Zeit der Uniformen?
Reut Shemesh zeigt politisch relevante Choreographien – Tanz in NRW 02/24
Am Ende ist es Kunst
Mijin Kim bereichert Kölns Tanzszene – Tanz in NRW 01/24
Tanz auf Augenhöhe
„Chora“ in der Tanzfaktur – Tanz in NRW 12/23
Eine Sprache für Objekte
Bundesweites Festival Zeit für Zirkus 2023 – Tanz in NRW 11/23