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Regisseur Philip Koch
Markus Eckert

Der Zuschauer als Insasse

01. Februar 2011

Philip Koch über „Picco“ - Gespräch zum Film 02/11

Philip Koch, 1982 in München geboren, studierte an der Hochschule für Fernsehen und Film München. Mit seiner eigenen Produktionsfirma macht er Dokumentarfilme, Werbe- Industrie- und Imagefilme. Nach einigen Kurzspielfilmen ist „Picco“ sein erster Kinofilm.

engels: Herr Koch, Sie machen auch Werbe- und Industriefilme. Die Differenz zu Picco könnte kaum größer sein. Wie haben Sie sich in diese komplett andere Welt eingearbeitet?
Philip Koch:
Mein Hauptarbeitsfeld sehe ich beim Spielfilm. Für „Picco“ habe ich über ein Jahr recherchiert, habe Gefängnisse besucht, mit Justizvollzugsbeamten, Psychologen, JVA-Leitern und Häftlingen gesprochen. Und sehr viel gelesen. Das war notwendig, um die Wirklichkeit so authentisch wie möglich abzubilden – also das exakte Gegenteil von Werbung.

Im wahren Fall berücksichtigte das Gericht unter anderem die gruppendynamischen Prozesse, die zur Tat führten. Sie beschreiben diese Dynamik viel detaillierter als die physische Gewalt ...
Die Gruppendynamik, die in so einem hermetischen System zu einer derartigen Explosion psychophysischer Gewalt führt, ist viel aufschlussreicher für die allgemeine menschliche Natur als der eigentliche Exzess: Die ersten 70 Minuten im Film zeigen eine Spirale von Mobbing und Unterdrückung, wie sie überall vorkommt – Schule, Arbeitsplatz, Familie. Nur, dass dort irgendwann eine moralische Instanz „Stopp“ sagt. Nicht so im Jugendgefängnis. Das ist die eigentliche Provokation des Films: Das Ende von „Picco“ zeigt die logische Fortführung eines zutiefst menschlichen, allgegenwärtigen Überlebenskampfes.

Die Farbscala der Bilder ist sehr begrenzt – fast monochrom, die Kameraeinstellungen sehr statisch. Können Sie das visuelle Konzept kurz erläutern?
Ich wollte mit einer extremen Statik und langen Einstellungen einen größtmöglichen Kontrast zur unbändigen jugendlichen Energie der Figuren schaffen, die den wohl trostlosesten Ort Deutschlands ihr gegenwärtiges Zuhause nennen müssen. Der Zuschauer selbst soll zum fünften Insassen von Zelle 10 werden – 104 Minuten lang.

Nicht nur durch die visuelle Gestaltung entfaltet der Film eine klaustrophobische Atmosphäre von Repression und latenter Gewalt. Wie war das für das junge Team und vor allem die Darsteller auszuhalten?
Dank eines großartigen Teams war die Atmosphäre am Set von großer Wärme geprägt. Aber man kann sich der negativen Energie dieses Ortes nicht entziehen – es kam u.a. zu einer Massenschlägerei. Es verlief aber zum Glück glimpflich. Es gab nur eine einzige Festnahme.

Bei dem Thema ist die Gefahr des Voyeurismus groß. Auf welche Art haben Sie sich diesem Problem gestellt?
Indem wir Gewalt immer nur dann zeigen, wenn sie erzählerisch für die charakterliche Entwicklung der Hauptfigur und für die Geschichte relevant ist. Voyeurismus fängt an, wenn die erzählerische Notwendigkeit nicht mehr gegeben ist.

Arbeiten Sie bereits an einem neuen Kinoprojekt?
An dreien sogar: Eines spielt in der Wüste, eines handelt von Heroin, und eines spielt im Dritten Reich.

INTERVIEW: CHRISTIAN MEYER

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