engels: Herr Jansen, welches Anliegen hat die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB)?
Felix Jansen: Die DGNB hat sich mit der Zielsetzung gegründet, sich dem Thema der Endlichkeit von Ressourcen zu widmen. Bauen ist schon immer ressourcenintensiv gewesen, aber das Bewusstsein, die verbauten Ressourcen als Wertstoffe anzusehen, ist ein jüngeres Thema. Das liegt daran, dass Materialien lange Zeit im Überfluss vorhanden waren. In den 90er Jahren wurde jedoch vielen Akteure bewusst, dass der Bausektor großen negativen Einfluss auf den Klimawandel hat. In dieser Grundsituation begründeten sich Initiativen im angelsächsischen Raum, die auch in Deutschland auf fruchtbaren Boden fielen. Bei der Gründung des DGNB wurden zwei Ziele richtungsweisend: Einerseits, die Praxis des Bauens zu verändern, andererseits, das Thema des nachhaltigen Bauens im öffentlichen Bewusstsein stärker zu verankern. Unser Claim war „Nachhaltig ist das neue Normal“ – lange, bevor aufgrund von Corona alles zum „neuen Normal“ wurde.
Wer sind Ihre Kunden?
Aktuell arbeiten wir hauptsächlich mit Gewerbekunden zusammen. Für sie ist die Zertifizierung im Sinne der Nachhaltigkeit inzwischen gesetzliche Pflicht. Für Neubauten im Gewerbe gibt es inzwischen auch eine neue EU-Richtlinie, die für die Erlangung von Bankkrediten erfüllt werden muss. Wohnungsbaugesellschaften und private Bauherren haben sich dem Thema noch nicht flächendeckend gewidmet, darum kommt man damit im Bereich des privaten Wohnens noch nicht häufig in Berührung.
„Zielkonflikte sind unvermeidbar“
Was bedeutet nachhaltiges Bauen?
In der DGNB verfolgen wir einen ganzheitlichen Ansatz in Bezug auf Nachhaltigkeit. Das bedeutet, dass wir in jedem Einzelfall verschiedene Faktoren beachten und in eine Reihenfolge bringen. Neben ökologischen Themen versuchen wir auch, im Sinne einer sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeit zu handeln. Das bedeutet, dass wir nicht nur für den Klimaschutz bauen wollen, sondern auch für Menschen, die sich in den Räumen wohlfühlen und dementsprechend auch lange in einem Gebäude leben möchten. Schlussendlich sollten auch beim Bauen ökonomisch langfristige Entscheidungen getroffen werden, die ein Gebäude langlebig machen. Wenn man versucht, alle diese unterschiedlichen Faktoren im gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes mitzubetrachten, sind aber Zielkonflikte unvermeidbar.
Wie würden Sie beispielsweise einen Altbau bewerten?
Gebäude, die lange genutzt werden, schonen Ressourcen, die bei einem kurzlebigen Auf- und Rückbau wenig nachhaltig verbraucht werden – ein prominentes Beispiel sind hier natürlich die Fußballstadien von Katar, bei denen Kosten, Ressourcen- und Energieverbrauch in einem besonders schlechten Verhältnis zur Nutzungsdauer des Gebäudes stehen. In diesem Aspekt sind Altbauten nachhaltig, und sie sorgen natürlich für ein Stück Lebensqualität im Stadtbild und im Wohnungserlebnis. Andererseits verbrauchen Altbauten in der Nutzung häufig viel CO2, durch eine schlechte Dämmung oder eine veraltete Heiztechnik. Bei der Frage nach Umbaumaßnahmen sind wir dann schon bei einem Dilemma – wie kann die Verpflichtung zur klimaneutralen Sanierung des Gebäudebestands bis 2045 (in Deutschland) gelingen, ohne Wohnqualität zu verlieren? Am Ende geht es um ein Summenspiel und darum, im Gesamtblick zu schauen, was verändert werden kann. Es gibt nicht eine Lösung für alle, man muss von Fall zu Fall schauen.
„Verteufelung eines Baustoffes ergibt wenig Sinn“
Welche Baustoffe sind besonders nachhaltig?
Es gibt nicht „die“ nachhaltigen Bauprodukte. Verschiedene Baumaterialien bringen unterschiedliche Eigenschaften mit sich, die im Sinne der Nachhaltigkeit genutzt werden können. Aktuell kommen viele neuartige Baustoffe auf den Markt, man experimentiert mit sehr alten Bautechniken, und auch die Betonindustrie verändert sich. Aber die Verteufelung eines Baustoffes ergibt wenig Sinn, weil verschiedene Aspekte betrachtet werden können – der CO2-Verbrauch, die Recycling- und Instandhaltungsfähigkeit ebenso wie die Verfügbarkeit. Ob die einzelnen Baustoffe sinnvoll für das Bauprojekt sind, muss man von Fall zu Fall entscheiden. Dabei geht es immer auch um Verfügbarkeit. So ist es nicht im Sinne der Nachhaltigkeit, Bauholz aus Deutschland zu exportieren, anstatt es hier zu verbauen. Der wichtigste Ansatz ist aber, das zu nutzen, was bereits verfügbar ist. Wie kann man das Material, was bereits in Gebäuden verbaut wurde, zum Beispiel in Zwischendecken, weiterverwenden? Das Abwägen zu einem frühen Planungszeitpunkt ist besonders wichtig, damit man dann, im Wissen um bestehende Zielkonflikte, die beste Entscheidung treffen kann. Das ist der wichtigste Bestandteil nachhaltigen Bauens.
Wie steht es um nachhaltiges Bauen allgemein?
Im Bausektor werden Veränderungen eher langsamer aufgenommen. Im Vergleich zu der Situation vor 15 Jahren gehen Unternehmen aber bereits mit größerer Selbstverständlichkeit mit dieser Thematik um – teilweise in dem Bewusstsein, dass man kann sich nicht wegducken kann, denn auch politische Richtlinien haben sich verändert. Der Bedarf an Wissen und der Wunsch, sich zu engagieren, ist groß. Die DGNB hat von dieser Veränderung profitiert, unser Netzwerk ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Viele Veränderungen, die bereits auf dem Weg sind, werden aber erst in den kommenden Jahren wahrnehmbar – das liegt an den langen Planungs- und Genesungsphasen von Bauprojekten.
„Mehr Ehrlichkeit von Unternehmen“
Was muss sich für mehr Nachhaltigkeit verändern?
Ich würde mir mehr Mut von der Politik wünschen, aber auch mehr Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit von den Unternehmen. Akteure sollten ihren eigenen Handlungsspielraum betrachten und überlegen, was sie konkret verändern können, und das nicht mit dem Gedanken, das Große und Ganze verändern zu müssen.
Aber das Finden von Gründen dafür, etwasnicht zu tun, einfach so weiterzumachen, wie bisher, ist besonders ausgeprägt. Häufig ist auch derjenige Schuld, der gerade nicht im Raum ist. Dabei kann man weder der Baubranche noch dem Energie- oder dem Verkehrssektor einen „schwarzen Peter“ in Fragen der Nachhaltigkeit zuschieben. Denn das Wachstumsparadigma betrifft uns als gesamte Gesellschaft. Diese „Geiz ist Geil“-Mentalität ist unser größtes Problem. Denn in letzter Instanz ist es dann doch immer die Preiskarte, die gespielt wird. Man zieht sich vor Veränderungen zurück, weil sie zunächst teuer erscheinen. Dabei sorgen frühzeitige Investitionsentscheidungen auch dafür, dass weniger Kosten in der Nutzung entstehen, und es sorgt für eine Wertsteigerung des Gebäudes. Wenn dieses Bewusstsein noch ausgeprägter wäre, würde ein großer Widerstand gegen nachhaltiges Bauen wegfallen.
ALTMODISCH BAUEN - Aktiv im Thema
selbstvers.org/forum | Im Selbstversorgerforum diskutiert und beantwortet die Community Fragen zu Selbstversorgung und Permakultur.
bring-together.de/de | Die Plattform will Menschen zusammenbringen, die auf der Suche nach nachhaltigen gemeinschaftlichen Wohnprojekten sind.
deutschlandfunk.de/von-der-energie-bis-zu-lebensmitteln-der-trend-zur-selbstversorgung-dlf-867abd36-100.html | DLF-Beitrag über den „Trend zur Selbstversorgung“
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
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