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Machmenschen

31. Januar 2023

Was es braucht für die grüne Stadt – Glosse

Damals in der Mittelstufe legte uns unsere Englischlehrerin zwei Grafiken vor. Auf der einen war eine Stadt der Zukunft zu sehen, in dem der Mensch in fliegenden Autos emissionsfrei durch die Straßen düste, alles luftig, freundlich, hell, alle glücklich und gesund. Die andere Grafik zeigte eine Stadt in grauen Rauchschwaden, verfallen, verkommen und bewohnt von kränklichen, missmutigen Menschen. Im Anschluss wurde diskutiert, was wahrscheinlicher sei. Utopie oder Dystopie? Ich wünschte mir Version eins, Version zwei hielt ich für realistisch. Heute leben wir in einer Variante aus beiden Entwürfen: Die Luft in unseren Städten ist vergiftet, die Bewohner sind krank und getrieben. Zugleich ist unser Alltag komfortabel durchdigitalisiert, in unseren Konsumwelten erfahren wir zuverlässig Oasenblasen des Glücks, die Medien bescheren uns Realitätsfluchten auf Knopfdruck. Zwischenstand: Die in Erfüllung gegangenen utopischen Elemente dienen vornehmlich der Verdrängung von wahr gewordener Dystopie.

Ist Wohlstand nur eine Kulisse? Ist Stadtarchitektur nur schöne Kulisse? Klar. Mit Ausnahme von Köln, wie man neulich mal wieder im Fernsehen zu hören bekam: eine schmutzige, unschöne Großstadt. Dabei sind ja alle deutschen Großstädte schmutzig. Der Schein trügt eben – der SUV an sich sieht ja auch erstmal sauber aus. Vielleicht braucht Köln für ein schöneres Stadtbild bloß mehr SUVs?

Kleiner dank SUV

Ich lebe hier seit über dreißig Jahren und finde Köln schön. Ich fahre hier gerne Fahrrad. Trotzdem kann und soll Köln schöner werden. Grüner. Und Fahrradfahren ist grün – vor allem, wenn es keinen Strom zieht. Weniger grün ist das, was man sich als Fahrradfahrer*in mit jedem Tritt in die Pedale durch die Nase zieht, wenn man die Abgase von SUV, Diesel & Co. ungefiltert in die Lunge posaunt bekommt. Hab ich schon erzählt, dass ich Ranga Yogeshwar mal am Steuer eines SUV gesehen habe? Das war total desillusionierend. In meiner naiven Wahrnehmung trug der sanfte Quarks-Moderator immer den grünen Gürtel. Aber – Achtung: Kalauer! – ein Grüngürtel allein macht Köln ja, s.o., nicht zur Öko-Pilgerstätte. Adenauer ist auch nicht als Schöpfer des Grüngürtels in die Geschichtsbücher eingegangen und schon gar nicht als Grüner Engel. Heute ist das Recht auf Vollgas zum Freiheitsrecht erhoben. Wie gut geht es uns eigentlich? Sind wir mittlerweile völlig irre? Und wissen SUV-Fahrer eigentlich, dass sie in ihren überdimensionierten Play-BIG-Kisten nicht größer, sondern kleiner wirken? Geschrumpft. Mini-Me.

Neulich jedenfalls hat die Böttinger den Yogeshwar sogar in ihrem Kölner Kuscheltreff auf seinen SUV angesprochen. Menschen wie Yogeshwar sagen übrigens lieber „großes Auto“ dazu. Diese Menschen haben dann für gewöhnlich noch ein schickes kleineres Elektrisches. Und damit fährt man natürlich 95 % blabla. Angesprochen auf „Freiwillig 120“, setzt Yogeshwar jedenfalls nicht auf Eigeninitiative. Er fordert das Tempolimit, er braucht Regeln: „Das ist nicht eine persönliche Entscheidung, das ist eine systemische Entscheidung.“ Wieso entweder oder? Natürlich verantworten wir die Klimakrise auch persönlich. Und Yogeshwar trifft hier durchaus eine persönliche Entscheidung, nämlich die, dass das keine persönliche Entscheidung ist. Yogeshwar jedenfalls verzichtet erst dann auf SUV, Tempo und innerdeutsche Flüge, wenn ihm ein amtliches Verbot vorliegt. Ein super Signal aus der Wissenschaftsfraktion. Danke.

Dankbar dank Verbot

Natürlich muss zuvorderst die Politik handeln. Und wenn sie es tut, muss man alternativen städtischen Verkehrskonzepten auch mal Zeit einräumen und die Chance auf Entfaltung und Nachjustierung, statt sie reflexhaft trotzig zu verdonnern. Aber auch jede und jeder von uns hat es selbst in der Hand. Anreize gibt es ja längst genug für eine grünere Stadt: Weniger Abgase, weniger Feinstaub, weniger Lärm, weniger Hektik, mehr Raum, mehr Ruhe, mehr Luft zum Atmen. Friedvolles Flanieren im öffentlichen Raum statt Kamikaze-Shopping. Vielleicht ist eines Tages gar der Spaziergang durch die Stadt, das Schaufensterln an sich Erfüllung genug, und nicht erst der orgastisch überhöhte Quittungsquickie an der Kasse. Konsum 2.0: Konsum ist nicht bloß, wenn du („Meins!“) etwas kaufst, sondern wenn du es auch nachhaltig genießt. Wenn du innehältst. Coffee to sit statt to go. Hugs for free.

Und so schließen wir in Zuversicht, auf dass wir Städter*innen endlich mal rauskommen aus dieser Angst-Stress-Routine, aus dieser Drang- und Gedrängesucht, aus stumpfer Impulsbelohnung, Gereiztheit, Wegduckerei, Meinungskrieg. Diesem Schwarzweiß. Schwarzweiß Dystopie. Grün Utopie. Meine Englischlehrerin sagte immer: „In English, please!“ In diesem Sinne: Just do it!

 

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Hartmut Ernst

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