1986 wurde Franz Rogowski in Freiburg im Breisgau geboren. Nach seinen Anfängen am HAU Hebbel am Ufer und der Schaubühne in Berlin sowie am Thalia-Theater in Hamburg, begann er 2011 mit „Frontalwatte“, auch Kinofilme zu drehen. „Love Steaks“ vom gleichen Regisseur Jakob Lass brachte ihm 2013 den nationalen Durchbruch, seit „Victoria“ von Sebastian Schipper wird er auch international wahrgenommen. Es folgten Filme wie „Fikkefuchs“, „Happy End“ von Michael Haneke und „Lux – Krieger des Lichts“. Die beiden Berlinale-Wettbewerbsfilme „Transit“ (Start: 5. April) und „In den Gängen“ (26. April), in denen Rogowski jeweils die Hauptrolle spielte, laufen in diesem Monat auch regulär in den Kinos an.
engels: Herr Rogowski, Sie sind nicht nur einer der European Shooting Stars in diesem Jahr, sondern waren mit „Transit“ und „In den Gängen“ auch gleich mit zwei Wettbewerbsfilmen auf der Berlinale vertreten. Sicherlich eine arbeitsintensive Zeit, oder?
Franz Rogowski: Ja, das war wirklich ein großes Abenteuer und fühlte sich so ein bisschen an wie ein Marathon. Das Einzige, was das Ganze von einem Marathon unterscheidet, ist die Tatsache, dass man am nächsten Tag gleich wieder einen Marathon läuft. Und dann nochmal – zehn Tage am Stück (lacht).
Trotzdem sicherlich toll, so ins Rampenlicht geholt zu werden. Ihre Bekanntheit und Popularität hat sich in den letzten Jahren enorm gesteigert, einen großen Anteil daran hat sicherlich „Victoria“, der damals auch auf der Berlinale lief...
Die eigene Popularität empfindet man gar nicht so, wie das häufig von außen wahrgenommen wird. Seit dreizehn Jahren mache ich nun Darstellende Kunst, das ging von der Straße über Theater hin zu Körper bis zu Sprache und Film. Jetzt ist die Aufmerksamkeit viel größer, aber ich arbeite nicht mehr als früher. Dass nun so viele zuschauen, ist natürlich genial, denn ohne Zuschauer funktioniert das ja nicht. Die Berlinale ist für mich so etwas wie mein Heimatfestival, seit Berlin zu meiner Wahlheimat geworden ist. Ich kann hier mit dem Fahrrad herfahren und habe nur zehn Minuten Anreisezeit. Wegen der European Shooting Stars war ich hier im Hotel untergebracht, das war wirklich die kürzeste Reise meines Lebens. Das Kofferpacken hat länger gedauert als die Fahrt zum Hotel mit dem Taxi.
War es bei „Transit“ für Sie einfacher oder schwerer, dass der historische Stoff des Films nicht auch in historischen Kulissen gedreht wurde?
Die Figuren im Film funktionieren ein bisschen wie Geister. Christian Petzold spricht auch immer gerne von Geistern in seinen Filmen. Sie sind aus der Zeit gefallen und deswegen auch in der Lage, zwischen den Zeiten zu mäandern. Vielleicht kann man auch mehr entdecken in einer Figur, wenn sie nicht so konkret verortet ist. Für das Spielen selbst muss es für mich immer konkret sein. Der Überbau entsteht in der Vorbereitung, bei der Entscheidung mit Christian zusammen das Buch zu verfilmen. Wenn ich später eine Liebe spiele, eine Angst oder eine Flucht, dann beschäftigt mich die Gleichzeitigkeit dieser literarischen Zeit aus deutscher Fluchtbewegung und Identität in Kombination mit europäischer Außengrenze und einer Fluchtbewegung nach Europa in unserer Zeit natürlich nicht, sonst könnte ich gar keinen Schritt mehr tun.
War das Lesen des Anna-Seghers-Romans für Ihre Vorbereitung wichtig?
Ja, das war sehr wichtig! Ich habe panisch Angst, die falschen Stoffe anzunehmen. Deswegen habe ich den Roman gelesen, bevor ich zugesagt habe. Also zuerst den Roman, dann das Drehbuch, danach habe ich Christian Petzolds Filme angesehen. Die meisten davon kannte ich bereits, ich bin aufgewachsen mit Petzold. Dann haben wir uns getroffen und über dieses Buch geredet. Ich hatte auch einen Kritikpunkt, aber der war vielleicht gut und hat eventuell dazu geführt, dass er mich eingeladen hat, mit ihm den Film zu machen.
Was für ein Kritikpunkt war das?
Petzold hat zwei Zeiten in seinem Drehbuch, die Zeit aus dem Roman und der deutschen Geschichte sowie das Heute, in das er diese Geschichte transportiert. In seinem Drehbuch gab es in einer Bar auch einen Flipper. Ich habe mich über diesen Flipper geärgert, weil der meiner Meinung nach weder zu Anna Seghers noch in unsere Zeit hineinpasst. Ich riet ihm, diesen Flipper zu streichen, weil ich es nicht gut fand, noch eine dritte oder gar vierte Zeit im Film zu erzählen. Diesen Einwand fand Petzold wohl ganz gut, da habe ich einen Pluspunkt gesammelt beim Casting.
Was hat Sie an der Geschichte oder an ihrer Umsetzung am meisten fasziniert, was war ausschlaggebend für Ihre Zusage?
Diese Gleichzeitigkeit von zwei Lebensrealitäten, die sich bei Christian nicht gegenseitig kommentieren, sondern einfach koexistieren, und dadurch einen Beobachtungsraum für den Betrachter öffnen. Im Drehbuch war von Anfang an klar, dass die Figuren zeitlose Kleidung tragen und eine Geschichte erzählen, die aus Anna Seghers Buch kommt, aber in unserer Zeit spielt, ohne den Versuch zu unternehmen, aktuelle Autos, Monitore etc. auszublenden. Ich fand das toll, dass sich die beiden Zeiten nicht gegenseitig stören, sondern sich eher erweitern. Obwohl der Roman 70 Jahre alt ist, liest er sich wie zeitgenössische Literatur, weil es um Menschen auf der Flucht geht, die in einem Bürokratiewahnsinn gefangen und gelähmt sind, der sie handlungsunfähig macht. Das ist heute nicht anders. Gerade Menschen, die in existenzieller Not sind, werden von verschiedenen Schutzwällen von Demokratie blockiert, die alle rein theoretisch eine Öffnung haben für die Bedürftigen, welche die aber erst einmal finden müssen.
Was ist Ihrer Meinung nach das Besondere an Christian Petzolds Art des Inszenierens?
Christian ist ein Regisseur, der es liebt, Geschichten zu erzählen. Das überträgt sich bei ihm auf alle Bereiche. Er hat im Vorfeld eine große Dichte an Referenzen, was andere Filme betrifft, Zitate oder Erzählungen, die seine Geschichte erweitern können. Er gibt uns Schauspielern Tipps, bestimmte Bücher zu lesen oder bestimmte Filme zu sichten, da bekommt man eine Menge Input. Bei den Dreharbeiten wurde jeden Tag vor dem eigentlichen Dreh auch noch geprobt. Dabei hat er dann mit Ideen und Referenzen die Szenen noch einmal veranschaulicht, die er da fürs Drehbuch geschrieben hatte. Diese theaterhaften Proben und die Tatsache, dass jeden Tag nur wenige Takes gedreht wurden, sind meiner Meinung nach sehr speziell für Christian. Ebenso einzigartig ist, dass er ein wandelndes Filmlexikon ist, und diese Liebe, die er seinen Figuren gegenüber entwickelt, die spürt man auch als Schauspieler, und die gibt einem viel Rückenwind und Auftrieb.
Die internationale Presse beschrieb Sie als „teutonischen Cousin von Joaquin Phoenix“. Ist so ein Vergleich für Sie eine Ehre oder eher peinlich?
Ich neige selbst nicht zum Vergleich, aber ich finde Joaquin Phoenix ist einer der faszinierendsten Schauspieler seiner Generation, da gibt es wirklich schlimmere Vergleiche (lacht).
Sie entsprechen nicht gerade dem klassischen Schauspielertyp, der von Agenten gut vermittelt werden kann. Mussten Sie am Anfang Ihrer Karriere deswegen besonders hart kämpfen, um sich durchzusetzen?
Ja, wobei das auch jeder muss, der auf die Ernst-Busch-Schauspielschule geht. Den Schauspielerberuf zu ergreifen kann einem eigentlich niemand ernsthaft empfehlen, der bei klarem Verstand ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass man am Ende damit genug für seinen Lebensunterhalt verdient, ist nicht sonderlich hoch. Meiner Meinung nach geht es aber auch nicht darum, eine Wahrscheinlichkeitsrechnung aufzustellen, das macht die Schule. Sondern es geht darum, wofür das Herz schlägt, wofür man leben möchte und wofür man ein Risiko eingehen möchte. Mit dieser Frage war ich auch konfrontiert, und ich hatte Glück.
Angesichts Ihrer Filmografie hat man den Eindruck, dass Ihr Herz eher für das Arthousekino schlägt. Ist das so oder hatten Sie bislang einfach noch keine Angebote für Mainstreamfilme?
Das sind bei mir durchaus bewusste Entscheidungen. Ich glaube aber, das Mainstream nicht schlecht sein muss beziehungsweise Arthouse genauso schlecht sein kann. Meiner Meinung nach war es z.B. absolut verdient, dass der erste Teil von „Fack ju Göhte“ diesen Erfolg hatte, den kein anderer hatte, weil kein anderer mit dieser Geschwindigkeit mit solchen Bildern diesen Humor so erzählt hatte. Man kann das mögen oder nicht, aber er ist, für das, was er sein wollte, ein absolut gelungener Film.
Für „Radegund“ haben Sie vor Kurzem sogar für Terrence Malick vor der Kamera gestanden. Wie waren Ihre Erfahrungen?
Terrence Malick hat die große Gabe, einem in fünfzehn Minuten das Gefühl zu vermitteln, man sei der Auserwählte, man sei auch ein Stückweit Teil seiner Familie. Und man ist das dann auch. Er sieht sehr schnell, welche Fähigkeiten man hat, und wo die Fähigkeiten aufhören. Er nutzt einen dann genau so, wie man eben sein kann. Dadurch entsteht in einer sehr kurzen Zeit schon eine Art Vertrautheit, in der fast alles möglich scheint. Da macht man halbstündige Improvisations-Takes, in denen man einfach nur aus dem Fenster schaut und fünf Minuten nichts passiert. Dann kommt die Sonne durch das Fenster und man spielt mit den Sonnenstrahlen auf dem Gesicht. Das ist eine sehr sphärische und auch spontane Arbeitsweise, bei der es eher darum geht, Stimmungen und Zustände zu kreieren und weniger psychologisch-narrative Dialoge auszutauschen. Man kann verstehen, wenn Kollegen sagen, es gibt eine Zeit vor Terry und eine Zeit nach Terry (lacht).
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