Marko Doringer, Jahrgang 1974, studierte an der Technischen Universität in Graz und danach in Wien Publizistik – beides ohne Abschluss. 1999 gründete er die Filmproduktionsfirma „Filmfabrik“ und drehte zwei Dokumentarfilme. „Mein halbes Leben“ ist sein erster Kinofilm.
engels: Herr Doringer, der Film beginnt als mit digitaler Wackelkamera gedrehtes Homemovie – erst später scheint aufwändigeres Equipment hinzuzukommen. Planten Sie dennoch bereits zu Beginn, dass am Ende ein Kinofilm daraus werden würde?
Marko Doringer: Ich war als Regisseur von Anfang an von der Stärke des Themas überzeugt. Aber ich muss gestehen: Mit dieser Meinung war ich fast alleine. Stellen Sie sich vor, da kommt ein junger Typ zu Ihnen und sagt, er sei jetzt knapp über 30, habe noch nichts erreicht im Leben, er sehe sich selbst als Loser - und genau darüber will er einen Kinofilm machen ... Aber es hat ja dann doch funktioniert! Dass der Film derart positiv vom Publikum aufgenommen wird, hat mich dann aber schon überrascht.
Es gibt Bilder von Ihnen mit einer komplizierten Filmapparatur am Körper. Worum handelt es sich dabei, und wie wirkt sich die Gerätschaft auf Ihr Filmen aus?
Es handelt sich bei „Mein halbes Leben“ um einen autobiografischen Film, ich führe selbst die Kamera. Einen Teil des Films habe ich mit einer speziellen Helmkamera gedreht. Damit sieht das Kinopublikum ‘die Welt, so wie ich sie sehe’ - absolut subjektiv. Nachdem die Idee zu dem Film aus einer ganz persönlichen Erfahrung entstanden ist - dass ich 30 wurde und damit große Probleme hatte - habe ich versucht, ein filmisches Stilmittel zu entwickeln, das meinem Bezug zum Thema des Films entspricht.
Sie schildern Ihr Gefühl von Unsicherheit und Stagnation sehr offen. Gab es Scham, sich derart persönlich zu präsentieren?
Ich liebe meinen Beruf. Aber ich sehe den Beruf als Dokumentarfilm-Regisseur durchaus auch kritisch: Ich bin für meinen Film auf die Lebensgeschichten anderer Menschen angewiesen und veröffentliche einen Teil ihres Privatlebens. Das ist bei einem guten Dokumentarfilm für alle Beteiligten nicht einfach. Aber am Schwierigsten ist es sicherlich für die Personen vor der Kamera, die dann auf der Leinwand zu sehen sind. Ich wollte mich als Regisseur einmal bewusst selbst dieser Situation stellen, einen Teil meines eigenen Lebens und meiner Schwächen veröffentlichen.
Funktionierte der Film für Sie als therapeutisches Mittel, aus einer depressiven Krise herauszufinden?
Ich sehe große Parallelen zwischen einem Therapeuten und dem Dokumentarfilm- Regisseur: Beide begleiten ihr Gegenüber über einen längeren Lebensabschnitt und versuchen dabei, immer wieder auf bestimmte Problempunkte einzugehen. Aber weder ein Film noch ein Therapeut kann die Probleme eines Menschen lösen - man ist nur ein Begleiter. In meinem speziellen Fall ist mein Leben so eng mit dem Film verstrickt, dass ich nicht beurteilen kann, ob mein Leben ohne Film anders verlaufen wäre.
Was kann man als nächstes von Ihnen erwarten?
In meinem nächsten Dokumentarfilm will ich mich mit Partnerbeziehung auseinander setzen. Ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Film auch wieder autobiografisch wird. Da gibt es in mir noch viele Ecken, die man beleuchten könnte.
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