Philip Scheffner, Jahrgang ’66, war in den 90er Jahren Mitglied der Autoren- und Produzentengruppe „dogfilm“, seitdem führt er zusammen mit Merle Kröger die Produktionsfirma „pong“ und macht Kinofilme, aber auch Kunstprojekte.
engels: Herr Scheffner, Ihr letzter Film „Der Tag des Spatzen“ entwickelt sich sehr assoziativ, „Revision“ hingegen belegt alleine schon mit dem Titel einen viel strengeren Diskurs – den der Justiz ...
Philip Scheffner: Ich glaube, der Hauptunterschied zwischen den beiden Filmen ist, dass „Revision“ von einer ganz konkreten Geschichte ausgeht und dann versucht, Kontexte und Perspektiven aufzuspüren und den Blick zu erweitern. Bei „Der Tag des Spatzen“ ist es genau umgekehrt, also eine Bewegung vom Abstrakten zum Konkreten.
Auf kriminalistischer Ebene kommt der Film kaum weiter als die damaligen Ermittlungen. Sie öffnen aber ganz andere Räume: als Erstes das Thema der Verdrängung und Vertuschung, das über den Ereignissen von Lichtenhagen bis in die Gegenwart seine Kreise zieht ...
In Bezug auf die konkrete Recherche haben wir tatsächlich weniger „Neues“ herausgefunden als vielmehr „Bekanntes“ nebeneinandergestellt – in einer Art von: Das ist es also, was man alles wusste oder hätte wissen können. Nach meiner Einschätzung ist aber genau dies im über zehn Jahre langen Verfahren oft untergegangen. Für uns stand also die Frage im Raum: Was kann ein Film zusätzlich leisten? Ich glaube, die Möglichkeiten des Films liegen in der Herstellung eines gesellschaftlichen Raums – wenn man den Kinoraum eben auch als gesellschaftlichen Raum versteht –, in dem Bezüge und Kontexte deutlich und sichtbar werden.
Daneben ist dem Film durch die Interviewtechnik auch ein selbstreflexives Moment zu eigen. Wozu diese Metaebene?
Dafür gibt es viele Gründe: Einmal wollte ich, dass die Menschen, mit denen wir sprachen, nie vergessen, dass gerade ein Film gedreht wird. Ich wollte sie in einer Situation des Reflektierens zeigen, nicht in der spontanen Situation des Überwältigtseins – z.B. wenn die Familien die Umstände des Todes ihrer Ehemänner und Väter erfahren. Ich wollte, dass sie wissen, was sie gesagt haben – und dies, ähnlich wie bei einer Zeugenaussage, auch noch mal bestätigen. Der wichtigste Aspekt aber ist der des Raums. Ich wollte eine Situation schaffen, in der wir als Filmteam und die Person, die man im Bildausschnitt sieht, aber auch der spätere Zuschauer etwas teilen. Im besten Fall kann so vielleicht dieser „gesellschaftliche Raum“ entstehen, von dem ich eben gesprochen habe.
Auch Sie halten Distanz. Nur einmal können Sie Ihre Empörung nicht mehr zurückhalten, als Sie beim Anwalt von den nicht geltend gemachten Versicherungsleistungen hören ...
Ich glaube, es ist wichtig, dass der Film einen nicht-skandalisierenden Tonfall wählt, um nicht in die Falle eines Opferdiskurses zu tappen. In dem Moment, den Sie angesprochen haben, konnte ich selbst diesen Tonfall nicht aufrechterhalten. Zunächst dachte ich, ich hätte mich verhört. Hier wird eine strukturelle Gewalt deutlich, die durch lauter scheinbar nachvollziehbare, vielleicht sogar in der Verfahrenslogik korrekte Entscheidungen wirksam wird und dazu führt, dass Menschen die aktive Teilnahme an einem Gerichtsverfahren unmöglich ist – gar nicht zu sprechen von der möglichen Klage auf Entschädigung. Vielleicht reagiert der Zuschauer da ähnlich und denkt: Hab’ ich mich gerade verhört? Was sagt der da?
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