Katharina Klewinghaus, Jahrgang ‘76, studierte in England Film. Seit 2005 lebt sie wieder in Berlin. „Science of Horror“ ist ihr erster langer Kinofilm.
engels: Eine anspruchsvolle Auseinandersetzung mit Horrorfilm, die die Themen Feminismus, Gender, Subversion einschließt - man hat fast den Anschein, als seien diese Diskurse hierzulande verschüttet...
Katharina Klewinghaus: Verschüttet sind diese Diskurse nicht, denn sie finden statt, auch hier in Deutschland. Das Problem ist eher, dass man diese Diskurse meist nur im akademischen oder subkulturellen Raum findet. Ich wollte mit „Science of Horror“ diesen schon lange existenten Diskurs auf die Leinwand bringen. Denn filmisch sind die feministischen Ansätze zum Horror auch über die deutschen Grenzen hinaus unentdeckt bzw. vermieden worden. Man kann von einer generellen Furcht oder auch Ablehnung des Themas Feminismus sprechen, denn man sieht darin immer noch ein minoritäres und somit unrentables Feld.
Es gibt ja eigentlich keinen deutschen Horror- und Splatterfilm, obwohl in Deutschland von Wilhelm Friedrich Murnau oder Robert Wiene die Blueprints für den Horrorfilm gelegt wurden. Später gibt es nur Einzelfälle und die eigenwilligen Ausformungen durch Jörg Buttgereit, Christoph Schlingensief und Wenzel Storch. Woran könnte das liegen?
In der Tat zwingt sich die Frage auf, warum es nach der Grundsteinlegung durch den Expressionismus nie zu einer deutschen Horrortradition gekommen ist. Kann man die Gründe dafür in unserer Geschichte finden, die Traumatisierung, Schuldkomplex und Verdrängung zur Folge hatte und eine Auseinandersetzung mit Themen der Gewalt unmöglich machte? Horror ist auch ein Versuch, Formen der Gewalt zu erfassen. Bis heute fällt es schwer, eine Sprache für den Holocaust zu finden. Das gilt vor allem in Deutschland. Die einzige filmische Darstellung, die meiner Ansicht nach eine annähernd mögliche Form für dieses Ausmaß an Grausamkeit gefunden hat, ist „Shoah“ von Claude Lanzmann. Interessant ist auch die Frage, warum die deutsche Zensur soviel schärfer gehandhabt wird als in anderen westlichen Demokratien. In keinem anderen europäischen Land werden derart viele Filme indiziert bzw. beschlagnahmt. Das zeigt auch, wie schwer es sein muss, die Finanzierung für einen deutschen Horrorfilm zu erzielen und andererseits, wie hoch das Maß der Sensibilisierung zum Thema Gewalt bzw. wie aktuell das Thema Verdrängung ist.
Im internationalen Mainstream gibt es zurzeit vor allem genrekonforme Massenware oder Torture Porn wie „Saw“ oder „Hostel“. Wie könnte eine spannendere Zukunft des Genres aussehen?
Beim Torture Porn sollte man bedenken, dass es sich hier nur um ein Subgenre des Horrorfilms handelt. Da es ein breites Publikum anspricht, die Kassen füllt und zudem den Diskurs der Darstellung von Gewalt wieder ins Rampenlicht gerückt hat, neigt man dazu, ihn als den neuen Horror zu betrachten. Man könnte ihn aber auch einfach als einen Sprössling des Slasherfilms der 70/80er Jahre betrachten, der nach der postmodernen Parodie der 90er, z.B. in Filmen wie „Scream“, eine Rückkehr zur ‚Ernsthaftigkeit’ will. Wie viel Ernst, überzogenes Spektakel oder gewinnbringendes Spiel mit Affekten dahinter steckt, sei einmal dahingestellt. Es gibt aber auch andere Horrorfilme, wie „The Descent“, „REC“ oder „Das Waisenhaus“, die neue und mitunter interessante Wege darstellen.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24
„Alles ist heute deutlich komplizierter geworden“
Julien Hervé über „Oh la la – Wer ahnt denn sowas?“ – Gespräch zum Film 03/24
„Versagen ist etwas sehr Schönes“
Regisseur Taika Waititi über „Next Goal Wins“ – Gespräch zum Film 01/24
„Ich muss an das glauben, was ich filme“
Denis Imbert über „Auf dem Weg“ – Gespräch zum Film 12/23
„Ich hatte bei diesem Film enorm viel Glück“
Tarik Saleh über „Die Kairo Verschwörung“ – Gespräch zum Film 04/23
„Ich wollte das damalige Leben erfahrbar machen“
Maggie Peren über „Der Passfälscher“ – Gespräch zum Film 10/22
„Ich wollte das Geheimnis seiner Kunst ergründen“
Regina Schilling über „Igor Levit – No Fear“ – Gespräch zum Film 10/22
„Migration wird uns noch lange beschäftigen“
Louis-Julien Petit über „Die Küchenbrigade“ – Gespräch zum Film 09/22
„Die Wüste ist ein dritter Charakter im Film“
Stefan Sarazin über „Nicht ganz koscher – Eine göttliche Komödie“ – Gespräch zum Film 08/22
„Diese Generationenkonflikte kennen viele“
Katharina Marie Schubert über „Das Mädchen mit den goldenen Händen“ – Gespräch zum Film 02/22
„In der Geschichte geht es um Machtverhältnisse“
Bettina Oberli über „Wanda, mein Wunder“ – Gespräch zum Film 01/22
„Wir wollten kein langweiliges Biopic machen“
Regisseur Andreas Kleinert über „Lieber Thomas“ – Gespräch zum Film 11/21
„Gustave Eiffel war seiner Zeit voraus“
Martin Bourboulon über „Eiffel in Love“ – Gespräch zum Film 11/21
„Richtiges Thema zur richtigen Zeit“
Sönke Wortmann über „Contra“ – Gespräch zum Film 10/21
„Wie spricht man mit einem Kind über den Tod?“
Uberto Pasolini über „Nowhere Special“ – Gespräch zum Film 10/21
„Seine Kreativität lag lange im Verborgenen“
Sonia Liza Kenterman über „Der Hochzeitsschneider von Athen“ – Gespräch zum Film 09/21
„Du denkst, die Erde bebt“
Regisseurin Anne Zohra Berrached über „Die Welt wird eine andere sein“ – Gespräch zum Film 08/21
„Ich würde so gerne gehen. Aber ich weiß nicht, wohin.“
Produzentin Bettina Wente über „Nahschuss“ – Gespräch zum Film 08/21
„Es geht bei Fassbinder um Machtstrukturen“
Oskar Roehler über „Enfant Terrible“ – Gespräch zum Film 10/20
„Familienfilm mit politischer Haltung“
Dani Levy über „Die Känguru-Chroniken“ – Gespräch zum Film 03/20
„Nicht alles erklären“
Patrick Vollrath über „7500“ – Gespräch zum Film 01/20
„Corinna Harfouch ist eine Klasse für sich“
Jan-Ole Gerster über „Lara“ – Gespräch zum Film 11/19
„Der Film brauchte eine Bildgewalt“
Christian Schwochow über „Deutschstunde“ – Gespräch zum Film 10/19
„Das Thema war in der DDR absolut tabu“
Bernd Böhlich über „Und der Zukunft zugewandt“ – Gespräch zum Film 09/19