Zu einem Rausch bedarf es nicht zwingend Drogen. Heutzutage surfen die halben USA bei klarem Verstand in einen aus Lügen und Verschwörungserzählungen genährten Trip namens „Be Great Again“. Auch hierzulande schürt die AfD einen Rauschzustand, den sie geschickt durch künstlich geschürte Ängste auslegt und sich so als letzte verbliebene Partei im deutschen Bundestag eine – euphorisierte und zugleich abgestumpfte – Stammwählerschaft bewahrt. Eine Stammwählerschaft, die sich abhängig macht von einem vermeintlichen Erlöser und die gedanklich extrem eingenommen ist. Die die Konsequenz des eigenen impulsiven Handelns übersieht und spätestens in der Wahlkabine die situative Handlungskontrolle verliert. Die Droge der AfD ist ihre Rhetorik. Ihre Substanz: Hass. Ihre Wirkung: Angst. Ihr Angebot: Erlösungsversprechen aus geschürten Ängsten. Das blaue Rauschen.
Poker der Langeweile
Den rauschmittelfreien Rausch bis in den Tod, den Kontrollverlust, die vermeintliche Erlösung, die gedankliche Eingenommenheit und den Verlust situativer Handlungskontrolle bedingen derweil nicht nur politischer Populismus oder fundamentalistische Religion. Bis zurück in die Antike reicht auch der Arm einer anderen Spielart: der des Glücksspiels. Dabei ist hier schon der Name Bluff: Glücksspiel verspricht Glück, beschert aber den meisten Unglück. Glücksspiel ist Unglücksspiel, und es sucht sich seine Opfer bevorzugt unter denen, die ohnehin bereits vom Pech verfolgt sind. Wenn James Bond hochglanzgepinselt im Casino am Pokertisch sitzt, dann spiegelt das Glanz und Brachialgewinn. Tatsächlich geht es in derlei elitären Gefilden um nichts, denn die Klientel hat bereits alles, wenn sie gelangweilt ihre Jetons setzt. Der Reiz beim Glücksspiel liegt derweil darin, etwas zu riskieren. Adrenalin. Weil es um etwas geht. Um alles geht es dann auch viel zu oft am Glücksspielautomat in den Spielhallen oder an Geldspielautomaten in Schankwirtschaft, an Wettannahmestelle und im Online-Casino. Der Einstig in die Unglücksspirale ist dabei noch risikoarm und vielversprechend. Für gewöhnlich erfolgt aus einer ersten Schnupperphase bei ansteigender Risikobereitschaft eine wachsende Gewinnerwartung. Irgendwann beherrscht das Spiel die Gedanken auch jenseits des Spiels. Unruhe, Angespanntheit, Niedergeschlagenheit. Vernachlässigung von Familie und Freundeskreis. Lügen. Kontrollverlust. Die letzte Hoffnung: „All in!“ Schulden. Scheidung. Jobverlust. Und immer wieder: Suizid. So die Worst-Case-Spirale, die viele trifft: Die Glücksspielindustrie verdankt einen hohen Anteil ihres Umsatzes Menschen mit problematischem Glücksspielverhalten. Und die werden von Vorbildern wie Ronaldo, Schweinsteiger und Podolski von den Plakatwänden herunter grienend dazu angeheizt.
Lobbyglück
Die Politik weiß davon und sollte Bürger:innen schützen. Da derlei Angelegenheit Ländersache ist, finden sich nur schwerlich übergreifende Lösungen. Und die Politik verdient ausgesprochen gut mit am Pech der Verlierer: 5,2 Milliarden Euro aus Steuern und Abgaben im Jahr 2021. Da kann man sich in etwa ausmalen, was hier an Gewinn dahintersteckt. Entsprechend wacker leistet die Glücksspielindustrie über Lobbyarbeit Widerstand. Kein Wunder, dass der neue Glücksspielstaatsvertrag von 2021 vor allem Anbieterinteressen bedient – und medial breit aufgestellt werben darf für das schnelle Geld mit dem Unglück der ohnehin Glücklosen. Glücklose, von denen so manche AfD wählen und die auch der AfD völlig egal sind. Gute Zeiten für Verführer.
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Zum Wohl!
Intro – Rausch im Glück
Konsum außer Kontrolle
Teil 1: Leitartikel – Was uns zum ständigen Kaufen treibt
„Dann übernimmt das Lusthirn“
Teil 1: Interview – Psychotherapeutin Nadine Farronato über Kaufsucht
Teufelskreis im virtuellen Warenkorb
Teil 1: Lokale Initiativen – Die Caritas-Suchthilfe hilt auch bei Kaufsucht weiter
Lebensqualität gegen Abwärtsspirale
Teil 2: Leitartikel – Drogensucht ist kein Einzelschicksal, sie hat gesellschaftliche Ursachen
„Wir haben das Recht auf Rausch“
Teil 2: Interview – Mediziner Gernot Rücker über die Legalisierung von Drogen
Zwischen Blüte und Bürokratie
Teil 2: Lokale Initiativen – Der Cannabas-Club e.V. und der neue Umgang mit Cannabis
„Ich vermisse die Stimme der Betroffenen“
Teil 3: Interview – Psychologe Tobias Hayer über Glücksspielsucht
Suchthilfe aus der Ferne
Teil 3: Lokale Initiativen – Online-Projekt des Evangelischen Blauen Kreuzes in NRW hilft Abhängigen
Ausgespielt!
Spielautomaten aus Kleinstädten verbannt – Europa-Vorbild: Rumänien
German Normalo
Zwischen Selbstoptimierung und Abhängigkeit – Glosse
Multipolare Wirklichkeit
Teil 1: Leitartikel – Der Abstieg des Westens und der Aufstieg des BRICS-Bündnisses
Ausgebeutet und gegeneinander aufgehetzt
Teil 2: Leitartikel – Wie der Westen Afrika in die Dauerkrise gestürzt hat
Gewalt mit System
Teil 3: Leitartikel – Patriarchale Strukturen ermöglichen sexualisierte Gewalt als Kriegsmittel
Politik fürs Gemeinwohl?
Teil 1: Leitartikel – Wer das Interesse des Landes im Sinn hat, hetzt keine sozialen Gruppen gegeneinander auf
Zukunft? Kannst'e Dir sparen!
Teil 2: Leitartikel – Die Schuldenbremse ist ökonomischer Irrsinn und zudem undemokratisch
Falscher Frieden
Teil 3: Leitartikel – Neuwahl im permanenten Kriegszustand
Zum Schlafen und Essen verdammt
Teil 1: Leitartikel – Deutschlands restriktiver Umgang mit ausländischen Arbeitskräften schadet dem Land
Rassismus kostet Wohlstand
Teil 2: Leitartikel – Die Bundesrepublik braucht mehr statt weniger Zuwanderung
Schulenbremse
Teil 3: Leitartikel – Was die Krise des Bildungssystems mit Migration zu tun hat
Glücklich erinnert
Teil 1: Leitartikel – Wir brauchen Erinnerungen, um gut zu leben und gut zusammenzuleben
Aus Alt mach Neu
Teil 2: Leitartikel – (Pop-)Kultur als Spiel mit Vergangenheit und Gegenwart
Nostalgie ist kein Zukunftskonzept
Teil 3: Leitartikel – Die Politik Ludwig Erhards taugt nicht, um gegenwärtige Krisen zu bewältigen