Die BRICS-Staaten schicken sich an, die Kräfteverhältnisse nachhaltig zu verschieben. Mit der Aufnahme Indonesiens zu Beginn des Jahres ist das 2006 von Brasilien, Russland, Indien und China gegründete und 2010 um Südafrika erweiterte Bündnis auf mittlerweile zehn Staaten angewachsen. BRICS steht mittlerweile für fast die Hälfte der Weltbevölkerung und knapp 40 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung (nach Kaufkraftparität). Zum Vergleich: Die G7-Staaten bestehend aus USA, Vereinigtes Königreich, Frankreich, Japan, Kanada, Italien und Deutschland – wobei nur Kanada keine ehemalige Kolonialmacht ist – kommen bei weniger als zehn Prozent der Weltbevölkerung auf knapp 29 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung.
BRICS vs G7
Vor allem für die Staaten Afrikas stellt BRICS eine Möglichkeit wirtschaftlicher Emanzipation aus postkolonialen Ausbeutungsverhältnissen dar. Das räumte selbst die Deutschen Welle im Oktober 2024 anlässlich eines BRICS-Treffens im russischen Kasan ein: Zwar habe Afrika seit langem Verbindungen zu westlichen Ländern, der Aufstieg der BRICS-Schlüsselmitglieder China und Russland habe aber „den westlichen Einfluss über die vergangenen Dekaden etwas schwinden lassen“.
Flughafen statt Vortrag
„Wie konnte das passieren?“, fragen da westliche Politiker und Kommentatoren. Dabei verweisen sie besonders auf den aus ihrer Sicht autokratischen und menschenverachtenden Charakter Russlands und Chinas. Die wohlkalkulierte Antwort des Südens: „Wenn wir mit China sprechen, bekommen wir einen Flughafen; sprechen wir mit Deutschland, bekommen wir einen Vortrag“, sagte Ngozi Okonjo-Iweala, Generaldirektorin der Welthandelsorganisation (WTO) im September 2024 als Ehrengast auf einer Botschafterkonferenz im Berliner Auswärtigen Amt. Mit „wir“ meinte die Nigerianerin die Länder Afrikas. Okonio-Iweala bringt nicht nur das jeweilige Image Deutschlands und Chinas im globalen Süden auf den Punkt. Nein, sie reflektiert auch noch eine generelle Verschiebung der Kräfteverhältnisse im Welthandel, von dem neben dem globalen Süden insgesamt besonders Afrika profitiert.
Rassisten stützen
Flankiert wird diese Verschiebung im gesamten globalen Süden durch ein gemeinsames Schicksal. Bis auf Russland teilen die BRICS und Afrika eine kolonialen Vergangenheit. Und auch, wenn das Russland Wladimir Putins nicht mehr die antikoloniale Sowjetunion ist, wird sich deren Erbes erinnert: Man sehe Russland weiterhin als wertvollen Verbündeten und Freund, „der uns von Anfang an unterstützt hat, seit den Tagen unseres Kampfes gegen die Apartheid“, sagte Cyril Ramaphosa, Südafrikas Staats- und Regierungschef in Kasan. Der „Werte-Westen“ stützte hingegen das rassistische Apartheidregime bis kurz vor Schluss.
Kollektive Amnesie
Und auch in Bezug auf den Krieg in der Ukraine üben sich BRICS und Afrika in Zurückhaltung. Denn während im Westen die eigene jüngste kriegerische Vergangenheit kollektiver Amnesie anheimgefallen ist, erinnert sich der globale Süden an den völkerrechtswidrigen Angriff der Nato auf Jugoslawien 1999, den fast zwanzig Jahre währenden Krieg in Afghanistan und den mit Lügen begründeten Einmarsch in den Irak 2003 nur zu gut. Ganz zu schweigen vom im kollektiven Bewusstsein aufgehobenen Trauma jahrhundertelanger kolonialer Unterdrückung, Ausbeutung, Sklaverei und Völkermord durch den heutigen Westen.
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