Es ist an Grausamkeit kaum zu überbieten: Nach dem Bosnienkrieg in den frühen 1990er Jahren berichteten Überlebende, dass sexualisierte Gewalt gezielt als Kriegsmittel eingesetzt wurde – zehntausende Opfer werden vermutet. Seitdem gilt sexualisierte Kriegsgewalt nicht mehr als „Kollateralschaden“, sondern als Menschenrechtsverbrechen, festgeschrieben in mehreren UN-Resolutionen und Präzedenzfällen am Internationalen Strafgerichtshof. Ein bedeutender Fortschritt im Kampf für Frauen- und Mädchenrechte weltweit.
Bedeutender Fortschritt
In der Berichterstattung über den Ukraine-Krieg und den Angriff der Hamas auf israelische Zivilisten liegt ein Fokus auf mutmaßlichen oder nachgewiesenen Fällen sexualisierter Gewalt, die gezielt als Kriegsinstrument eingesetzt wird. Das ist ein Fortschritt, weil so das strukturelle Problem sichtbar wird und die Taten nicht als Einzelfälle abgetan werden, begangen von Tätern, die „sich nicht im Griff haben“. Frauen, Kinder, queere und Trans-Personen sowie Männer sind betroffen. Sie werden im Krieg gezielt eingeschüchtert, gedemütigt und vertrieben, Gesellschaften und Kulturen geschwächt.
Oft sei gar kein direkter Befehl nötig, damit es zu Vergewaltigungen kommt, erklärte die Historikerin Marta Havryshko 2023 in einem ARD-Interview am Beispiel der Ukraine. Es genüge, wenn militärische Vorgesetzte Übergriffe duldeten und ein Umfeld entstehe, das solche Taten begünstigt und nicht bestraft.
Gewalt in Friedenszeiten
Krieg verstärkt bestehende Ungleichheiten, nicht zuletzt die Benachteiligung und Gewalt gegen Frauen, tief verankert in patriarchalen Strukturen. In manchen Kulturen werden Überlebende sexualisierter Kriegsgewalt geächtet und sozial ausgegrenzt. „Wenn Mädchen und Frauen geschützt werden sollen, muss auch in friedlichen Zeiten geschlechtsspezifische Gewalt bekämpft und die Gleichstellung der Geschlechter gefördert werden“, schreibt die Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes. Feministische Außenpolitik, in der Ampel-Regierung vor allem vertreten durch Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), verfolgt genau dieses Ziel: Frauenrechte weltweit zu stärken, Frauen politisch besser zu vertreten und stärker an Friedensprozessen zu beteiligen.
Elitäre Außenpolitik?
Die Umsetzung feministischer Außenpolitik, betrieben etwa auch durch Kanada, bleibt allerdings ein schwieriges Geschäft, um es vorsichtig auszudrücken. Kritiker sehen in dem Bestreben, Moralvorstellungen zu exportieren, ein elitäres oder sogar kolonialistisches Konzept. Klar ist: Eine bloß diplomatische oder entwicklungspolitische Strategie reicht im Kampf gegen sexualisierte Kriegsgewalt nicht aus. Es muss darüber hinaus gewährleistet sein, dass es möglich ist, Täter vor Gericht zur Verantwortung zu ziehen und Täterstaaten mit internationalen Sanktionen zu belegen.
Das im Völkerstrafrecht verankerte Weltrechtsprinzip erlaubt es, schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit, darunter auch sexualisierte Kriegsgewalt, unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Täters oder des Opfers sowie vom Tatort zu verfolgen. Für eine erfolgreiche Strafverfolgung und den Schutz der Opfer, braucht es in Kriegsgebieten unbedingt mehr spezialisierte Psychologen, Ärzte und psychologisch geschulte Ermittler.
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