Warum ist es so viel schwerer, Menschen zum Tanz zu locken, als ins Theater? „Weil die Leute viele Jahre fast nur Schrott gesehen haben“, sagt Klaus Dilger, der gemeinsam mit Achim Conrad das Tanzfestival „Flow“ für Köln und Bonn aus der Taufe gehoben hat. Tatsächlich ist das Publikum in der Vergangenheit nur zu oft mit leeren Tanzgesten abgespeist worden. Egozentrik der Künstler vereinte sich da nicht selten mit schwach ausgearbeiteten Konzepten oder fehlender Dramaturgie. „Dass es in Köln keinen festen Ort für den Tanz gibt, fördert auch nicht gerade das Vertrauen der Menschen in die Tanzkunst, denn man kann sich nicht auf ein Programm mit einem verbürgten Qualitätsstandard wie im Tanzhaus in Düsseldorf verlassen“, meint Achim Conrad.
Dennoch, die Zeiten haben sich geändert, die Choreographen der freien Szene in NRW genießen internationale Anerkennung. Wo sie im Ausland gastieren, sind die Säle voll. Nur in der Heimat bleibt das Publikum skeptisch und beschränkt sich im Umfang oftmals auf den Kreis der Szene. Aber Tänzer sind pragmatisch, und so kämpft man nun mit anderen Mitteln um das Verständnis des Publikums. Einführungen, Weiterbildung und Kommunikation sollen helfen. Mit einem Mal bieten Slava Gepners TanzFaktur ebenso wie das Michael Douglas Kollektiv in der Orangerie und Silke Z. im Studio 11 Vermittlung für Tanzinteressierte an. Das Festival „Flow“ stellte Spezialisten ab, die Besucher beim Blick in die Produktionen begleiten, Konzepte erklären und das Publikum buchstäblich an die Hand nehmen.
Die lit.Cologne hat gezeigt, wie man Kultur über große Namen und die Sogkraft eines Festival-Events belebt. „Man muss das Feuer der Neugierde schüren“, sagt Achim Conrad, und die stets ausverkauften Tanz-Gastspiele in Oper und Schauspiel mit den Stars der Tanzwelt beweisen, dass auch Massen angelockt werden können. Die Bühnen der Stadt lieferten dem „Flow“ Festival mit dem Gastspiel „Lo Real“ des Spaniers Israel Galvan denn auch gleich den Veranstaltungsrahmen für den Eröffnungs-Event. Bisher mochte das Publikum den Schritt vom Opernparkett in die Hallen der Szene nicht vollziehen. Vielleicht ändert sich daran etwas, wenn man in Bonn und Köln registriert, dass die Tanzkunst Erlebnisse beschert, die sich tief in die Erinnerung einschreiben und einen perfekten Ausgleich zur zweidimensionalen digitalen Welt darstellen, in die wir einen großen Teil des Tages eingebunden sind. Mit einer Plakataktion, die attraktive Tanzfotos im Stadtbild von Bonn und Köln auch in Zukunft verankern soll, wollen Dilger und Conrad die Wahrnehmung für den Tanz schärfen.
Der Fotograf Joris Jan Bos macht es vor, wenn er die Brennweite seiner Kamera auf die Wimpern der Tänzerin Chloe Albaret vom Nederlands Dance Theater einstellt und so pointiert die Gestik ihres Körpers in den Blick rückt. „Der Moderne Tanz verlangt offenbar nach einem besonderen Zugang, um erkennen zu können, dass sich mitunter in einer einzigen Bewegung eine ganze Welt an Bedeutung öffnet, die sich zu entdecken lohnt“, erklärt Klaus Dilger. Man wird also in Zukunft mehr Nähe zu seinem Publikum aufbauen müssen, um über den Blick in die Werkstatt die Faszination für das Kunstwerk Tanz zu erzeugen.
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