engels: Herr Hartwig, was ist Diplomatie?
Matthias Hartwig: Eine rechtlich festgelegte Definition gibt es nicht, aber es gibt im Völkerrecht Verträge, die den Schutz von Diplomaten regeln. Ich würde Diplomatie als das Bemühen bezeichnen, durch Repräsentation und Verhandlung einen Ausgleich zwischen zwei Staaten zu schaffen, einen Ausgleich auf friedliche Weise.
Was ist „stille Diplomatie“?
Früher ging die Diplomatie so weit, dass nicht einmal die Ergebnisse diplomatischer Verhandlungen immer offen nach außen kommuniziert wurden.Bis zum Ersten Weltkrieg – teilweise danach – gab es zahlreiche Geheimverträge, von denen die Öffentlichkeit nichts wissen sollte.Lenin und Woodrow Wilson stellten sich dagegen. Seitdem ist es überwiegende Praxis, Verträge offenzulegen. Die stille Diplomatie hat bis heute aber auch Vorteile – es ist nicht schlecht, wenn manche Dinge hinter verschlossenen Türen bleiben. Es gibt den Beteiligten die Möglichkeit, Grenzen auszuloten und Optionen zu eruieren– ohne dass jemandGefahr läuft, das Gesicht zu verlieren, wenn er seine ursprünglichen Forderungen nicht durchsetzen kann. Nehmen wir den Ukraine-Krieg: Nach dem öffentlichen Dekret Selenskyjs, niemals mit Putin zu verhandeln, würde er das Gesicht verlieren, geriete er doch in eine Situation, mit Putin verhandeln zu müssen. Man sollte also Diplomatie hinter verschlossenen Türen nicht unterschätzen. Das Informelle und Nicht-Öffentliche sind Teil der Diplomatie. Viele sind der Meinung, dass Diplomaten ein bequemes Leben führen mit schönen Essen etc., aber gerade hier werden wichtige Dinge vorbereitet, die beteiligten Parteien lernen sich kennen, können Vertrauen aufbauen und Positionen abtasten.
Wer ist Diplomat?
Man denkt in erster Linie an Botschafter, die ihr Land repräsentieren. Dies ist Teil der Diplomatie, etwa das Eröffnen einer Ausstellung oder die Teilnahme an einem Gedenktag. Bei zwischenstaatlichen Verhandlungen haben Botschafter allerdings an Bedeutung verloren. Alleine schon durch die schnelleren Kommunikationswegestehen sie unter stärkerer Kontrolle ihres Außenministeriums. Verhandlungen führen Spezialisten aus den jeweiligen Ländern, wie bei der Weltklimakonferenz. Auch Politiker sind nun stärker in die Diplomatie eingebunden, stützen sich allerdings stets auf die Vorarbeit und Hilfe ihrer Diplomaten.
Außenministerin Annalena Baerbock tritt sehr direkt auf.
Vergleicht man sie mit ihrem Amtsvorgänger Heiko Maas, so spricht sie deutlicher ihre Meinung aus. Die entspricht nicht immer diplomatischen Gepflogenheiten.
Eine neue Diplomatie?
Ich bin da skeptisch. Diplomatie hat auch immer von Diskretion gelebt, gerade in der Kommunikation nach außen bzw. vor Publikum. Man war einfach nicht so direkt. Tatsächlich war Diplomatie nie geeignet für das große Publikum, das gerne offene Auseinandersetzungen und hitzige Diskussionen hätte.
Bräuchte es eine neue Diplomatie?
Ich denke, man muss sich erst die Frage stellen, was man erreichen will. Die nächste Frage ist, wie man dies erreichen kann. Während man früher davon sprach, die Leute mit Glacéhandschuhen anzufassen, hat man den Eindruck, dass jetzt manche die Holzfällerhandschuhe anziehen. Ich glaube nicht, dass das zum allgemeinen Stil der Diplomatie wird. Zum einen nimmt man sich durch die große Offenheit und Direktheit die Flexibilität, von der Anfangsposition abzuweichen und Lösungen im Wege von Kompromissen zu erreichen. Zum anderen muss man immer beachten, dass die Form der Kritik sich in verschiedenen Kulturkreisen unterscheidet. Hier ist in der Diplomatie ein hohes Maß an Sensibilität gefordert. Nehmen wir Asien: Wenn Sie dort offen Kritik äußerten, würde Ihr Gegenüber dies oft als persönlich beleidigend ansehen. Die westliche Diplomatie ist oft stark im westlichen Kulturkreis befangen, wo ein offenes Wort bisweilen als erfrischend angesehen wird. So ist denn auch der berühmte Klartext, wenn er verwendet wird, oft mehr an das westliche Publikum gerichtet als an den Gesprächspartner. Man darf aber nicht vergessen, dass es auch andere Umgangsformen gibt. Hier ist kulturelle Sensibilität gefragt. Es ist oft nicht hilfreich, dem anderen die Türe vor den Kopf zu schlagen, man muss sich bewusst bleiben, dass man weiterhin mit ihm an einem Tisch sitzen und verhandeln können muss. Eine ungeschminkte Sprache ist nicht immer der beste Weg zur Zielerreichung; für die Diplomatie gilt, was schon im Lateinischen einen treffenden Ausdruck fand: suaviter in modo, fortiter in re: höflich in der Form, hart in der Sache.
FRIEDENSVERTRAG - Aktiv im Thema
deutschlandfunk.de/weltwirtschaftsordnung-entwicklungslaender-industrielaender-100 | Der Beitrag diskutiert die Forderungen des Globalen Südens nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung.
2030agenda.de | Das Projekt informiert über die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, auch über ihre Umsetzung in und durch Deutschland.
verfassungsschutz.de/SharedDocs/hintergruende/DE/wirtschafts-wissenschaftsschutz/chinas-neue-wege-der-spionage | Der Verfassungsschutz diskutiert Chinas Strategien der (Wirtschafts-) Spionage.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@engels-kultur.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Pflichtvergessene Politik
Intro – Friedensvertrag
Redet mehr über Geld!
Ohne ökonomisches Wissen bleiben Bürger unmündig – Teil 1: Leitartikel
„Die Situation Russlands wird sehr genau beobachtet“
Politologe Stephan Klingebiel über die Wirkung von Wirtschaftssanktionen – Teil 1: Interview
Von Behördendeutsch bis Einbürgerung
Wuppertals Flüchtlingshilfe Nordstadt – Teil 1: Lokale Initiativen
Spiel mit dem Feuer
Taiwan-Konflikt: Westliche Antidiplomatie riskiert Waffengang – Teil 2: Leitartikel
Aus der Geschichte lernen
Das Friedensbildungswerk Köln – Teil 2: Lokale Initiativen
Glaubenskrieg
Politische Narration im bewaffneten Konflikt – Teil 3: Leitartikel
„Das erscheint dramatischer, als es wirklich sein dürfte“
Politologe Herfried Münkler über eine neue Epoche internationaler Friedensordnung – Teil 3: Interview
Bürger und Arbeiter stärken
Die Romero-Initiative unterstützt Zivilgesellschaften in Mittelamerika – Teil 3: Lokale Initiativen
Eingeständnis des Versagens
Entschuldigung an Opfer und Hinterbliebene von Srebrenica – Europa-Vorbild: Niederlande
Diplomatische Kalaschnikow
Über einen missverstandenen Beruf – Glosse
„Es braucht Kümmerer-Strukturen auf kommunaler Ebene“
Teil 1: Interview – Soziologe Michael Sauer über Migration und Arbeitsmarktpolitik
„Ein Überbietungswettbewerb zwischen den EU-Staaten“
Teil 2: Interview – Migrationsforscherin Leonie Jantzer über Migration, Flucht und die EU-Asylreform
„Die Kategorie Migrationshintergrund hat Macht“
Teil 3: Interview – Migrationsforscher Simon Moses Schleimer über gesellschaftliche Integration in der Schule
„Erinnerung ist anfällig für Verzerrungen“
Teil 1: Interview – Psychologe Lars Schwabe über unseren Blick auf Vergangenheit und Gegenwart
„Früher war Einkaufen ein sozialer Anlass“
Teil 2: Interview – Wirtschaftspsychologe Christian Fichter über Konsum und Nostalgie
„Nostalgie verschafft uns eine Atempause“
Teil 3: Interview – Medienpsychologe Tim Wulf über Nostalgie und Politik
„Ich muss keine Konsequenzen fürchten“
Teil 1: Interview – Spieleautor und Kulturpädagoge Marco Teubner über den Wert des Spielens
„Viele Spiele haben noch einen sehr infantilen Touch“
Teil 2: Interview – Medienpädagoge Martin Geisler über Wandel in der Videospiel-Kultur
„Genießen der Ungewissheit“
Teil 3: Interview – Sportpädagoge Christian Gaum über das emotionale Erleben von Sportevents
„Der Verkauf des Kaffees nach Europa ist gestoppt“
Teil 1: Interview – Sebastian Brandis, Sprecher der Stiftung Menschen für Menschen, über das EU-Lieferkettengesetz
„Die Bürger vor globalen Bedrohungen schützen“
Teil 2: Interview – Politikwissenschaftler Oliver Treib über Aufgaben und Zukunft der Europäischen Union
„Mosaik der Perspektiven“
Teil 3: Interview – Miriam Bruns, Leiterin des Goethe-Instituts Budapest, über europäische Kultur
„Entweder flüchten oder sich anpassen“
Teil 1: Interview – Klimaphysiker Thomas Frölicher über ozeanisches Leben im Klimawandel
„Tiefseebergbau ohne Regularien wäre ganz schlimm“
Teil 2: Interview – Meeresforscher Pedro Martinez Arbizu über ökologische Risiken des Tiefseebergbaus