Nik Sentenza, welche Filme mögen Sie am liebsten?
Ich habe kein bestimmtes Genre, das ich besonders mag. Ich interessiere mich, seitdem ich 13 Jahre alt bin, für Filme. Seiner Zeit hat das mit dem Mainstream angefangen, klassische Hollywood-Filme wie James Bond oder Indiana Jones. Desto intensiver ich mich mit Filmen beschäftigt habe, desto tiefer bin ich in die Materie eingestiegen. In jedem Genre gibt es Filme, die mich begeistert haben.
Sie selbst haben sich eher für einen mysteriösen Stoff entschieden: Eine Familie verschwindet spurlos, ein Dokumentarfilmer nimmt sich dem Thema an. Was reizt Sie als Drehbuchautor und Regisseur am Thema?
Das Genre Documentary oder Found Footage fand ich immer sehr spannend. Einschlägige Filme in diesem Metier sind Blair Witch Project oder Paranormal Activity. Viele der Filme sind schlecht umgesetzt. Es passiert etwas Gruseliges oder Mysteriöses und irgendjemand hat die Kamera dabei. Die Dramaturgie flacht ab, dass Rätsel banalisiert, das Ende wird dem Einstieg nicht mehr gerecht und ich bin enttäuscht. Deshalb hatten wir die Idee, das Genre weiter auszureizen. Wir wollten einen Konflikt und eine mehrdimensionale Geschichte erzählen, nicht alles bis ins letzte Detail erklären. Zum einen ist Tom´s Video auch ein Found Footag- Format, zum anderen auch ein Psychodrama mit Horror-Aspekten, die die Psyche des Protagonisten widerspiegeln.
Wie wird der Film dem dokumentarischen Anspruch gerecht?
Die Schauspieler agieren wie in einer Dokumentation. Die Texte sind improvisiert und folgen einer Dialoglinie, die Schauspieler wählen ihre eigenen Worte. Wir haben Menschen mit einem ähnlichen biographischen Hintergrund wie die Figuren gecastet, die Mutter ist beispielsweise selbst Mutter. Den dokumentarischen Anspruch unterstützt aber auch die Kameraführung. Ein inszeniert wirkendes Bild wollten wir vermeiden, keine perfekt komponierte Bildgestaltung, keine typische anstrengende Wackelkamera. Die Bilder sollen dem Zuschauer ermöglichen, unangestrengt der Geschichte zu folgen und trotzdem das Gefühl einer Dokumentation vermitteln.
Der Film ist in drei Teile gegliedert. Welcher Teil war die größte Herausforderung?
Der mittlere Teil war dramaturgisch am schwierigsten umzusetzen. Wir konnten nicht innerhalb der Szenen schneiden. Eine Figur filmt, dann abspielen, stoppen, nächste Szene drehen. Es gab keine verschiedenen Einstellungen innerhalb einer Szene, weil es nur eine Kamera gab. Wir mussten Kompromisse machen: Wenn eine sehr lange Szene der beste Take war, haben wir die genommen. Das war eine der größten Herausforderungen.
Sie haben den Film in Bochum, Dortmund, Hagen und Herne produziert. Hat das Ruhrgebiet Potenzial als Filmkulisse?
Auf jeden Fall. Das Ruhrgebiet wird ja auch großflächig als Filmkulisse genutzt. Der Dortmunder Tatort ist nur ein Beispiel. Wir machen jetzt seit fünf Jahren Filme im Ruhrgebiet. Dadurch, dass das Ruhrgebiet ein Ballungsraum ist, gibt es hier viele unterschiedliche Szenerien.
Der Film behandelt auch das Thema „multiple Persönlichkeit“. Wie haben Sie sich auf den Film vorbereitet?
Ich habe recherchiert und mich intensiv mit dem Krankheitsbild auseinandergesetzt. Man bezeichnet Menschen oft umgangssprachlich als schizophren, wenn man von einer gespaltenen Persönlichkeit spricht. Dabei ist das Krankheitsbild multiple Persönlichkeit vollkommen anders. Ich habe mit Betroffenen gesprochen, sodass ich mir ein Bild davon machen konnte.
Hat Sie der Kontakt zu den Betroffenen in ihrer filmischen Arbeit weiter gebracht?
Es war interessant zu sehen, wie die Menschen mit ihrer Beeinträchtigung umgehen. Es ist nicht so, dass sie permanent krank wirken oder das Gefühl haben, ihnen geht es nicht gut. Die Erkrankten lernen damit zu leben und engagieren sich mit ihrer Krankheit. Das war eine wichtige Erkenntnis.
Hilft bei der Beschäftigung mit diesem Phänomen auch die eigene Lebenserfahrung? Im Leben gibt es manchmal Situationen, in denen man denkt: „Da erkenne ich mich selbst nicht wieder.“
Ich glaube, dass jeder Mensch zwei Seiten hat. Eine Seite ist vermutlich stärker ausgeprägt als die andere, aber in jedem Mensch lebt etwas Gutes und etwas Böses. Bei entsprechender Sozialisation überwiegt aber das Gute im Menschen.
Gibt es da auch eine Parallele zu Ihnen? Sind Sie als Regisseur ein „anderer Mensch“ im Vergleich zur Privatperson?
Nein, wenn ich einen Film mache, produziere ich mich ja nicht selbst. Ein Schauspieler muss viel mehr von sich einbringen. Ich habe die Vision der Geschichte beziehungsweise des Films im Kopf und versuche dann alles zusammenzufügen.
Wie hat ihnen die Darstellung gefallen, als Sie den fertigen Film zum ersten Mal gesehen haben?
Wenn man sich so intensiv mit einem Film beschäftigt, dann ist das ein besonderer Moment. Von der ersten Drehbuchfassung bis zum fertigen Film hat es eineinhalb Jahre gedauert. Ich kann nicht objektiv beurteilen, was er auf Außenstehende für eine Wirkung hat. Aber er entspricht dem, wie ich mir das vorgestellt habe. Manchmal entsteht während des Arbeitsprozesses auch ein anderer Film als geplant. Tom´s Video ist so geworden, wie ich mir das auch auf dem Papier vorgestellt habe.
Wie geht es nun mit Tom´s Video weiter?
Wir starten die Kinotour am 15.6. in der Dortmunder Schauburg, Ende Juli geht es dann nach Hannover. Nach der Sommerpause Ende August zeigen wir den Film in anderen deutschen Städten.
Gemeinsam mit Lilo Behnke betreiben Sie das Label „Neue Filme“. Haben Sie neue Projekte?
Wir haben momentan verschiedene Ideen für Projekte, davon ist aber bisher noch nichts spruchreif.
www.facebook.com/pages/Toms-Video/359448317405509
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