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Wittert einen Betrug: Jonas Nay als Wehrmachtsoffizier in „Persischstunden“
Foto: Alamodefilm

„Sprache ist größte Barriere und größte Brücke“

24. September 2020

Jonas Nay über „Persischstunden“ – Roter Teppich 10/20

Schlagartig bekannt wurde der 1990 in Lübeck geborene Jonas Nay im Jahr 2011 mit dem Fernsehfilm „Homevideo“, der ihm u.a. den Förderpreis des Deutschen Fernsehpreises und eine Goldene Rose einbrachte. Danach beeindruckte Nay in solch unterschiedlichen Filmen wie „Hirngespinster“, „Wir sind jung. Wir sind stark.“ oder „Schweigeminute“. Im Fernsehen sorgte er in der Rolle des deutschen Doppelagenten Martin Rauch in „Deutschland 83“ für Furore, dessen dritte Staffel nun auf Amazon Premiere feiert. Im Kino ist er ab dem 24. September in „Persischstunden“ unter der Regie von Vadim Perelman zu sehen.

engels: Herr Nay, was wussten Sie im Vorfeld über die „Persischstunden“ zugrundeliegende wahre Geschichte? Haben Sie dazu recherchiert oder Wolfgang Kohlhaases Vorlage gelesen?

Jonas Nay: Tatsächlich war eine meiner ersten Fragen, als ich das Drehbuch zu „Persischstunden“ auf den Tisch bekommen habe, ob das eine wahre Geschichte ist oder ob wir hier etwas Fiktionales erzählen. Und die überraschende Antwort, die ich darauf bekommen habe, war: „Das ist Fiktion.“ Das hat mich zucken lassen, ob ich den Film auch machen will. Nichtsdestotrotz dachte ich, dieser Stoff ist so einzigartig und erzählt auf Metaebenen so unglaublich viel, dass ich dachte, selbst auf fiktionaler Ebene ist er so stark, dass ich ihn unbedingt machen möchte. Erst im Rahmen der Berlinale habe ich erfahren, dass es die Novelle „Erfindung einer Sprache“ von Kohlhaase gibt. Da bin ich fast vom Glauben abgefallen und habe gefragt, warum mir das niemand vorher gesagt hatte. Dann habe ich versucht, an diese Novelle heranzukommen, was aber fast gänzlich unmöglich ist. Ich habe viel recherchiert, aber im Internet gibt es nur Lithografien dazu zu finden von ehemaligen Versteigerungen des Buches für tausende von Euro. (lacht) Ich würde es noch immer wahnsinnig gerne lesen, aber nein, ich muss mich da outen, ich habe die Vorlage tatsächlich noch nicht gelesen. Alles, was ich an Arbeit hineinstecken konnte, war Recherche drumherum. Es war eine intensive Vorbereitungsphase mit intensiven Gesprächen mit dem Regisseur, der sehr eng mit dem Drehbuchautor Ilja Zofin an der Stoffentwicklung zusammengearbeitet hat. Ich muss sagen, dass mich die Geschichte emotional so mitgenommen und gepackt hat, dass ich letztendlich zugesagt habe, den absoluten Antagonisten zu spielen, einen Wehrmachtssoldaten in diesem Transitlager. Für mich die Personifizierung des Bösen. Und ich versuche, diesen Charakter so dreidimensional wie irgendwie möglich zu erzählen.

Sie sind mittlerweile fast ausschließlich in Hauptrollen zu sehen. Hier sind Sie nun eher der Antagonist aus der zweiten Reihe. War es eine willkommene Abwechslung, mal nicht ein ganzes Projekt auf den eigenen Schultern zu tragen?

In der Kategorie habe ich tatsächlich gar nicht so gedacht. Das Rollenprofil an sich hat mich schon sehr gereizt, weil es doch sehr an die menschlichen Abgründe geht. Ich habe das als sehr große Bürde, Verantwortung und Herausforderung gesehen, den Max zu spielen. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass es jemals dazu kommen wird, den Antagonisten zu einer Rolle zu spielen, die von Lars Eidinger verkörpert wird (lacht), das hat mich aber sehr gereizt. Auch in meinen sonstigen Rollenprofilen bin ich, denke ich, unabhängig von der Größe der Rolle, überwiegend auf der sympathischen Seite unterwegs gewesen. Und das hat hier sehr viel Potenzial für mich als Schauspieler geboten, mich da hineinzustürzen und mal eine andere Farbe zu zeigen. Regisseur Vadim Perelman hat mir da viele Freiheiten gelassen und mich darin bestärkt, zwischendurch auch immer wieder die menschlichen Seiten von Max zu zeigen. Dann aber auch immer wieder in dieser animalischen, vollkommen unempathischen „Funktion“ als Lagerwache. Ich habe mich da nie klein gefühlt, sondern hatte immer das Gefühl, dass ich mich in der Rolle ausleben durfte. Ich bin ein großer Bewunderer dessen, was Lars Eidinger und Nahuel Pérez Biscayart hier geleistet haben, besser hätte man die Rollen nicht besetzen können.

Sprache ist das zentrale Element des Films. Hatten Sie in der Schule Spaß am Erlernen von Fremdsprachen, sind Sie gut darin?

Ja, ich habe tatsächlich eine große Passion. Ich liebe generell das System Sprache und Fremdsprachen. Ich habe in der Schule Englisch, Französisch und Spanisch gelernt und war auch in diesen Kursen sehr gut, ganz im Gegensatz zu den naturwissenschaftlichen Fächern, die mir gar nicht lagen. Ich habe mich tatsächlich eher auf die sprachlichen und die künstlerischen Fächer gestürzt, ich war z.B. im Musik-Leistungskurs. Das zieht sich bis heute durch mein Leben hindurch. Wir haben für „Persischstunden“ in Weißrussland, in Belarus, gedreht, was damals noch nicht im Umsturz begriffen war. Parallel habe ich in Kroatien gedreht, davor in Polen und in Tschechien. Und ich habe immer versucht, über diese Sprachbarriere hinauszukommen und zumindest einen Grundstock an Vokabular der Sprache des Teams zu erlernen und mich dadurch den Menschen irgendwie näher zu fühlen. Und ich finde, die größte Barriere bei der Verständigung zwischen Menschen ist nun mal die Sprache, und gleichzeitig ist sie die größte Brücke. Mich fasziniert das zutiefst. Auch, wenn ich in einer anderen Sprache spiele, finde ich es immer wieder erstaunlich, wie unterschiedlich Sprachen emotional wirken können. Es ist sehr schwer, in der Nicht-Muttersprache in den Zwischentönen Emotionen und Haltungen zu transportieren, das ist immer wieder eine große Herausforderung.

Herrschte am Set auch ein Sprachkauderwelsch?

Das kann man durchaus so sagen. Wir hatten deutsche Schauspieler, wir hatten ein halb belarussisches und halb russisches Team, Vadim Perelman ist gebürtiger Ukrainer. Die Besonderheit war, dass keine der Sprachen, die im Film gesprochen werden, sei sie fiktiv oder real, von Perelman gesprochen wurde! Das war durchaus ein ganz schönes Tohuwabohu (lacht). Wir haben Nahuel mit der deutschen Aussprache geholfen, es war generell eine große Verständigung zwischen den Schauspielern über ihre Texte nötig. Aber das war auch total toll, weil es eine sehr befruchtende Zusammenarbeit war. Das brauchte auch viel Vertrauen von Vadim als Regisseur an uns als Schauspieler, weil er die Kontrollinstanz gar nicht besaß, wenn ich beispielsweise mit Leonie Benesch oder David Schütter Szenen auf Deutsch improvisiert habe. Die Übersetzungen waren nicht bis ins Detail ausgefeilt, weswegen wir das dann erst vor Ort gemacht haben. Das war zum einen sehr herausfordernd, zum anderen hat man auch gemerkt, dass Vadim ein sehr genaues Gefühl für die emotionale Ebene einer Sprache hatte, auch wenn er den genauen Wortlaut nicht verstand. Er hat sehr intuitiv darauf reagiert, ob etwas gut war oder nicht, und das hat sehr gut funktioniert.

Man könnte anhand Ihrer Projektauswahl den Eindruck bekommen, dass Sie historische Stoffe besonders reizen. Stimmt das?

Ja, das lässt sich nicht ganz von der Hand weisen, es ist schon so, dass ich viele historische Stoffe gemacht habe. Aber ich entscheide bei der Stoffauswahl tendenziell aus dem Bauch heraus, wenn ich das Drehbuch lese. Beim Lesen sehe ich den Film vor mir und kann, genau wie bei dem Lesen eines Romans oder einer Novelle, aus dem Bauch heraus sagen, ob mich die Geschichte packt. Das ist die erste Instanz, auf die ich reagiere, der Stoff muss immer zunächst etwas mit mir persönlich machen. Ich habe schon festgestellt, dass mich die Auseinandersetzung mit Stoffen, die in der deutschen Vergangenheit liegen, inspiriert und interessiert. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie oft sich die deutsche Bevölkerung neu erfinden musste, durch wie viele Krisen und Traumata die Bevölkerung gegangen ist. Das liegt noch sehr nah an unserer jetzigen Zeit, und man kann sehr viel daraus lernen. Wenn man sich damit auseinandersetzt, wird deutlich, dass es nie wieder in eine autokratische, diktatorische oder faschistische Richtung gehen darf in diesem Land. Damit setze ich mich auch persönlich immer wieder gerne auseinander. Das ist sicherlich der Grund, warum ich immer wieder auf solche Stoffe anspringe.

Sie haben bereits als Kinderschauspieler in „4 gegen Z“ begonnen – war der Beruf Schauspieler schon immer Ihr größter Wunsch?

Nein, tatsächlich nicht. Ich war auch nicht der typische Kinderschauspieler. Ich bin damals an das Casting nur herangekommen, weil ich als Chorknabe in Lübeck an die Oper wollte und ich mich auf eine Anzeige in unserem Lokalblatt beworben hatte, in dem schauspielaffine Kinder gesucht wurden. Ich bin da sehr naiv rangegangen, weil ich dachte, man suche Schauspieler für das Theater oder die Oper. In dem Castingprozess sind meine Mutter und ich damals auf sehr viele Eltern gestoßen, die der Vision, ihre Kinder könnten eine Filmkarriere anstreben, sehr nachgegangen sind. Das war für mich das Stereotyp eines Kinderschauspielers, auch als Verwirklichung eines Traums der Eltern in ihrem Kind. In diese Kategorie fiel ich nie hinein, meine Mutter war auch kein großer Fan davon, dass ich in dem Castingprozess dann irgendwann die Rolle angeboten bekam. Sie wollte mich eigentlich davon abbringen, aber ich war als Jugendlicher von 13 Jahren total angezündet und wollte und durfte das dann auch machen. Aber nur unter der Prämisse, dass ich in der Schule nicht nachlasse. Ich hatte nie wieder so gute Noten wie damals. Ich habe das aber eher als total außergewöhnliches, tolles Hobby wahrgenommen. Ich habe während der Schulzeit immer wieder kleinere Rollen übernommen, die für mich wie ein netter Nebenjob waren. Ich hatte das Gefühl, mich da künstlerisch total austoben zu können, das war eine Spielwiese für mich, letztendlich wie eine Schauspielschule vor der Kamera. Aber als berufliche Karriere habe ich das damals nicht angestrebt. Das hat sich dann erst nach dem Abitur herauskristallisiert, als ich mit „Homevideo“ meinen ersten Film gedreht habe. Der Film und ich wurden mit vielen Preisen ausgezeichnet, was dazu geführt hat, dass ich mehr und mehr Rollenangebote bekommen habe. Das hat sich schleichend entwickelt, bis ich gemerkt habe, dass ich da auf eine berufliche Laufbahn als Schauspieler zusteuere. Bis dahin hatte ich immer vor, eine musikalische Karriere einzuschlagen. Ich bin auf ein Musik-Gymnasium gegangen, ich habe nun auch gerade meinen Bachelor abgeschlossen, der war nichts anderes als ein Lehramtsstudium mit dem Hauptfach Jazzpiano. Ich habe auch ein Schulpraktikum als Lehrer gemacht. Ich habe schon in der Schule Klavier-, Schlagzeug- und Gitarrenunterricht für Kinder gegeben und das Unterrichten hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich sowohl in meiner musikalischen Tätigkeit als Filmkomponist als auch als Frontmann und Texter meiner Band „Pudeldame“ in meiner künstlerischen Tätigkeit aufgehen kann und ich das weiterverfolgen will. Jetzt bin ich ganz glücklich, dass ich mein Leben aufteilen kann zwischen Musik und Schauspiel. Ich kann mir trotzdem vorstellen, dass ich das, was ich an Erfahrung sammle, einmal in einer Lehrtätigkeit weitergebe. Dass es dann ganz klassisch als Studienrat an einer Schule passiert, das wage ich fast zu bezweifeln. Ich könnte mir eher vorstellen, dass es in Richtung Workshops für Bands, Musical, Schauspiel oder was auch immer geht. (lacht) Aber das ist Zukunftsmusik, im Moment genieße ich das Privileg, mich künstlerisch derart verwirklichen und austoben zu können.

So langsam sind auch in den Kulturbereichen wieder Lockerungen spürbar. Wie haben Sie die Corona-Monate bisher erlebt?

Ich habe Entschleunigung erlebt und muss sagen, dass es mir gutgetan hat. Ich war in der sehr komfortablen Situation, dass ich in Lübeck in einem kleinen Häuschen mit meiner Partnerin zusammenlebe. Und dieses Häuschen hat einen Garten, weswegen ich auch immer wieder rausgehen konnte, auch in der „Lockdown-Phase“ zu Beginn. Ich habe einen Keller, in dem mein Filmmusikstudio ist, in dem habe ich ganz viel komponiert und viele Texte geschrieben. Ich habe mit meiner Band unser nächstes Album fertiggestellt, das im nächsten Jahr herauskommen wird. Ich war kreativ sehr fleißig, habe aber eine Auszeit von dem ganzen Herumreisen und der damit einhergehenden ständigen Verfügbarkeit gehabt. Ich muss sagen, dass mir das sehr gut getan hat, und dass ich das nun tatsächlich schon fast wieder ein wenig vermisse.

Mit Staffel 3 endet die „Deutschland“-Serie gerade. Ist dieser Abschluss für Sie nun eine runde Sache oder hätten Sie gerne weitergedreht?

Ich finde, das ist eine runde Sache. Die „Deutschland“-Serie war von Vorneherein als dreiteilige Serie angesetzt, obwohl überhaupt nicht klar war, dass es tatsächlich alle drei Staffeln geben wird. Nach der ersten Staffel hat sich RTL quergestellt und wollte nicht weitermachen. Es war ein riesiger Prozess über drei Jahre, die Serie von RTL an Amazon zu verkaufen, und dann weiterdrehen zu können. Dass wir überhaupt weiterdrehen konnten, war für uns alle ein Geschenk. Dass wir jetzt an dem Punkt angekommen sind, die Serie abschließen zu können, ist natürlich auch mit viel Wehmut verbunden. Ich durfte mich bislang in keiner Rolle so sehr ausleben wie als Martin Rauch. Da läuft nun ein Prozess des Loslassens ab, und irgendetwas in einem will natürlich weitermachen, aber ich glaube, dass es eine runde Sache ist. Die Geschichte ist erzählt, und wer weiß, was jetzt alles noch an spannenden Projekten in der Pipeline ist, vielleicht auch in Zusammenarbeit mit den Produzenten von „Deutschland“. Nur, dass eine Serie auserzählt ist, heißt ja nicht, dass man mit den Leuten, die man so lieben und schätzen gelernt hat, nicht weiter zusammenarbeiten und neue Wege gehen kann.

Interview: Frank Brenner

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