Ein Atheist, umgeben von religiösen Auseinandersetzungen: Guy Delisle hat schon aus China, Nord-Korea und Burma in Comicform berichtet. Jetzt verschlägt ihn die Arbeit seiner Frau nach Jerusalem. Sie arbeitet in Gaza für „Ärzte ohne Grenzen“, sein Alltag besteht daraus, sich um die Kinder zu kümmern. „AufzeichnungenausJerusalem“ umkreist auf 350 Seiten langsam aus dem Alltag heraus das Palästina-Israel-Problem, ohne die Not, ein pauschales Urteil fällen zu müssen. Delisle lässt sich von den Ereignissen überraschen – mal positiv, mal negativ (Reprodukt). Maximilien Le Roy lässt sich für „Die Mauer“ von seinem palästinensischen Freund Mahmoud Abu Srour aus dessen Leben erzählen. Bei Le Roy vermengen sich subjektive Sicht und poetischer Stilwille zu pathetischen Momenten, die mal nachvollziehbar, in ihrem Erklärungsdrang aber auch arg verdreht (Edition Moderne) sind. „AloisNebel“ ist eine komplexe Geschichte um einen Bahnhofsvorsteher in Tschechien. Mittels der Gedankengänge ihres Protagonisten lösen die Autoren Jaromir99und JaroslavRudiš einen Strudel historischer Begebenheiten durch die letzten Jahrzehnte aus mit fantastischen, surrealen Momenten. In extremem Schwarzweiß-Kontrast entfalten sie so ein Kapitel osteuropäischer Geschichte. Der Comic wurde bereits verfilmt (Voland & Quist).
ChesterBrownsagt es ganz offen: „IchbezahlefürSex“. Seine „Aufzeichnungen eines Freiers“ sind ein soziologisches und psychologisches Ergründen von Beziehungen im Allgemeinen und der zwischen Freier und Hure im Speziellen. Auch wenn er einige Probleme bagatellisiert: Erfrischend offen und klug tritt er für die Entkriminalisierung der Huren in Kanada ein (Walde & Gaf). Inspiriert von „The Osbournes“ erzählt CarolinWalch in „Roxanne&George“ eine Geschichte zweier alter, verfeindeter ehemaliger Bandkollegen und ihrer jugendlichen Kinder. Die sind im Gegensatz zu den Vätern eng miteinander befreundet und Teil einer Realityshow, in der ihre Väter als Trottel auftauchen. Denen wird das bald zu blöd. Walch beobachtet mit ihren kantigen Zeichnungen das innere Gezicke der Alten und das äußere Gepose der Jungen und spielt mit der zusätzlichen Ebene der medialen Omnipräsenz. Ein ungewöhnliches deutsches Debüt (Reprodukt).
Mit „SchönesneuesJahr“ werden drei Kurzgeschichten der 90er Jahre von Baruzusammengefasst. Zwei gehören zusammen und erzählen von Apartheids-Verhältnissen in den Banlieues in der nahen Zukunft, die dritte ist im Nordirland-Konflikt angesiedelt. Gewohnt actionreich geht es um ethnische Konflikte und Rassismus (Edition 52). Der Schwede MaxAndersson hat seit den 90er Jahren extrem kranke Geschichten auf die Comicwelt losgelassen: Da gibt es obdachlose Häuser, lebendes Geld, ein Totenreich mit abgetriebenen Föten, Klone und vieles mehr, was sogar Charles Burns und Thomas Ott Konkurrenz macht. Deren feiner Ausarbeitung ihrer Alptraumwelten setzt er schmieriges und schmutziges Gekrakel entgegen, das der Story perfekt entspricht. „Container“ versammelt Anderssons bisheriges Gesamtwerk (Reprodukt). Der Finne VilleRantaerzählt in bunten, wilden Aquarellzeichnungen von der Vertreibung aus dem „Paradies“. Es ist die Geschichte einer zaghaften, zögerlichen Emanzipation, zugleich lustvoll wie angstbesetzt, in der Liebe und Leidenschaft kurzzeitig das Paradies zurückerobern (Reprodukt).
Zum Schluss zwei Termintipps: Am 5.5. findet in der Köln-Mülheimer Stadthalle von 10 bis 17 Uhr die 71. Internationale Comic Messe „Intercomic“ statt, am 12.5. findet der 3. Gratis Comic Tag statt: Bei Pin Up, der Buchhandlung Ludwig, der Mayerschen, dem Djinn Cafe und dem Cöln Comic Haus kann man sich auf Gratis-Comics und Aktionen freuen.
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