Die Graphic Novels werden immer dicker und die Themen immer schwerer: Zwei Künstlerbiografien mit politischem Hintergrund bringt der September. Der Italiener Golo rollt das bewegte und mysteriöse Leben des deutschen Abenteuerromanciers „B. Traven“ auf. „Porträt eines Unbekannten“ lautet der Untertitel, der auf die vielen Namen und Rollen, in die der sozialistische Autor in Mexiko geschlüpft ist, anspielt. Golo berichtet sehr unterhaltsam minutiös und oft spekulativ von dessen (politischen) Abenteuern. Die farbigen Zeichnungen sind aufwändig und der Erzählfluss wird von surrealen Tableaus gegliedert (avant verlag). B. Traven begegnete in Mexiko auch Tina Modotti, Schauspielerin, Fotografin, Revolutionärin und Spionin. Der Spanier Ángel de la Calle berichtet in „Modotti – eine Frau des 20. Jahrhunderts“ von ihrem Leben zwischen Mexiko, Deutschland, Russland und Spanien in groben Zeichnungen, die für einen mühelosen Lesefluss etwas zu klein ausgefallen sind. Das ist schade, ist Modottis Leben doch spannend, und Calles Recherche war sicher aufwändig (Rotbuch). Ein zeichnender Historiker ist auch Joe Sacco. Mit „Gaza“ kehrt er nach Palästina zurück und erforscht die Geschehnisse um zwei Massaker in den 50er Jahren. Sacco befragt vor allem palästinensische Augenzeugen, aber auch israelische Zeitzeugen kommen zu Wort. Zwar ist die Stoßrichtung klar, aber er bemüht sich mit seiner investigativen, im Zeichenstil an Robert Crumb geschulten 400-seitigen Comicreportage um Neutralität (Edition Moderne).
Ab und an werden auch noch fiktionale Comics gemacht. Und was für welche: „Asterois Polyp“ ist die erste Graphic Novel des begnadeten Comiczeichners David Mazzucchelli(„Stadt aus Glas“). Er erzählt die Lebensgeschichte eines Architekten aus der Perspektive von dessen todgeborenem Zwilling. Nachdem Polyps Wohnung ausbrennt, zieht er die Bilanz seines Lebens. Mazzuchellis Werk ist nicht nur hochphilosophisch, es ist auch eines der überzeugendsten Beispiele eines Comics, der auf jeder Seite vorführt: Das kann man so nur im Comic erzählen. Die visuelle Erzählkraft von „Asterois Polyp“ ist enorm (Eichborn). Auch Jiro Taniguchi hat einen ziemlich einmaligen Stil. Gerade für einen Japaner ist sein Versuch der Entschleunigung bemerkenswert. Mit der zweibändigen Geschichte „Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß“ widmet er sich in leisen Tönen der Beziehung einer Frau Ende 30 und ihres ehemaligen Lehrers. Für europäische Leser ist vor allem die Schilderung restriktiver Gesellschaftsnormen befremdlich und faszinierend zugleich (Carlsen).
„Zwei mal zwei“ von Charles Lewinsky und Andreas Gefe begleitet zwei Paare während der Schwangerschaft. Die einen haben sich abgemüht, die anderen sind ungewollt Schwanger. Man merkt der Geschichte an, dass sie zuvor als Reihe von Onepagern in einer Zeitschrift veröffentlicht wurde – am Ende jeder Seite folgt etwas schematisch die Pointe. Die Farbzeichnungen sind gelungen, das Thema Kinderkriegen ist aber nur wenig originell bearbeitet (Edition Moderne). „Hot Rock“ von Lax ist ordentliche Genreware: John ist frisch aus dem Knast, und schon steht der nächste Coup an – ein Diamantenraub. Doch nach dem Überfall ist der Diamant plötzlich verschwunden. Es beginnt eine scheinbar endlose Jagd. Die Adaption des Romans von Donald Westlake ist in aufwändigen Bildern halb gezeichnet und halb gemalt, die Dramaturgie hält die Spannung bis zuletzt (Schreiber & Leser).
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