Seit der begnadete Musical-Star Gaines Hall das MIR verlassen hat, ist es ein wenig vorbei mit der Musical-Herrlichkeit im Revier. Was geblieben ist, ist die Experimentierfreudigkeit des Theaters gegenüber dem Genre. So wagt man sich neben den „Sicheren Bänken“ („Anatevka“, „Cabaret“) auch schon mal an deutsche Erstaufführungen („Die Hexen von Eastwick“). Oder man gräbt selten gespielte Broadway-Klassiker, wie jetzt „On the Town“ aus. Wenn man bedenkt, dass das 1944 uraufgeführte Musical auf dem von Leonard Bernstein komponierten und von Jerome Robbins choreographierten Ballett „Fancy Free“ basiert, kann man sich denken, wie hoch die Messlatte liegt. Und wenn man sich dann noch die Verfilmung aus dem Jahre 1949 mit Gene Kelly, Frank Sinatra und Jules Mushin in Erinnerung ruft, ist es eigentlich kein Wunder, dass der turbulent-elektrisierende „New Yorker 24-Stunden-Landgang“ der drei Matrosen hier fast zu einem Seniorenspaziergang verkommt.
Als Gabey (Piotr Prochera) sich in das Plakatbild von „Miss U-Bahn“ Ivy Smith (Julia Schukowski) verliebt, macht er sich mit seinen beiden Kumpels Chip (Michael Dahmen) und Ozzie (Mark Murphy) auf die Suche nach ihr. Dabei lernt Chip die Taxifahrerin Hildy (Judith Jakob) kennen und Ozzie trifft im Naturkundemuseum die Anthropologin Claire (Dorin Rahardja). Kurz vor Ende des Landurlaubs findet die frisch zusammengeschweißte Fünferbande schließlich das Objekt der Begierde...
Die Drehbühne, auf die der geniale Bühnenbildner Jürgen Kirner überdimensionale Transportkisten aufgetürmt hat, aus denen schon mal ein Saurierskelett lugt oder die sich durch Projektionen in Wolkenkratzer verwandeln, ist noch das Schwungvollste dieser Inszenierung. Carsten Kirchmeiers Regie fehlt die Leichtigkeit (und auch das Timing), mit der man an dieses Genre herangehen muss. Allerdings entlastet ihn der Umstand, dass er besetzungsmäßig nicht aus dem Vollen schöpfen kann. Musicals mit den hauseigenen Opernkräften zu besetzen ist noch nie gut gegangen. Und so klingen die Bariton-, bzw. Tenorstimmen der drei Matrosen zwar angenehm weich und würden jeden Konzertbesucher sicherlich beglücken, hier aber wirken sie völlig deplatziert, zumal für das Trio Tanzen ein Fremdwort zu sein scheint. Da bewegen sich ihre „besseren Hälften“ schon etwas geschmeidiger über die Bühne. Den musicalerfahrenen Julia Schukowski und Judith Jakob gelingt es sogar ihre Sopranistin-Kollegin Dorin Rahardja nicht allzu opernhaft in ihrer Runde aussehen zu lassen. Ein ähnliches Ungleichgewicht wie zwischen diesem Herren- und Damentrio ergibt sich zwischen Chor und Ballett. Während die Damen und Herren des Opernchores sich dem eher schleppenden Rhythmus der damals noch nicht ganz ausgereiften Songs von Bernstein – von denen nur wenige im Ohr bleiben – anpassen, gelingt es dem Ballett im Revier (Choreographie: Bridget Breiner) wenigstens für Momente „Broadway-Fieber“ aufkommen zu lassen. Was nicht zuletzt auch der Neuen Philharmonie Westfalen unter dem einfühlsamen Dirigat von Rasmus Baumann zu verdanken ist, der die musikalischen Qualitäten der zwischen Strawinsky und Jazz angesiedelten Ballettszenen zu einem Hörgenuss machte.
„On the town“ | R: Carsten Kirchmeier | So 27.4. 18 Uhr | MIR, Gelsenkirchen | 0209 409 72 00
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