Cordula Kablitz-Post hat seit Mitte der 90er Jahre als Produzentin und Filmemacherin über 100 Beiträge für das Fernsehen gemacht (u.a. „Durch die Nacht ...“). Seit 20 Jahren arbeitet sie immer wieder mit Christoph Schlingensief zusammen, u.a. bei den Talkshows „Talk 2000“ und „U3000“. „Christoph Schlingensief - Die Piloten“ ist ihr erster abendfüllender Film.
engels: Frau Kablitz-Post, Sie waren vor zehn Jahren bei „Talk 2000“ als Regisseurin mittendrin, nun drehen sie als Regisseurin einen Film über Schlingensiefs aktuelles Talkshow-Projekt „Die Piloten“. Aus welcher Perspektive erscheint der Tumult auf der Bühne chaotischer?
Cordula Kablitz-Post: Der Tumult auf der Bühne bei „Talk 2000“ war chaotischer, weil weder Christoph Schlingensief TV-Erfahrung als Moderator hatte noch ich als Regisseurin und Produzentin einer Talkshow. Vieles entstand als Idee eine Stunde vor der Aufzeichnung oder währenddessen. Pannen gehörten zum Konzept. Bei „Die Piloten“ wussten wir um all diese Mechanismen, die bei „Talk 2000“ gut funktioniert hatten. Als ich mich aber entschieden hatte, dieses Mal nicht Produzentin der Talkshow zu sein, sondern Regisseurin eines Dokumentarfilms über Christoph Schlingensief, war mein Fokus ein anderer. Ich interessierte mich mehr für die Dinge, die vor und nach den Aufzeichnungen passierten.
Schlingensiefs „Die Piloten“ erforscht die Inszenierung von Talkshows. Ihrer Dokumentation könnte man die gleiche Frage nach der Inszenierung stellen. Ein selbstreflexives Moment erkenne ich im eingestreuten Schnellrücklauf der Bilder ...
Die Grundidee war zu zeigen, wie manipulativ Schnitt sein kann. Beim Schnitt von „Talk 2000“ war mir sehr wichtig, Schlingensief als faszinierende Medienpersönlichkeit charmant und dreist zugleich zu zeigen und das teilweise Nervige und redundant Langweilige wegzuschneiden. Bei den Piloten hingegen habe ich ihn in den Situationen gezeigt, die ihn in meinen Augen als Mensch und Künstler charakterisieren und zeigen, wie schwierig die Gratwanderung ist, wenn man sich den Medien mit Haut und Haaren ausliefert, so wie er das seit vielen Jahren macht. Dabei nicht alles auszuverkaufen, etwas für sich zurückzubehalten, was einem wirklich etwas bedeutet, diese Erkenntnis kommt ihm erst später im Film. Den Tod seines Vaters öffentlich zu thematisieren, hat ihm die Grenzen der medialen Selbstausbeutung bewusst gemacht.
Christoph Schlingensief ist natürlich selbst der größte Meister der Inszenierung, wenn auch in ständiger Selbstreflexion und ohne das Ideal eines widerspruchfreien Bildes. Hätte man nicht auch seine Selbstinszenierung stärker attackieren können?
Ich finde, dass Christoph Schlingensiefs Widersprüchlichkeit im Film sehr klar wird. Denn auch die Selbstinszenierung wird immer wieder durch das Zurück- und Vorspulen der Zeitebenen gebrochen. Darüberhinaus zeigt der Film ihn natürlich auch sehr verletzlich und emotional. Es hat noch nie einen Film über ihn gegeben, der ihm so nah kommen durfte.
Gibt es eine Reaktion von Christoph Schlingensief auf die Dokumentation? Da Christoph seine eigene Wirkung immer sehr genau kalkulieren möchte, wird er bei Dingen, die er nicht kontrollieren kann, zunächst sehr ängstlich. Die Diskussionen über den Film mit ihm waren erst euphorisch, dann sehr schwierig. Ich hoffe, dass er seinen Frieden mit dem Film macht, wenn er ihn noch mal mit Abstand sieht.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24
„Alles ist heute deutlich komplizierter geworden“
Julien Hervé über „Oh la la – Wer ahnt denn sowas?“ – Gespräch zum Film 03/24
„Versagen ist etwas sehr Schönes“
Regisseur Taika Waititi über „Next Goal Wins“ – Gespräch zum Film 01/24
„Ich muss an das glauben, was ich filme“
Denis Imbert über „Auf dem Weg“ – Gespräch zum Film 12/23
„Ich hatte bei diesem Film enorm viel Glück“
Tarik Saleh über „Die Kairo Verschwörung“ – Gespräch zum Film 04/23
„Ich wollte das damalige Leben erfahrbar machen“
Maggie Peren über „Der Passfälscher“ – Gespräch zum Film 10/22
„Ich wollte das Geheimnis seiner Kunst ergründen“
Regina Schilling über „Igor Levit – No Fear“ – Gespräch zum Film 10/22
„Migration wird uns noch lange beschäftigen“
Louis-Julien Petit über „Die Küchenbrigade“ – Gespräch zum Film 09/22
„Die Wüste ist ein dritter Charakter im Film“
Stefan Sarazin über „Nicht ganz koscher – Eine göttliche Komödie“ – Gespräch zum Film 08/22
„Diese Generationenkonflikte kennen viele“
Katharina Marie Schubert über „Das Mädchen mit den goldenen Händen“ – Gespräch zum Film 02/22
„In der Geschichte geht es um Machtverhältnisse“
Bettina Oberli über „Wanda, mein Wunder“ – Gespräch zum Film 01/22
„Wir wollten kein langweiliges Biopic machen“
Regisseur Andreas Kleinert über „Lieber Thomas“ – Gespräch zum Film 11/21
„Gustave Eiffel war seiner Zeit voraus“
Martin Bourboulon über „Eiffel in Love“ – Gespräch zum Film 11/21
„Richtiges Thema zur richtigen Zeit“
Sönke Wortmann über „Contra“ – Gespräch zum Film 10/21
„Wie spricht man mit einem Kind über den Tod?“
Uberto Pasolini über „Nowhere Special“ – Gespräch zum Film 10/21
„Seine Kreativität lag lange im Verborgenen“
Sonia Liza Kenterman über „Der Hochzeitsschneider von Athen“ – Gespräch zum Film 09/21
„Du denkst, die Erde bebt“
Regisseurin Anne Zohra Berrached über „Die Welt wird eine andere sein“ – Gespräch zum Film 08/21
„Ich würde so gerne gehen. Aber ich weiß nicht, wohin.“
Produzentin Bettina Wente über „Nahschuss“ – Gespräch zum Film 08/21
„Es geht bei Fassbinder um Machtstrukturen“
Oskar Roehler über „Enfant Terrible“ – Gespräch zum Film 10/20
„Familienfilm mit politischer Haltung“
Dani Levy über „Die Känguru-Chroniken“ – Gespräch zum Film 03/20
„Nicht alles erklären“
Patrick Vollrath über „7500“ – Gespräch zum Film 01/20
„Corinna Harfouch ist eine Klasse für sich“
Jan-Ole Gerster über „Lara“ – Gespräch zum Film 11/19
„Der Film brauchte eine Bildgewalt“
Christian Schwochow über „Deutschstunde“ – Gespräch zum Film 10/19
„Das Thema war in der DDR absolut tabu“
Bernd Böhlich über „Und der Zukunft zugewandt“ – Gespräch zum Film 09/19