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Lernt in Japan, richtig Tee zu trinken: Rosalie Thomass in „Grüße aus Fukushima“.
Foto: Presse

„Mein Umfeld hatte stärkere Bedenken als ich“

25. Februar 2016

Rosalie Thomass über „Grüße aus Fukushima“, Dreharbeiten im Strahlengebiet und Geistererscheinungen – Roter Teppich 03/16

Schon als Kind spielte die 1987 geborene Rosalie Thomass am Münchner Volkstheater und später an den renommierten Kammerspielen. Überregional bekannt wurde sie als Jo in Marcus H. Rosenmüller Trilogie „Beste Zeit“, „Beste Gegend“ und „Beste Chance“, die zwischen 2007 und 2014 gedreht wurde. Für ihre Rolle in „Polizeiruf 110 – Er sollte tot...“ erhielt sie den Adolf-Grimme-Preis, den Bayerischen und den Deutschen Fernsehpreis sowie eine Auszeichnung auf dem Filmfest München. In Doris Dörries neuem Film „Grüße aus Fukushima“, der am 10. März in den Kinos anläuft, spielt Rosalie Thomass nun eine Frau, die in den Ruinen der Natur- und Atomkatastrophe zu sich selbst findet.

engels: Frau Thomass, wie war das, ein Angebot zu bekommen, einen Film in Fukushima zu drehen? Konnten Sie da spontan zusagen oder hatten Sie doch Bedenken im Vorfeld?

Rosalie Thomass: Ich habe sofort zugesagt und keine Sekunde gezögert! Das lag daran, dass mir Doris Dörrie schon von dem Projekt erzählt hatte und ich begeistert darüber war, dass sie dort einfach hingefahren war. Sie interessierte, was dort passiert ist, und wollte sich selbst vor Ort ein Bild davon machen. Zweimal war sie zu Recherchezwecken in Fukushima. Das hat mich sehr beeindruckt. Als sie mir dann die Rolle anbot, dachte ich, wenn Doris dort hinfahren kann, kann ich das auch. Bei meiner Entscheidung spielte der Drehort keine Rolle. Als der Dreh dann konkreter wurde, habe ich meinem Umfeld davon erzählt, und merkte, dass mein Umfeld stärkere Bedenken hatte als ich. Ich habe mich dann informiert, Gespräche geführt mit Strahlenexperten usw. und konnte danach mein Umfeld beruhigen, und mich auch. Denn ich bin selbst tatsächlich erst nervös geworden, weil mein Umfeld nervös war und weil mir von Freunden und Bekannten Fragen gestellt wurden, die ich nicht beantworten konnte. Das hatte mich dann doch verunsichert, weswegen ich versuchte, all diese Fragen im Vorfeld zu klären.

Doris Dörrie ist Japan-Expertin und -Liebhaberin, waren Sie selbst zuvor auch schon einmal in dem Land gewesen?

Nein, ich war zuvor noch nie in Japan, überhaupt Asien war für mich völlig neu und ein totaler Kulturschock. Allerdings habe ich mich vom ersten Moment an in Tokio sehr wohl und zu Hause gefühlt. Ich war sehr glücklich, das erleben zu dürfen, und fand, dass es trotz großer Unterschiede auch viele Gemeinsamkeiten zu unserem Leben gibt.

Was hat Sie dann vor Ort in Fukushima am meisten beeindruckt?

Das waren tatsächlich ganz viele Dinge. Abgesehen von der ohnehin beeindruckenden Kultur in ganz Japan, hat mich in Minamisōma, ganz nah am Kraftwerk, besonders die unfassbar schöne Natur beeindruckt. Wir drehten direkt am Meer, mit Blick auf den Pazifik und seiner unendlichen Weite, die auch etwas Bedrohliches haben kann. Davor der Küstenstreifen mit seinen vom Tsunami wegradierten Häusern, von denen nur eines stehen geblieben war, das uns das Motiv für den Film lieferte. Allein diese Kulisse war im wahrsten Sinne des Wortes unfassbar, weil ich mir bis heute nicht so recht vorstellen kann, was dort passiert ist, obwohl ich doch vier Wochen vor Ort verbracht habe. Die Kombination aus der Naturkatastrophe und dem Zauber der Landschaft und ihrer schönen, weichen Berge hat mich umgehauen, weil Schönheit und Traurigkeit hier so nah zusammen liegen. Dann sind wir den Menschen begegnet, die mittlerweile seit fast fünf Jahren in den „temporary housings“ leben, wie man das nennt, „vorübergehenden Unterkünften“ also, was glattweg gelogen ist, weil die Menschen aus dieser containerartigen Siedlung nie mehr wegkommen werden. Denn es sind nur noch die ganz alten Menschen geblieben, die jungen sind alle weg, um sich woanders eine Perspektive zu suchen, was ich sehr nachvollziehbar finde. Das war ein besonders nachhaltiges menschliches Erlebnis, weil die Bewohner mit einer fast schon stoischen Heiterkeit mit ihrem Schicksal umgehen, was für unsere Kultur schwer zu fassen ist. Es gibt wenig Jammern, Klagen und Bemitleiden, sondern ein aufrechtes Nach-vorne-Schauen, ein ganz liebevolles und offenes Verhalten. Die Geschichten, die ich dort gehört habe, gehen mir heute noch nach. Denn vor Ort kann man einen kühlen Kopf bewahren, will nicht in Tränen ausbrechen, weil die Betroffenen das ja auch nicht tun, aber diese Erlebnisse und Geschichten nimmt man dann schon mit nach Hause. Nach wie vor absurd finde ich, dass in einem Land mit derart vielen Erdbeben, wir haben in den sechs Wochen vier kleinere und mittelgroße erlebt, nach wie vor Atomkraftwerke stehen und neue hingebaut werden. Diese Kombination ist für mich schwer zu begreifen.

Zumal die Auswirkungen der Katastrophe noch lange nicht im Griff sind, obwohl man davon in den Nachrichten nichts mehr erfährt...

Ja, weil die Welt an so vielen anderen Enden dabei ist, unterzugehen. Die Zone, in der wir waren, ist mittlerweile offen. Sie ist strahlungstechnisch unbedenklich, was allerdings nur heißt, dass man sich dort aufhalten kann. Man kann aber nichts anbauen, man kann sich weder eine Petersilie noch einen Salat im eigenen Garten wachsen lassen, geschweige denn Landwirtschaft betreiben. Es ist eine komische Stimmung dort, denn man kann hinein fahren, aber es ist keine Menschenseele dort. Es gibt keinen Strom und kein Wasser, weil alles zusammengebrochen ist durch den Tsunami. Zwischendrin gibt es einzelne Hütten, die noch stehen, aber man weiß, dass es dort nicht mehr lebenswert ist, weil die Erde verdorben ist, und das auf Jahrhunderte.

Wann haben Sie zum ersten Mal von Doris Dörries Entscheidung erfahren, den Film in Schwarz-Weiß zu drehen?

Das war schon klar, bevor wir nach Japan aufgebrochen sind. Mir gefällt er in Schwarz-Weiß sehr gut, weil ich mir vorstellen kann, dass die Landschaft in Farbe fast wie in einem Heimatfilm wirken könnte, weil es dort so kräftige Farben gibt und alles sehr saftig wirkt. Alles sieht zunächst sehr gesund aus. Nur im Detail, wenn man näher hinsieht, erkennt man die Ruinen im Gras.

Schwarz-Weiß passt auch gut zur Mystik und den Geistererscheinungen, die im Film eine zentrale Rolle einnehmen. Haben Sie selbst auch einen Bezug zu dieser Komponente?

Das ist eine schwierige Frage. Ich kann einen Bezug herstellen. In meinem alltäglichen Leben denke ich nicht an spirituelle Strömungen und Geister. Aber ich kann mir vorstellen, dass es Menschen gibt, für die das eine hilfreiche Idee darstellt. Ich sage immer, alles, was ich nicht selbst widerlegen kann, kann es theoretisch und auch praktisch geben. Mir selbst ist das alles sehr unheimlich (lacht). Ich bin ein sehr empfindlicher Zuschauer. Krimis sind mir meist zu spannend, die kann ich mir kaum ansehen. Übersinnliche Dinge und alles, was über die Welt unserer Fakten hinausgeht, sind mir sehr schnell sehr unheimlich, gerade weil ich nicht ausschließen kann, dass es sie tatsächlich gibt.

Sie treten im Film auch als Clown auf – ein großer Traum für viele Schauspieler. War das auch für Sie so?

Ein klassischer Clown war für mich eigentlich immer eher ein kleiner Alptraum, weil ich davor so großen Respekt habe. Clown zu sein ist noch einmal eine ganz andere Kunst, als Schauspielerei, in der sich alle immer furchtbar ernst nehmen. Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass der Clown immer die Fähigkeit zur Selbstironie braucht. Wenn ihm etwas misslingt, muss es ihm immer möglich sein, daraus wiederum etwas Lustiges zu machen oder sich selbst auf die Schippe zu nehmen. Das ist für mich sehr beeindruckend, wenn man das gut kann. Ich hatte mich schon gefreut, das nun einmal richtig lernen zu können, aber dann sagte mir Doris, dass ich mich darauf nicht vorbereiten dürfe, weil Marie ein sehr, sehr schlechter Clown sein sollte. Das fand ich erstmal furchtbar, weil ich mich gerne gut vorbereite und auskenne in dem, was ich in einem Film zu machen habe. Deswegen musste ich mich schon überwinden, in meiner Rolle auf die Nase zu fallen, aber es hat mir dann auch sehr viel Spaß gemacht. Denn am Ende bin es ja nicht ich, die in die Fettnäpfchen tritt, sondern doch nur meine Figur.

Sie haben schon einige Filme mit Marcus H. Rosenmüller gedreht, mit Hermine Huntgeburth und nun auch mehrfach mit Aron Lehmann. Ist Ihnen Vertrautheit beim Dreh wichtig?

Ich würde eher sagen, dass sich das daraus ergibt, dass Menschen etwas machen, was mich interessiert. Rosenmüller drehte mit mir ja eine Trilogie, und bei Aron Lehmann ist es so, dass er einfach irrsinnige Bücher schreibt, die ich großartig finde. Auch wenn ich einen Regisseur oder eine Regisseurin schätze, mit der ich schon gearbeitet habe, muss mich trotzdem auch beim nächsten Mal das Buch oder die Rolle überzeugen. Es muss immer von Fall zu Fall funktionieren und passen. Aber ich freue mich über Vertrautheit genauso wie über Neues, ich bin da wirklich sehr flexibel. Ich plane nichts.

Interview: Frank Brenner

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