engels: Herr Ewald, welche Rolle spielen Rodung und Aufforstung beim Weltklima?
Jörg Ewald: Zunächst kann man festhalten, dass tatsächlich weltweit Wälder der größte Speicher für Kohlenstoff sind. Sie nehmen laufend Kohlenstoff aus der Atmosphäre auf und binden ihn mehr oder weniger lange. Im Idealfall sind sie Träger der Nachhaltigkeit, weil nicht mehr entnommen wird als von selbst nachwächst. Wenn wir aber großflächig Bäume zerstören, setzen wir damit Kohlenstoffdioxid frei. Doch im Hinblick auf den Klimawandel geht es nicht nur um die Bäume selbst, sondern auch um die Waldböden. Diese speichern langfristig Kohlenstoff im Humus, stellen die größten Vorräte, die wir an Land haben, und sind daher enorm wichtig für den Klimawandel.
Worin liegt die Gefährdung bei den Böden?
Gefährdet sind vor allem die Moorböden im hohen Norden, beispielsweise in Sibirien. Durch das Abtauen des Permafrosts werden dort Unmengen an Kohlenstoffdioxid freigesetzt. Oder der sogenannte Alpenhumus in Bergwäldern, dessen Abbau durch die Erderwärmung gefördert wird. Hinsichtlich des Klimaschutzes muss man also nicht nur die Wälder im Blick haben, sondern auch die Böden. Das wiederum ist auch ein gutes Argument für Naturwälder, in denen der Wald sich selbst überlassen wird. Dort kann durch verrottende Blätter und Holz auch wieder neuer Humus entstehen.
„Wälder sind der größte Speicher für Kohlenstoff“
Laut einer Studie der Leuphana Universität Lüneburg ist das Aufforsten auch kritisch zu sehen. So ist beispielsweise die Rede von einer Gefährdung der Ökosysteme durch das menschliche Eingreifen sowie einer Steigerung der Waldbrandgefahr.
Hier gibt es einen Grundsatz-Streit darüber, ob man den Wald besser sich selbst überlassen oder aber eingreifen soll. Das sollte nicht nach einem ideologischen Schwarz-Weiß-Schema entschieden werden, sondern nach den jeweiligen Dienstleistungen, die der Mensch von einem Wald erwartet. Es ist nicht gesagt, dass ein Naturwald alle Aufgaben von selbst und am besten erfüllt. Nur ein Beispiel: Wenn es um Wälder im Umkreis von Wasserspeichern geht, empfehlen sich eher Laubbäume, wenn wir Bauholz produzieren wollen, eher Nadelbäume. Es geht also um die richtige Balance zwischen Eingreifen und Natur sich selbst überlassen. In der modernen Forstwirtschaft geht es also vor allem um die Frage, auf welcher Fläche welche Entscheidung die Richtige ist. Dabei strebt man an, circa fünf bis zehn Prozent sich selbst zu überlassen und den Rest für menschliche Zwecke zu nutzen. Das durchzusetzen ist schon schwer genug und häufig auch eine Frage der Finanzierung.
„Argument für Naturwälder“
Welches sind denn aktuell die schwerwiegendsten Probleme für Bäume?
Das ist zum einen der Klimastress, ein Cocktail aus Hitze und der klimatischen Wasserbilanz. Im Extremfall entstehen richtiggehend Hitzeschäden – der Baum wird zum Fieberpatienten. Häufiger kommt es zu Dürrestress, weil Bäume bei Hitze mehr Wasser verdunsten als im Boden gespeichert ist. Es kann zu Embolien und zum plötzlichen Dürretod kommen, wenn durch die starke Verdunstung die Wasserleitungen im Baum zusammenbrechen. Dann sterben innerhalb weniger Tage Kronenteile oder ganze Bäume ab. Durch die Hitze haben in einigen Gebieten auch die Borkenkäfer leichtes Spiel, die vor allem für die Fichte, den wirtschaftlich wichtigsten Baum, eine große Gefahr darstellen. Ein anderes menschengemachtes Problem ist der erhöhte Stickstoffeintrag in Waldböden, der aus der Landwirtschaft und aus Abgasen stammt. Hierdurch verändert sich die Begleitvegetation, was großen Einfluss auf die Lebensgemeinschaften unserer Wälder hat.
„Wald als Gemeingut ansehen“
Gibt es in unseren Breiten Baumarten, die vom Aussterben bedroht sind?
Unsere gängigen Baumarten sind nicht vom Aussterben bedroht, sondern eher solche, die wirklich nur auf ganz kleinen Arealen zu finden sind, wie es z.B. im tropischen Regenwald der Fall ist. Schaut man sich allerdings die Gesamtheit der Pflanzen im Wald an, dann ist dort die Artenvielfalt durch die hohe Stickstoffkonzentration gefährdet. Pflanzen, die keinen Stickstoff vertragen, fallen hier zunehmend weg.
In diesem Jahr haben die Menschen zunehmend begonnen, Bäume auf öffentlichen Flächen zu gießen. Was kann man als Privatperson tun, um Bäume und Wälder zu erhalten?
Wenn man glücklicher Gartenbesitzer ist, dann kann man seinen Garten natürlich naturnah anlegen, also heimische Baumarten pflanzen oder auch Bäume, die besser an das zunehmend warme Klima angepasst sind. So lassen sich Nadelbäume eintauschen gegen Laubbäume. Mediterrane Baumarten wie Elsbeere oder Zerreiche sind im Kommen, da sie besser an das hiesige Klima angepasst sind. Ich bin überhaupt ein großer Fan von heimischen Baumarten wie dem Wildobst, da diese natürlich auch ein Zuhause für die regionale Tierwelt bieten. Im städtischen Bereich heißt es natürlich, pfleglich mit den vorhandenen Beständen umzugehen und diese zu erhalten. Mein Tipp an alle ist aber vor allem, mit offenen Augen durch den Wald zu gehen und diesen als Gemeingut anzusehen. Suchen Sie das Gespräch zum heimischen Förster, tauschen Sie sich darüber aus, wie es dem Wald geht und was man machen kann. Der Dialog zwischen Förstern und Interessierten kann für beide Seiten immer nur ein Gewinn sein. Vielen ist nicht bewusst, dass die Förster beim Klimawandel eine Schlüsselrolle spielen.
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Aktiv im Thema
www.natur-in-nrw.de | Datenbank zu über 15.000 Arten in NRW.
klimaschutz-wuppertal.de | Die Initiative für Klimaschutz in Oberbarmen und Wichlinghausen betreibt bürgernahe Projekte.
www.plant-my-tree.de | Helfen, das Klima zu schützen? Schon mit kleinen Beträgen und sorgsam dokumentiert macht das Unternehmen dies möglich.
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