Fast wäre Xavier Naidoo mit umgedrehtem Nummernschild nach Stockholm gefahren, um die BRD-GmbH beim Eurovision-Songcontest mit gewohnt langweiliger Erbauungsmusik zu vertreten. Dann sprang mit lautem Rattern die Empörungsmaschine an, der NDR zog die Nominierung zurück, Freunde des Sängers bekundeten Solidarität – nun singt er in irgendeiner Vox-Show mit B-Promis.
Was beim Skandal um die Persona Naidoo leider unterging: eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den skurrilen Weltbildern, denen nicht nur Naidoo anhängt, sondern zunehmend mehr Menschen – und die längst ihren Weg in die Popkultur gefunden haben. Während ein Teil Musik als l‘art pour l‘art betreibt, macht sich an anderer Stelle zunehmend ein modernes Mythen-Denken breit.
Doch noch einmal von vorne: Naidoo stand wegen homophober Textpassagen in der Kritik, sowie Liedern, die, wenn sie nicht direkt antisemitisch sein mögen, sich zumindest aus der unappetitlichen Mythen- und Bilderwelt antijüdischer Verschwörungstheorien speisen. 2014 sprach er auf einer Demo der sogenannten „Reichsbürger“, den braun gefiederten Paradiesvögeln unter den Verschwörungstheoretikern: skurrile Gesellen, die Deutschland für ein besetztes Land, die Bundesrepublik für eine Firma halten und sich – je nach Unterströmung – die Rückkehr des Deutschen Reiches oder die Ausrufung eines Freistaates Preußen herbeisehnen – so zum Beispiel Naidoos Zuhörer. Ihr Erkennungszeichen sind umgedrehte Nummernschilder an ihren Autos, was ab und an zu unterhaltsamen Polizeimeldungen führt.
Was Naidoo und die „Reichsbürger“ eint, ist mit Sicherheit nicht die politische Gesinnung – damit täte man diesem offenkundig verwirrten Sänger unrecht, wie er da ohne Peil auf der Rednerbühne steht und davon brabbelt, dass er einfach alle liebt. Der gemeinsame Nenner ist der irrationale Glaube an geheime Herrschaftseliten, gegen die „wir“ uns erheben müssen – und da unsere Politiker ja alle Marionetten wären, seien Wahlen eh Unfug.
Mit derlei Gedanken steht Naidoo nicht alleine da: Der Düsseldorfer Rapper Kollegah sagt in Songs der „New World Order“ den Kampf an, einschlägige Facebook-Seiten zählen inzwischen mehr Likes als die FAZ. Umgekehrt steht auch die Musikindustrie bei einigen selbsternannten Infokriegern im Verdacht, in obskure Machenschaften verstrickt zu sein: So seien die Pariser Attentate verschlüsselt in einem Musikvideo von Bushido weisgesagt worden und Universal werde von Okkultisten geleitet – O-Ton eines vermeintlichen Experten: „Ritualmorde sind nicht ausgeschlossen.“
Einen großen Teil davon kann man getrost als groben Unfug rechts liegen lassen. Schwierig wird es, wenn Musiker ihre pseudoreligiösen Gedankenkonstrukte als ernsthafte Systemkritik verkaufen wollen und es offenkundig einen fruchtbaren Boden dafür gibt. Derlei Unsinn durch den Kakao zu ziehen, wie es die Düsseldorfer Antilopen Gang macht, ist angebracht. Es einfach zu ignorieren, bringt nichts. Vielleicht sollte man die postmodernen Ersatz-Religionen als Symptom dafür begreifen, dass der gegenwärtigen Popkultur vor allen Dingen eines fehlt: ernsthafte, kritische Musik.
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