Eine kurze Geschichte aus dem Jahr 1845: „Das System des Dr. Teer und Prof. Feder“ von Edgar Allan Poe. Die Örtlichkeit: Eine Nervenheilanstalt. Die Charaktere: Wissenschaftler, Ärzte, Aufsichtspersonal, Patienten. Eine Deutung: Die Wärter sind die eigentlichen Geisteskranken, in den Zellen büßen Andersdenkende. Die Erzählung stellt das Streben nach Macht durch Kontrolle und die Sehnsucht nach Freiheit einander gegenüber. Nun, überwinden wir die Vergangenheit und wenden uns der Gegenwart zu.
Außerparlamentarische Opposition
Ginge es nach der Bereitschaft zur direkten Kommunikation punktet das Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), dessen Standort ebenfalls Köln ist. Letzteres verweist nach einer journalistischen Anfrage vor allem auf die Inhalte der Onlinepräsenz inklusive des aktuellen Berichts, der für 2022 einen Höchststand an extremistischen Straftaten feststellt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser verlautbart darin „Volle Härte gegen Extremisten“ zum Schutz der Demokratie. Das Grundrechtekomitee erweist sich gesprächsbereiter. Die Initiative sieht sich als Teil der außerparlamentarischen Opposition. Neben der Publikation von Essays planen und gestalten die Mitglieder Demonstrationsbeobachtungen, Hilfsaktionen für Gefangene, etwa durch Proteste gegen die Ersatzfreiheitsstrafe für Schwarzfahrer:innenoder sie engagieren sich gegen die Abschiebung von Flüchtlingen.
Falsche Experten, wahre Betroffene
Es bestehe weiter Grund zur höchsten Wachsamkeit, erklärt Ministerin Faeser im erwähnten Dokument. Das sieht auch das Grundrechtekomitee so, jedoch aus einer anderen Perspektive: „Ein Inlandsgeheimdienst, der die eigenen Bürger:innen bespitzelt und dabei fast jeglicher Kontrolle entzogen ist, hat in einer Demokratie (...) nichts verloren. Deshalb fordern wir seit jeher seine Abschaffung“, sind sichBritta Rabe und Michèle Winkler einig. Der Extremismusbegriff des Bundesverfassungsschutzes delegitimiere weite Teile des politischen Streits, der doch eine Demokratie erst ausmache. Die Aktivistinnen sehen sich angesichts dessen unfreiwillig in einer ‚verfassungsfeindlichen‘ Rolle und stellen fest: „Behörden, die seit ihrer Entstehung von Nazis durchsetzt sind (...), werden weder die AfD noch die rechte Szene ausreichend kontrollieren. Sie können niemals Teil der Lösung im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus sein“.Dass solche absoluten Behauptungen Vorbehalte gegen das linkspolitische Spektrum schüren, nehmen sie in Kauf. Auch die Schuldzuweisung an Bundes- und Landesämter, vor Razzien im NSU-Umfeld gewarnt und die Naziszene gestärkt zu haben, bleibt unkonkret. Bessere Arbeit leisteten demnach antifaschistische, antirassistische und feministische Recherchekollektive. Wichtig sei zudem die Investition in politische Bildung. Die rechtsextremistisch motivierten Attentate in Chemnitz, Halle oder Hanau belegten vor allem eines: „Pausenlos wird den falschen Experten zugehört. Hört endlich den von rechter Gewalt Betroffenen zu und nicht Behörden, die Teil des Problems sind!“, so die Ehrenamtlerinnen.
In Poes Short-Story verkleben Dichtung und Wahrheit in einer bizarren Teer- und Federungsszene. Weder Opfer noch Täter sind benennbar. Neue Frage: Wer bewacht den Frieden, auf dass er nicht mehr ausbreche? Antwort: Wir.
WER BEWACHT DIE WÄCHTER? - Aktiv im Thema
polizei-gruen.de | Die 2013 gegründete Berufsvereingung Polizei Grün „hat sich die Förderung einer toleranten, kritikfähigen und rechtsstaatlichen Bürgerpolizei zum Ziel gesetzt“.
amadeu-antonio-stiftung.de/modsupport/meldestellen | Die Amadeu Antonio Stiftung informiert über zivilgesellschaftliche Meldestellen, an die sich Menschen wenden können, die von Hasskommentaren betroffen sind, aber keine Anzeige bei der Polizei stellen wollen.
politische-bildung.nrw.de/themen/was-bewegt-nrw/details/debatte-um-polizeigewalt-koennen-bodycams-das-vertrauen-in-die-polizei-staerken/page-2 | Die Landeszentrale für politische Bildung NRW über das Pro und Contra polizeilicher Bodycams.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@engels-kultur.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Wer die Demokratie gefährdet
Intro – Wer bewacht die Wächter?
Wessen Freund und Helfer?
Teil 1: Leitartikel – Viele Menschen misstrauen der Polizei – aus guten Gründen!
„Polizeibeamte kommunizieren in der Regel in einem Herrschaftskontext“
Teil 1: Interview – Kriminologe Rafael Behr über die kritische Aufarbeitung von Polizeiarbeit
Vertrauen in die Polizei
Teil 1: Lokale Initiativen – Projekt EQAL erforscht das Verhältnis von Stadtgesellschaft und Polizei
Missratenes Kind des Kalten Krieges
Teil 2: Leitartikel – Die Sehschwäche des Verfassungsschutzes auf dem rechten Auge ist Legende
„Der Verfassungsschutz betreibt ideologische Gesinnungskontrolle“
Teil 2: Interview – Rolf Gössner über politische Tendenzen des Verfassungsschutzes
Generalverdacht
Teil 3: Leitartikel – Die Bundeswehr und ihr demokratisches Fundament
„Man muss gesetzliche Möglichkeiten schaffen, mit Extremisten umzugehen“
Teil 3: Interview – Militärexperte Thomas Wiegold über Aufgaben und Kontrolle der Bundeswehr
Die Waffen nieder
Teil 3: Lokale Initiativen – Der Landesverband Nordrhein-Westfalen der Deutschen Friedensgesellschaft
Menschenrecht gegen Polizeikontrolle
Die Allianz gegen Racial Profiling – Europa-Vorbild: Schweiz
Der Beverly Hüls Cop
Warum Gewaltenteilung, wenn es nur eine Gewalt braucht? – Glosse
Zivilcourage altert nicht
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Verein zur Erforschung der Sozialen Bewegungen im Wuppertal
Spenden ohne Umweg
Teil 2: Lokale Initiativen – Das Netzwerk 2. Hand Köln organisiert Sachspenden vor Ort
Lebendige Denkmäler
Teil 3: Lokale Initiativen – Die Route Industriekultur als Brücke zwischen Gestern und Heute
Zusammen und gegeneinander
Teil 1: Lokale Initiativen – Spieletreffs in Wuppertal
Jenseits der Frauenrolle
Teil 2: Lokale Initiativen – Die Spieldesignerin und Label-Gründerin Mel Taylor aus Köln
Immer in Bewegung
Teil 3: Lokale Initiativen – Sportangebote für Jugendliche im Open Space in Bochum
Verbunden über Grenzen
Teil 1: Lokale Initiativen – Wuppertal und seine europäischen Partnerstädte
Zu Gast in Europas Hauptstadt
Teil 2: Lokale Initiativen – Die europäische Idee in Studium und Forschung an der Kölner Universität
Europa verstehen
Teil 3: Lokale Initiativen – Initiative Ruhrpott für Europa spricht mit Jugendlichen über Politik
Wasser für Generationen
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Wupperverband vernetzt Maßnahmen und Akteure für den Hochwasserschutz
Was keiner haben will
Teil 2: Lokale Initiativen – Das Kölner Unternehmen Plastic Fischer entsorgt Plastik aus Flüssen
Korallensterben hautnah
Teil 3: Lokale Initiativen – Meeresschutz im Tierpark und Fossilium Bochum
Häusliche Gewalt ist nicht privat
Teil 1: Lokale Initiativen – Frauen helfen Frauen e.V. und das Wuppertaler Frauenhaus
Hilfe nach dem Schock
Teil 2: Lokale Initiativen – Opferschutz bei der Kölner Polizei