„Dann sind halt bloß noch die Witze über.“ Lapidar kam dieser Satz von Uwe Becker in Wuppertals Kulturinstitution börse daher – dabei beschrieb er eine geradezu historische Weichenstellung, mündend in ein erstaunliches Produkt: ein Humorblatt als Stadtmedium. Das Satiremagazin Italien feierte an der Wolkenburg sein Vierzigstes – ein Erfolg ist die vermeintliche Schnapsidee also auch noch geworden.
Das Verbreiten von Kulturterminen war zentrales Anliegen, speziell des Programms der einstigen Jazz AG und der börse selbst – damals am Standort am Viehhof – die also bis hin zum Jubiläumsfest viel mit dem Magazin verbindet. Als Vertreter der Ersteren referierte nun Jazzexperte Rainer Widmann die Gründungsgeschichte, neben Becker, der damals etwas später hinzustieß, doch inzwischen das Heft schon lange federführend in der Hand hat. Bei demonstrativ knapper Finanzlage: Fans wissen, dass es schon ewig unter dem Label „Notnummer“ erscheint – prekär als Standard? Etabliert ist das Blatt jedenfalls längst als humoristische Dauerbegleitung im Stadtleben; dass einer der damaligen Veranstalter, wie heute zu hören, seine Seitenzahl massiv zurückfuhr, erwies sich keineswegs als Todesstoß. Letztlich schärfte es wohl sein heutiges Profil.
Kontroversen und Gekabbel
Unkorrekt ist der Humor des Hefts. Beispiele: Der Klassiker „Talibahn“ von Urgestein Jorgo Schäfer, bei dem ein Muslim der sichtlich fundamentalistischen Art auf die Schwebebahn zeigt. Ebenfalls empörungstauglich zum Tod eines Zeitungs-Zaren 1985 mit der Schlagzeile „Böll tot, Springer tot. Eins zu eins“.
Kaum verwunderlich, dass man sich Feinde machte – dies vermutlich auch nicht unwillkommen. Durchaus genüsslich erinnerte das Moderatoren-Duo jedenfalls an Kontroversen und Gekabbel bis zur Klage aus CDU-Kreisen – samt der Pointe, dass seinerseits das Heft Italien fast einen juristischen Erfolg gegen einen lokalen Spitzenvertreter dieser Partei errang, der das Heft mit dem Völkischen Beobachter der Nazis verglichen hatte. Klar: In der Rückschau vermag derlei zu schmücken.
Auch manch Konservativer weiß allerdings das Satireblatt als festen Bestandteil von Wuppertals Kulturszene zu schätzen – wohl auch weil es im Grunde in alle Richtungen keilt und austeilt. Wie gut das „Standing“ des Spaßblatts ist, belegte nun zudem der gute Zuspruch zum Jubiläum in der börse. Übrigens auch in Teilen der (einstigen) Stadtspitze, obwohl natürlich selbst häufig Zielobjekt der satirischen Pfeile: Ex-OB Andreas Mucke amüsierte sich in den Reihen neben dem derzeit abtretenden Sozialdezernenten Stefan Kühn; wobei das Humorfach beiden nicht fremd ist, bildeten sie doch einst das Duo Don Promillo & Peperoni. Kühn lachte auch gutmütig über einen Scherz auf Kosten der Verwaltung, als auf der Bühne ein „Mitarbeiter“, wie es hieß, mit einer Trophäe bedacht wurde: „Im Rathaus machen sie das ja auch“, wurde da trocken bemerkt.
Rathaus-Trophäen
Preise nämlich gab es einige, vergeben von einem geheimnisvollen Tom Bola, der trotz Blondschopf und Sonnenbrille entfernt an Uwe Becker erinnerte (falls er es denn war: Sonst live gern etwas hölzern, zeigte der Chef hier verkleidet wahres Bühnentalent). Lose waren („ein Irrtum!“) keine verteilt worden, daher durften Zuschauer irgendeine Zahl rufen – und hatten automatisch gewonnen: Bücher von Italien-Autoren. Was nicht zuletzt die Mitarbeiterdichte zum Jubiläum wenigstens per Nennung erhöhte, denn in persona vor Ort waren nur ein paar, darunter der Cartoonist Rattelschneck, und auch der psychedelische Zeichner Eugen Egner ward gesichtet. Mit Frank Gniffke fehlte auch ein Gründer (es hieß, er sei in den Norden gezogen und habe „jetzt ein anderes Leben“). Immerhin genannt Autoren waren etwa Jasmina Kuhnke, die vor ihrem antirassistischen Bucherfolg „Schwarzes Herz“ über Jahre Italien-Kolumnistin war, oder Benjamin Weissinger, dessen unberechenbare Schrägheit sich im Heft bis heute findet.
Demente Pflegeroboter
Zwei weitere indes waren nicht nur da, sondern sogar Haupt-Act des Abends: Elias Hauck und Dominik Bauer präsentierten eine Auswahl ihrer gezeichneten Witze – unds setzten sich wie auch das Publikum gelassen dem kleinen Risiko aus, dass derlei gelesen nicht gleich gut funktioniert. Was aber weder das Duo störte noch die fröhlichen Leser im Saal. Da erwiderte ein trinkfroher Patient dem vor Alkohol warnenden Arzt unbeirrt: „Ich hole mir lieber noch eine Zweitmeinung.“ Ein Mann beschwerte sich bei lärmenden Nachbarn, sie sollten gefälligst „deutlicher reden“. Ein Senior sah sich im Altenheim einem „dementen Pflegeroboter“ gegenüber.
Warum überhaupt ein südeuropäisches Land als Heftname? „Tal“ habe damals vorkommen sollen vor vierzig Jahren, erzählten Becker und Widmann, Varianten hätten keinen überzeugt. Eine Legende wie sonst beim Namen vieler Bands? Wer soll das wissen bei einem Verloser, der behauptet: „Meine Eltern Bernd und Käte Bola haben mich Tom genannt.“ Zur Anarchie von Italien und seiner gehörigen Portion verlässlichen Mutwillens passt die Story jedenfalls gut. „Verlässlich mutwillig“ – geht das überhaupt? Ganz klar, und zwar seit vierzig Jahren. Angeblich hat es seither auch ein paar Mal „Belgien“ geheißen.
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