„Musik wird oft als Gegenmittel für das Böse wahrgenommen. Wir wollen bei den Tagen Alter Musik in Herne herausfinden, wie Musik vergangener Zeiten zu Zorn, Zank, Hass, Neid, Geiz, Sorge, Traurigkeit und Gewalt Stellung bezieht“, so Richard Lorber, der Musikredakteur des WDR und aktueller Künstlerischer Leiter des seit 1976 stattfindenden Spezial-Festivals. In jenen Tagen wirkte ein Trüppchen mit alten Instrumenten gleichwohl so radikal wie ein Bürgerschreck der Neuen Musik. Alte-Musik-Ensembles wirken heute als solider Bestandteil in den Konzertreihen der großen Musikhallen. Da sollte ein Festival das Besondere präsentieren, eben Musiken, die nicht im Kanon gängiger Orchester den Alltag bestimmen. Im diesjährigen Herner Falle scheint dies gelungen zu sein, ein sehr wirksamer und lebensnaher, in mancher Biografie sogar blutiger roter Faden ziert die Thematik: „Todsünden“ fungieren in relativ freier Interpretation als Initialzündung oder Inhalt von musikalischen Kunstwerken.
Das bis in die Neuzeit immer wieder auftretende Thema des „Dies irae“ (Tag des Zorns) zählt zu den beliebtesten Zitaten und folgt einer gregorianischen Sequenz aus dem 13. Jahrhundert. In der Malerei hat dieser „Tag des Jüngsten Gerichts“ als fantastische Horrorversion die Künstler inspiriert. Jetzt gewähren zwei Newcomer-Ensembles der Szene in Motetten und geistlichen Konzerten einen Blick auf Gottes Zorn und gepeinigte Seelen in der Musiksprache des Hochbarock.
Alessandro Stradellas Oper „Amare e fingere“ (Lieben und heucheln) erlebt in Herne ihre moderne Erstaufführung. Der Titel wirkt wie eine Lebensbeschreibung des barocken Tonsetzers, dem es nicht an Talent, sondern an Tugendhaftigkeit mangelte – die Strafe folgte durch einen Meuchelmord auf offener Straße. Das Ensemble Mare Nostrum mit Andrea De Carlo stemmt dieses Stück aus 1676 im Kulturzentrum.
Ein halbes Jahrhundert jünger ist die Oper „L´Olimpiade“ von Vivaldi. Im Buch des berühmten Metastasio versucht der Protagonist sogar einen Mordanschlag auf einen König, um der eigenen Wollust zu frönen. Andrea Marcon leitet La Cetra aus Basel und ausgesuchte Sängersolisten. Die Opern stellen die aufwendigsten Produktionen dar. Die Ensemble-Abende darf der Musikfreund selbst entdecken, entgegen der heute weit verbreiteten Faulheit, Völlerei…
Tage Alter Musik | 8. - 11.11. | Herne | www.tage-alter-musik.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Mode und Stil
Tage Alter Musik 2023 in Herne – Klassik an der Ruhr 11/23
Rebellen und Revoluzzer
In Herne poltert die Alte Musik – Klassik an der Ruhr 11/17
Sinfonische Vollender
Gil Shaham in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 11/24
Aus Alt mach Alt
Tage Alter Musik in Herne 2024 – Klassik an der Ruhr 11/24
Weiblicher Beethoven
Emilie Mayers 5. Sinfonie im Konzerthaus Dortmund – Klassik an der Ruhr 10/24
Ein Himmel voller Orgeln
Zwei Orgelfestivals in Köln und Düsseldorf – Klassik am Rhein 10/24
Mit virtuoser Blockflötistin
33. Festival Alte Musik Knechtsteden in Dormagen und Köln – Klassik an der Ruhr 09/24
Nach François-Xavier Roth
Der Abgang des Kölner GMDs sorgt für Umbesetzungen – Klassik am Rhein 09/24
Barock und Filmmusik
Open-Air-Konzerte „Viva Italia!“ im Ruhrgebiet – Klassik an der Ruhr 08/24
Exotische Musik
„Sounds of Nature“ und „Diálogos de amor“ beim Niederrhein Musikfestival 2024 – Klassik am Rhein 08/24
Akademische Bürgernähe
Michael Ostrzyga dirigiert „Elias“ in Bergheim und Köln – Klassik am Rhein 07/24
Pop-Hit trifft düstere Rarität
Semesterkonzert an der RUB – Klassik an der Ruhr 07/24
Bruckners „verfluchte“ Neunte
„Von Herzen – Letzte Werke“ in Bochum – Klassik an der Ruhr 06/24
Mit Hochdruck bei der Arbeit
Die Orgelfeierstunden im Kölner Dom – Klassik am Rhein 06/24
Träume aus alten Zeiten
Zamus: Early Music Festival 2024 in Köln – Klassik am Rhein 05/24
Ungewünscht brandaktuell
Auftakt zum Klangvokal Festival Dortmund 2024 – Klassik an der Ruhr 05/24
Wiederentdeckt
Werke von Amerikas erster schwarzer Klassikerin in Essen – Klassik an der Ruhr 04/24
Orchester der Stardirigenten
London Symphony Orchestra in Köln und Düsseldorf – Klassik am Rhein 04/24
Blickwechsel in der Musikgeschichte
Drei Spezialisten der Alten Musik in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 03/24
Spiel mit den Elementen
Alexej Gerassimez & Friends im Konzerthaus Dortmund – Klassik an der Ruhr 03/24
Hellwaches Monheim
Das Rheinstädtchen punktet mit aktueller Kultur – Klassik am Rhein 02/24
Temperamentvoller Sonntag
Bosy Matinée mit Asya Fateyeva und Gemma New in Bochum – Klassik an der Ruhr 02/24
Abenteuerliche Installation
„Die Soldaten“ in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 01/24
Keine Grenzen
Philharmonix in Dortmund und Düsseldorf – Klassik an der Ruhr 01/24
„Herrliche Resonantz“
Avi Avital in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 12/23