Mit dem Deutzer Hafen wird in Zukunft eines der urbanen Filetstücke Kölns für das Wohnen und Arbeiten gewonnen. Wo heute noch ein großer Schrottplatz zu sehen ist, eröffnet sich dann die Möglichkeit ein eigenes Viertel mit direktem Blick auf das Rhein-Panorama zu entwickeln. Die Fehler, die man im Rheinauhafen offenen Auges begangen hat, nämlich dem Optimierungsdrang der Investoren weder einen einzelnen Baum noch ein lebendiges kulturelles Biotop abzutrotzen, soll in Deutz vermieden werden. Schon jetzt bewirbt die Stadt Köln das Hafenviertel mit einer Kulturinstitution, die allerdings erst ganz jungen Datums ist. In der urbanen Ödnis der Siegburger Straße eröffneten Raphael Spiegel und Slava Gepner die TanzFaktur. Einen Initiative, die keineswegs die Frucht einer kulturpolitischen Überlegung war, sondern aus der Bürgerschaft kam und dem privaten Engagement, bzw. der Risikobereitschaft einer Gruppe von Tanzbegeisterten entsprang.
Erst ein halbes Jahr liegt die Eröffnung zurück, aber es deutet sich bereits an, dass Köln mit dem neuen Tanz-Ort eine kleine Erfolgsgeschichte erlebt. Die beiden Gründer verzeichneten zu ihrer eigenen Überraschung an die 1500 Besucher auf dem ehemaligen Fabrikgelände am Rheinufer. Zwanzig Choreographien präsentierten sie, und dass die TanzFaktur Großstadt-Feeling vermittelt, konnte man kurz vor Weihnachten zu Beginn des Winter Tanz Festivals erleben. Unter dem Titel „Borderlands“ präsentierte die Faktur polnische Produktionen und Arbeiten der niederländischen K+K Productions aus Den Haag. So muss das internationale Kulturangebot einer Metropole aussehen. Menschen, die nach der Arbeit Tanz erleben wollen, bekommen in der Faktur sinnlich knisternde Tanz-Produktionen für Erwachsene geboten.
Zwei Frauen (Elwira Piorun und Karolina Kroczak) konkurrieren in „Closeness“ um einen Mann (Szymon Osinski). Zunächst bekommt ihn die ältere, dann die jüngere. Letztlich zerbrechen aber alle Beziehungen, da jeder nur das Bild liebt, das er sich selbst vom anderen macht. Das Trio tanzt die Lust, findet Gesten für das Locken und Dahinschmelzen der Körper ohne in explizite Bilder abzugleiten. Die Zamirowania Dance Company aus Warschau unter Leitung von Tomas Nepsinsky bot zu distinguierten Klaviermelodien ein Musterbeispiel für Leidenschaft, die aufgrund exzessiver Nähe verdampft.
Zuvor lieferte das Lubelski Teatr Tańca aus Lublin mit „Stalking Paradise“ eine sechsköpfige Ensembleproduktion, die nach dem Glauben in Zeiten satten Konsums fragte. Die schwarz gekleideten Tänzer bewegen sich wie kalligraphische Zeichen in Landschaften aus Astwerk oder Wolken, die auf drei Wände projiziert werden. Die Choreografie sucht nicht das sprechende Bild, sondern organisiert sich auf formale Tanzmuster hin und bleibt dennoch geladen mit kraftvoller Präsenz.
Mitunter verwandelt sich die Bühnenlandschaft in einen Kubus aus Worten, wenn nach den Wünschen gefragt wird, die manchmal authentisch zu sein scheinen und dann wieder den Sprechblasen der Werbung entnommen sind. Die Polen meinen es ernst, Tanz wird zum analytischen Instrument, das nach ethischen Grundsätzen bohrt. Die beiden Leiter der Kompanie Külli Roosna und Kenneth Flak stammen aus Estland und Norwegen, leben in den Niederlanden und Arbeiten mit polnischen Künstlern. Im Tanz gehört das gemeinsame Arbeiten über nationale Grenzen inzwischen selbstverständlich zum europäischen Alltag.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Supergau?
Die TanzFaktur steht wieder einmal vor dem Aus – Tanz in NRW 09/24
Kaffee, Kuchen, Stacheldraht
12. Tanz.Tausch Festival in der Kölner TanzFaktur – Tanz in NRW 08/24
Das Unsichtbare sichtbar machen
Choreographin Yoshie Shibahara ahnt das Ende nahen – Tanz in NRW 04/24
Kommt die Zeit der Uniformen?
Reut Shemesh zeigt politisch relevante Choreographien – Tanz in NRW 02/24
Tanz auf Augenhöhe
„Chora“ in der Tanzfaktur – Tanz in NRW 12/23
Tänzerinnen als „bad feminist“
tanz.tausch in Köln – Tanz in NRW 08/23
Visionen, Mut und Fleiß
Rund zehn Jahre Kölner Tanzfaktur – Tanz in NRW 06/23
Frischer Wind
Sommerakademie der TanzFaktur in Köln – Tanz in NRW 07/22
Neue Perspektiven
Ausbau der Tanzfaktur wirft Fragen auf – Tanz am Rhein 02/19
Das Paradies der Egoisten
Kristóf Szabó und die Vision vom optimierten Menschen – Tanz in NRW 09/18
Agentenaktion
LIGNA und interaktive Spiele im Stadtraum – Tanz an der Ruhr 09/18
Die Schönheit ausmessen
Die Sommer-Akademie des Tanzes trumpft mit starkem Programm auf – Tanz am Rhein 07/18
Im Kreisrund sind alle gleich
4. Ausgabe des Festivals Zeit für Zirkus – Tanz in NRW 11/24
War das ein Abschied?
Sônia Motas „Kein Ende“ in den Kölner Ehrenfeldstudios – Tanz in NRW 10/24
Wunderbar: alles ohne Plan
„Leise schäumt das Jetzt“ in der Alten Feuerwache – Tanz in NRW 07/24
Vor der Selbstverzwergung
Ausstellung zu den „Goldenen Jahren“ des Tanzes in Köln – Tanz in NRW 06/24
Philosophie statt Nostalgie
Das Circus Dance Festival in Köln – Tanz in NRW 05/24
Tennismatch der Kühe
„Mata Dora“ in Köln und Bonn – Tanz in NRW 03/24
Am Ende ist es Kunst
Mijin Kim bereichert Kölns Tanzszene – Tanz in NRW 01/24
Eine Sprache für Objekte
Bundesweites Festival Zeit für Zirkus 2023 – Tanz in NRW 11/23