engels: Frau Meier, wie haben Sie es geschafft, als Spielfilmdebütantin für „Home“ solch bekannte Schauspieler wie Olivier Gourmet und Isabelle Huppert vor die Kamera zu kriegen?
Ursula Meier: Man müsste die Schauspieler fragen ... Ich glaube aber, dass diese Geschichte sie gefesselt hat. Schon als Script ist „Home“ ein Kopfsprung in eine stark akustische und visuelle Welt mit viel schwarzem Humor. Ich wollte aus zwei extrem antagonistischen Figuren schöpfen. Man weiß nichts über ihre Vergangenheit, welche Arbeit Michael hat oder Marthe hatte. Es wird nichts erzählt. Diese zwei Körper aber mit ihren großen Unterschieden und starken Gegensätzen, diese zwei gegenüberstehenden Präsenzen erzählen schon recht viel über das Liebespaar.
Wie war die Zusammenarbeit? Stellte es ein Problem bei den Dreharbeiten dar, dass im Gegensatz zu Ihnen die beiden Hauptdarsteller eine jahrzehntelange Erfahrung hatten?
Sie waren sehr aufmerksam und sehr engagiert. Es sind außerordentliche Schauspieler, die trotz der beeindruckenden Filmerfahrung ständig auf der Suche sind, gern etwas Neues ausprobieren und sich auf Risiken einlassen. Ich hatte außerdem die Unterstützung einer unglaublichen Crew, darunter die Kamerafrau Agnès Godard, die u.a. bei Wim Wenders' „Der Himmel über Berlin“ mitgewirkt hat.
„Home“ erinnert ein wenig an parabelhafte Filme aus den 60er und 70er Jahren wie „Themroc“ mit Michel Piccoli. Sehen Sie sich in der Tradition eines solchen Symbolismus?
„Home“ ist tatsächlich ein zeitgenössisches Märchen über die Familie. Während des Schreibens habe ich an Filme wie „Der Würgeengel“ von Luis Buñuel oder „Ekel“ von Roman Polanski gedacht. Ich wollte einen Film, der Ton und Stilrichtungen frei mischt, der ständig zwischen Drama und Burleske schwankt und dabei den Zuschauer schleichend an die Grenzlinie von Sinnlosigkeit und Wahnsinn heranführt. Die Eröffnung der Autobahn ist die Metapher für eine Welt, die direkt vor unserem Fenster hält: lärmend, gefährlich, schmutzig. Diese neue Welt dient inmitten der Familie als Lupe und enthüllt abgründige Störungen und Beklemmungen.
Ich stelle nur ungern Fragen nach den Drehbedingungen, aber hier muss es sein: Wie haben sie die Szenerie mit der zunächst unfertigen und dann stark frequentierten fertigen Autobahn realisieren können, ohne selbst eine bauen zu müssen?
Die Kulisse war sehr schwer zu finden. Da der Film weder zeitlich noch örtlich einzuordnen sein durfte, suchte ich eine lange Strecke halb verwüstet mitten im Niemandsland. Wir haben zuerst in Frankreich, Belgien und der Schweiz nach verlassenen Straßen, militärischen Landebahnen oder Autobahnen im Bau gesucht. Später weiteten wir die Suche aus, bis wir die Kulisse in Bulgarien fanden. Diese Trasse war 2,3 km lang, um dann eine kleine Landstraße zu werden. Sie wurde zu der Zeit erweitert, um der Gegend als Landebahn zu dienen. Wir konnten also mit der Straße umgehen, wie wir wollten: asphaltieren, weiße Streifen malen, Sicherheitsschranken anbringen, die Komparserie von Autos, Wohnwagen, Motorrädern und LKWs fahren lassen. Für die Stauszenen haben wir bis zu 300 Fahrzeuge gebraucht. Das Haus aber wurde ganz neu gebaut. Es war ein einzigartiger Drehort, der einem riesigen Studio im Freien ähnelte.
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