engels: Herr Albu-Schäffer, Roboter bevölkern seit einem guten Jahrhundert die menschliche Fantasie. Inzwischen gibt es humanoide Automaten. Inwieweit hat sich die Wissenschaft von der Fantasie leiten lassen?
Alin Albu-Schäffer: Das Besondere an der Robotik ist tatsächlich, dass auch das breite Publikum eine gute Vorstellung davon hat, auch durch Science-Fiction-Filme und Bücher. Das ist Fluch und Segen zugleich, würde ich sagen. Science-Fiction-Filme wecken Begeisterung bei einigen, bei anderen aber wecken sie vor allem erst einmal große Erwartungen, denn in diesen Filmen können die Roboter alles, was Menschen können – in der Realität dauert es bis dahin aber noch einige Zeit. Und natürlich wecken sie auch Ängste, weil diese Filme oftDystopien zeigen. Insofern ist es eine zweischneidige Geschichte, aber man kann schon nicht leugnen, dass die meisten Forscher von diesen Filmen beeinflusst wurden. Wobei das wechselseitig ist, denn die wirklich guten Filme wurden auch mithilfe von Forschern recherchiert. So zum Beispiel „I, Robot“ von 2004: In den ersten zwei Minuten dieses Films wird der Entwurf einer Gesellschaft gezeichnet, in der Roboter allgegenwärtig sind und das ist sehr, sehr präzise gemacht. Wenn man Wissenschaftler wie uns gefragt hätte, wären genau solche Szenen dabei herausgekommen. Da bin ich mir sicher, dass die Kollegen aus dem Silicon Valley mit eingebunden waren. Da gibt es eine Szene, in der ein Kind einen Roboter umarmt, es gibt eine Szene in der Roboter den Müll wegbringen – sie strahlen Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit aus und machen die schmutzigen, unbeliebten Arbeiten. Da gibt es einen Roboter, der in der Küche mit unheimlicher Geschwindigkeit Gurken schneidet, zehnmal schneller als ein Mensch. Dann gibt es einen Roboterbutler in einer Bar. Und all das schon in der ersten Szene. Also es ist schon eine wechselseitige Beziehung und ein interessantes Thema. Doch, ja, wir sind durchaus von Science Fiction geprägt.
„Wir sind durchaus von Science Fiction geprägt“
In München findet zurzeit die Fachmesse Automatica statt (Das Interview wurde Ende Juni geführt; d. Red.). Welche Entwicklungen kündigen sich hier an?
Vielleicht das prägendste Thema sind Cobots – also kollaborative Roboter. Das ist ein Thema, das schon seit einigen Jahren auf Messen präsent ist. In der Forschung war es bereits um die Jahrtausendwende etabliert, darüber habe ich 2001 auch promoviert. Man sieht daran, wie lang der Vorlauf ist, bis es zu funktionsfähigen Prototypen kommt. Jetzt gab es tatsächlich eine ganze Messehalle mit Firmen, die Cobots anbieten. Kollaborative Roboter arbeiten nicht mehr nur hinter Gitterzäunen, sondern haben in der Produktion tatsächlich Kontakt zum Menschen – sie übergeben etwa Dinge für gemeinsame Arbeitsschritte oder teilen sich zumindest den Arbeitsraum. Aber sie kommen auch tatsächlich im Alltag an: Mobile Robotik ist ein großes Thema – fahrende, fliegende Roboter, Roboter, die sich auf Straßen und in Wohnungen unter Menschen bewegen. Das ist meiner Meinung nach der größte Trend. Ein weiter großer Trend ist die Künstliche Intelligenz. Vor zwanzig Jahren bestanden Roboter hauptsächlich aus Mechatronik mit ein bisschen Software, heute spielt die KI eine riesige Rolle und hat die Bedeutung der Hardware mindestens ausgeglichen, wenn nicht überholt. Der Durchbruch wird sicherlich in Sachen Intelligenz passieren, denn wenn man sich in menschlichen Umgebungen bewegt, kann man nicht blind alles vorprogrammieren, sondern der Roboter muss intelligent auf seine Umgebung reagieren. Da braucht man in der KI große Durchbrüche und die jetzt in der Robotik einzubinden und auf die Bedürfnisse der Robotik anzupassen, ist auch ein großer Trend.
Der Roboter wird zum Kollegen?
Ja, das ist nicht nur eine Vision, sondern wird langsam Alltag, was bedeutet, dass auch kleinere und mittlere Betriebe diese Maschinen anschaffen können. Früher hat man entweder eine Firma beauftragt, oder in der eigenen Firma eine Abteilung aufgebaut, die Roboter programmieren konnten. Man brauchte Spezialisten, und das konnten sich natürlich nur große Hersteller, Automobilhersteller leisten, so ein Mittelständler mit zwei-, dreihundert Mitarbeitern, konnte keine Roboter einsetzen. Das ändert sich gerade, weil man diese kollaborativen Roboter ganz einfach programmieren kann. Beziehungsweise, man kann sie einfach an die Hand nehmen, führen, sie haben so viel KI dass sie leichtanzupassen sind. Das heißt, die Anschaffung lohnt sich schon ohne Spezialisten. Ein typisch ausgebildeter Ingenieur oder Informatiker kannin kurzer Zeit lernen, diese Roboter zu programmieren. Da passiert sehr viel.
„Wir müssen uns mit KI und Automation anstrengen, den Verlust an Fachkräften auszugleichen“
Diese Automatisierung löst auch Ängste vor Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt aus.
Es ist auch schon wieder drei, vier Jahre her, dass diese Studien herauskamen, nach denen 70 Prozent der Arbeitsplätze durch KI und Robotik verloren gehen würden, aberja, das ist tatsächlich ein Thema, das immer wieder auftaucht; vor allem in den Medien, ehrlich gesagt, nicht in den Unternehmen. Denn letztendlich sind Roboterauch nichts anderes als intelligente Werkzeuge, Maschinen. Diese Diskussion führt man jetzt schon seit 200 Jahren, angefangen bei den schlesischen Webern und den Webstühlen. Es wird wohl keiner behaupten,es wäre besser, wenn Weber noch von Hand webten. Die Steigerung der Produktivität durch Maschinen hat eigentlich nie zu Arbeitslosigkeit geführt. Kurze Dellen, die gibt es immer,aber man hat ja gelernt, damit sozial gerecht umzugehen. Die Produktivität zu steigern hat noch nie zu einem Nachteil geführt, diese frei gewordenen Arbeitskräfte haben ja immer neue Tätigkeitsfelder gefunden. Wir leben in Deutschland im Wohlstand dank Maschinen, nicht trotz ihnen. Wenn wir heute in Deutschlandnoch manuell arbeiten würden, könnten wir mit Niedriglohnländern nicht mithalten. Das ist bei der Robotik nicht anders, da bin ich mir sicher. Man hat schon beim Siegeszug der Computer gefürchtet, dass die Leute alle arbeitslos werden – nein, sie machen nur einfach etwas anderes. Technisches Zeichnen wird nicht mehr mit Stift und Papier gemacht, sondern in 3D, und trotzdem hat man genug zu tun. Ich war bei einer Veranstaltung des DGB, der eine Untersuchung zu dem Thema in Auftrag gegeben hatte, weil die Gewerkschaften eben auch besorgt waren. Fazit war: Wir müssen uns mit KI und der Automation ganz schön anstrengen, um den Verlust an Fachkräften auszugleichen, ganz einfach aufgrund des demographischen Wandels. Wenn jetzt die Babyboomer-Generation in Rente geht, wird sich das Verhältnis zwischen Rentnern und Leuten im arbeitsfähigen Alter in den nächsten Jahren deutlich verschlechtern. Also war das Fazit der Gewerkschaften: Wir müssen diesen Verlust an Arbeitskraft irgendwie abfangen und durch Produktivität ausgleichen. Insofern habe ich nicht die geringste Sorge. Was stimmt ist, dass man sich als Staat um diese Transition kümmern muss, also: Wie bringt man die Leute in neue Berufe, wie bildet man sie aus? Aber das haben wir jetzt auch bei der Digitalisierung gesehen – es sind viele neue Berufe und Tätigkeitsfelder entstanden, die es vorher gar nicht gab. Natürlich sind ein paar verschwunden, aber man muss sich um diese Transition kümmern, bewusst kümmern, das ist, glaube ich, die einzige wichtige Message.
Als vielversprechendes Einsatzgebiet für kollaborative Roboter gilt die Pflege. Hierfür wurde bereits der Begriff „Geriatronik“ geprägt. Was hat es damit auf sich?
Das ist eine Wortschöpfung, die die Kollegen in Garmisch Partenkirchenvom Forschungszentrum für Geriatronik geprägt haben. Das bezieht sich natürlich auf die Geriatrie, die sich mit älteren Leuten aus medizinischer Sicht und im sozialen Kontext beschäftigt. Bei der Geriatronik geht es also darum, Menschen im Alter mit technischen, robotischen Mitteln zu unterstützen und zwarauf unterschiedlichster Ebene.
Auch das löst Ängste aus – Patienten und Heimbewohner, denen menschliche Zuwendung entzogen wird, die nur noch maschinell versorgt werden.
Ich glaube, die Befürchtung dabei ist die vor einem Ausgeliefertsein, wie etwa in dieser Szene aus dem alten Charlie Chaplin-Film „Modern Times“, in dem Chaplin als Versuchskaninchen von einer Füttermaschine malträtiert wird. Das ist die Horrorvision von Geriatronik – die Maschine hat die Kontrolle und der Mensch muss sich fügen. Dieses Video zeige ich sehr gerne in meinen Vorträgen, um zu verdeutlichen, dass wir Maschinen bauen müssen, die dem Menschen dienen, die tun was die Menschen möchten, und nicht anders herum.
„Die Leute sagen: So ein Gerät würde ich mir zulegen, wenn ich es voll unter Kontrolle hätte“
Wie begegnen sie diesen Befürchtungen?
Wir haben ja den demographischen Wandel angesprochen, das ist etwas, das uns in den nächsten 15 Jahren ziemlich massiv treffen wird. Der Trend geht ganz klar dahin, dass die Leute so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden bleiben wollen, und erst in Heime ziehen, wenn es nicht mehr anders geht. Meine Erfahrung ist daher, dass die Leute sagen: So ein Gerät würde ich mir zulegen, wenn ich es voll unter Kontrolle hätte. DieVorsitzende einer Vereinigung von Patienten mit motorischen Einschränkungen kam einmal in unser Labor, setzte sich in einen unserer Rollstühle, probierte einen Arm aus, mit dem sie Dinge greifen konnte und wurde dann gefragt, ob sie sich das vorstellen könne und sie sagte, sie könne sich das wunderbarvorstellen – wenn ich das mit meinem Willen steuern kann. Das ist die Quintessenz: Wenn die Leute den Eindruck haben, dass sie einfach eine Erweiterung ihrer eigenen Fähigkeiten erlangen, dann würdensie es lieber heute als morgen haben. Man muss differenzieren, natürlich gibt es die Befürchtung, dass die alten Leute vereinsamen, aber ich glaube, die Leute wollen vor allem unabhängig, selbständig seinund dann von Verwandten und Freunden besucht werden – also nicht nur, damit sie gewaschen werden, oder ihnen die Kleider gewechselt werden, denn sie wissen, dass es für die Pflegenden eine Last sein kann. Sie wollen soziale Kontakte, aber diese nicht durch ihren Pflegebedarf erzwingen. Es wäre also ein Trugschluss zu glauben, dass es die Maschinen sind, die zur Vereinsamung führen – bei der Einführung des Telefons gab es ja ähnliche Debatten.
2020 veröffentlichte der Deutsche Ethikrat eine Stellungnahme zur Robotik in der Pflege. Fazit: Ja, unter Bedingungen. Arbeiten Sie mit solchen Institutionen zusammen?
Ja, sehr eng sogar. Alena Buyx, die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, ist Professorin hier an der TU München, daher kenne ich sie persönlich. Ich bin jährlich in etlichen Gremien und Workshops, in denen es um ethische Fragen geht. Wirsprechen da sehr ausführlich, nicht nur über Workshops und Papiere, sondern auch über Projekte und Studien. Wir starten jetzt im Herbst zusammen mit der Caritas und der Katholischen Hochschule München, die sich mit Ethik und Pflegeausbildung befasst, eine Studie. Die Caritas weiß, wo die Bedürfnisseliegen, wir bringen die Technologie, um einen Katalog zu erstellen, die Schnittmenge dessen, was notwendig ist und was technisch möglich ist – also dem, was die Pfleger brauchen, um entlastet zu werden. Wir schauen, was davon technisch möglich ist, also sich bereits heute, oder in den nächsten drei Jahren, realisieren lässt und dann sehen wir uns an, was davon unter ethischen Gesichtspunkten vertretbar ist.
„Jeder Mensch hat seinen persönlichen Assistenten, der Trend geht dahin“
Was sind die Herausforderungen?
Es geht etwa um das Thema Einwilligung, was besonders schwierig im Zusammenhang mit Patienten mit Demenz ist. Das haben wir noch nicht angegangen – im Moment arbeiten wir mit Patienten, die zwar körperlich eingeschränkt sind, aber selbst Entscheidungen fällen und einwilligen können. Es gibt aber auch Studien, die großen Nutzen für Demenz-Patientennachgewiesen haben. Wir stehen in Kontakt mit einer Gruppe in Barcelona, die wunderbare Arbeiten macht, in denen man mit Robotern Menschen in verschiedenen Demenz-Stadien zu bestimmten Spielen animiert,auch um deren Stadium zu bewerten. Aber unser Fokus liegt auf Patienten mit Bewegungseinschränkungen, die selbst entscheiden können, wollen sie das, oder wollen sie das nicht.
Halten sie den Siegeszug der Robotik für unausweichlich, oder könnte menschliche Arbeitskraft die bevorzugte Alternative bleiben?
Ich sehe natürlich, dass die Kosten über die Stückzahlen massiv fallen. Cobots sind noch in einer Phase, in der man vielleicht schon Stückzahlen in den Tausendern verkauft, es aber eben noch kein Millionenmarkt ist. Ich glaube, dass die Preise noch deutlich erschwinglicher werden. Die Frage ist nur: Was können Roboter, und was wollen Menschen, das Roboter tun. Es gibt Moravecs Paradoxon das besagt, dass KI zwar den Weltmeister im Schach oder Go schlagen, aber nicht die Arbeit einer Putzfrau ausführen kann. Menschen haben im Alltag Fähigkeiten, die extrem ausgereift sind, da haben wir einfach einen evolutionärenVorsprung von mehreren Millionen Jahren. Und das komplett in KI- oder Robotersystemen nacheifern zu wollen, ist zum einen schwierig, zum anderen nicht immer sinnvoll und zum dritten: Roboter sind dazu da, dem Menschen zu dienen. Also, wenn Menschen die Automatisierung nicht wollen, wird es auch nicht dazu kommen. Ich kann mir allerdings schon eine Gesellschaft vorstellen, in der Roboter allgegenwärtig sind, viele Aufgaben übernehmen, und die Menschen genau dadurch völlig andere Themenfelder für sich entdecken. Auf dem KI-Symposium auf der Automatica-Messe gab es einige visionäre Vorträge, und einer handelte davon, dass die Welt in ein paar Jahren nicht nur zehn Milliarden Menschen, sondern auch 10 Milliarden Personal Assistant Robots beherbergen wird. DieseVision, jeder Mensch hat seinen persönlichen Assistenten, das wird natürlich nicht in fünf oder zehn, oder 20 Jahren so weit sein, aber der Trend geht dahin, das ist eindeutig.
ROBOTERLIEBE - Aktiv im Thema
rettungsrobotik.de/home | Der Verein Deutsches Rettungsrobotik-Zentrum fördert die Entwicklung von Robotern für den Schutz von Menschen und Sachwerten.
ipa.fraunhofer.de/de/Kompetenzen/roboter--und-assistenzsysteme.html | Das Fraunhofer Institut informiert über Roboter- und Assistenzsysteme.
deutsches-museum.de/bonn | Die Ausstellung „Mission KI“ im Deutschen Museum Bonn verfolgt in mehreren „Erlebnisräumen“ moderne Technik und ihr Verhältnis zum Menschen.
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