engels: Herr Harder, warum kann ich Ihnen glauben?
Bernd Harder: Wenn Sie ein Grundmisstrauen gegenüber Autoritäten oder Experten haben, dann kann ich Ihnen erzählen, was ich will. Ich werde Sie nicht vom Gegenteil überzeugen können.
Wie funktioniert eine Verschwörungstheorie? Hat sie einen wahren Kern?
Eine Verschwörungstheorie erkennt man daran, dass sie auf einen vermeintlich geheimen Plan verweist und meistens die scheinkritische Frage „Wem nützt es?“ stellt.Die meisten Verschwörungstheorien − da ist es genauso wie mit Wandersagen − müssen irgendwo in der Erfahrungswelt der Leute andocken, damit sie geglaubt werden. Es gibt zwar auch völlig fantastische Ideen wie die von Echsenmenschen, aber dieses Thema spielt im Moment eine eher untergeordnete Rolle. Der wahre Kern ist, dass jeder Einzelne von uns, alle achtzig Millionen in Deutschland, von diesen Maßnahmen rund um Corona persönlich betroffen ist. Im Unterschied zu allen anderen Verschwörungstheorien ist das eine einmalige Situation. Sie schafft die große Akzeptanz für Verschwörungsmythen derzeit.
In einem Bamberger Bioladen waren über Wochen Aushänge mit Verschwörungstheorien im Fenster. Welche Verantwortung hat der Inhaber?
Ein Ladenbesitzer kann ja erst einmal machen, was er will. Ob man dann dort einkaufen geht, würde ich mir gut überlegen. Ich persönlich würde da keinen Fuß reinsetzen. Insofern sehe ich die Verantwortung eher bei den Kunden. Bei Titeln wie „Unglaublich, die große Corona-Lüge ist aufgeflogen!“ oder „Bill Gates wird jeden impfen, auch Dich!“ sollte jedem von vornherein klar sein, dass es nicht um eine kritische Auseinandersetzung über den Sinn oder Unsinn der Corona-Maßnahmen geht, sondern schlicht um Meinungsmache.
Christian Drosten ging sogar soweit, zu sagen, Verschwörungstheorien könnten das Leben kosten. Was sagen Sie?
In diesem konkreten Fall, wenn es um unsere Gesundheit geht, wäre das tatsächlich so. Das Fatale an den Verschwörungstheorien im Moment ist, dass sie eine doch noch relativ breite gesellschaftliche Übereinkunft über den Sinn dieser Maßnahme außer Kraft setzen wollen. Ob man jetzt an Echsenmenschen glaubt oder die gefälschte Mondlandung, so what, das schadet erst mal keinem. Wenn allerdings indirekt oder direkt behauptet wird, dass es überhaupt keine Gefahr gibt und dass alle Maßnahmen, die getroffen werden, sowieso sinnlos sind und nur dazu dienen, eine Diktatur einzuführen,haben Verschwörungstheorien ein reales Gefahrenpotenzialim Unterschied zu früher.
Vegan-Koch Attila Hildmann und Rapunzel-Chef Joseph Wilhelm haben wirksame Corona-Maßnahmen öffentlich abgelehnt. Was bewirken derartige Statements in der Bio-Szene?
Fakt ist, dass solche Promis erst mal ein größeres Publikum mit Verschwörungstheorien in Kontakt bringen als vielleicht üblich. Die Leute können dann aber immer noch selbst entscheiden, ob sie das glauben oder nicht.
Die besten Verschwörungstheorien bekommen jährlich den Goldenen Aluhut verliehen. Wer hat ihn in diesem Jahr Ihrer Meinung nach verdient?
Daswird dieses Jahr ganz schön schwierig. Es gibt eine ganze Reihe von Corona-Pseudo-Experten wie Wodarg oder Bhakdi. Hier kann man allerdings sagen, dass sie nicht so eine große Reichweite haben und auch nicht so radikal sind. Naidoo hingegen war schon mehrmals unter den Preisträgern, doch er macht ja eigentlich nichts Neues. Es wird nur endlich einmal bekannt, was er im Grunde bereits seit Jahren erzählt. Wir haben uns schon immer gewundert, warum den noch keiner vor die Tür gesetzt hat. Was aktuell allerdings die Reichweite, den Aberwitz und die völlige Faktenresistenz angeht, könnte es auf Hildmann hinauslaufen.
Kann jeder einer Verschwörungstheorie erliegen oder wer ist besonders anfällig dafür?
Zahlen dazu waren bisher ganz schwer zu kriegen, denn es gab immer nur allgemeine Erhebungen. Die sogenannte Leipziger Mitte-Studie von 2019 ergab, dass etwa 30 Prozent der Befragten eine Verschwörungsmentalität zeigten. Das hat man mit sehr allgemein gehaltenen Fragen ermittelt wie etwa: „Glauben Sie, dass es geheime Organisationen gibt, die Einfluss auf politische Entscheidungen haben?“ Zu Corona gibt es jetzt viel konkretere Umfragen, in denen beispielsweise abgefragt wird, ob Leute glauben, dass das Corona-Virus eine Erfindung sei. Hier bewegen sich die Ergebnisse auch im Rahmen von 25 bis 30 Prozent. Das bedeutet immer noch, dass die große Mehrheit nicht daran glaubt. Verschwörungstheoretiker müssen also schon etwas haben, was andere nicht haben. Das Wenige, was man darüber weiß, ist, dass Leute besonders anfällig dafür sind, die sich marginalisiert fühlen oder sich von der gesellschaftlichen Teilhabe entfremdet haben. Das wird definiert als einMix aus Machtlosigkeit, Isolation und Kontrollverlust.
Wie wird dieses Gefühlskonglomerat wahrgenommen?
Man erlebt, dass jeder Einzelne von den Corona-Maßnahmen betroffen ist. Plötzlich kann man nicht mehr das tun, was man will. Man verliert ein bisschen die Kontrolle über sein Leben, fühlt sich machtlos, ausgeliefert. Wenn jemandem die offizielle Begründung dafür nicht einleuchtet, dann fängt er oder sie an, Begründungen dafür zu basteln: „Da passiert irgendwas. Sie sagen uns nicht die Wahrheit. Das kann alles gar nicht sein. Da muss irgendwas Anderes dahinterstecken.“ Dadurch entsteht eine Denkspirale. Hildmann hat es genauso beschrieben, ohne es selbst zu bemerken. Am Anfang hat er in einem großen Zeit-Artikel gesagt, dass es bei ihm verschiedene Eckpunkte gab. Zu Beginn hat er Videos aus Wuhan gesehen, in denen die Leute ihre Haustiere umgebracht haben, weil sie Angst hatten, sich bei ihnen mit dem Corona-Virus anzustecken. Das hat ihn als Tierschützer und Veganer extrem getriggert. Dann hat er erst mal realisiert, welche Ausmaße das Virus vor Ort einnimmt. Im Spiegel hat er dann einen Artikel gelesen, in dem es um autokratische Politiker ging, die Corona benutzen, um ihre Macht noch weiter auszubauen. Dann hat er vom NATO-Manöver „Defender 2000“ gehört, bei dem die amerikanische Truppen-Verlegung nach Deutschland geübt werden soll. Plötzlich hat er überall Polizeiwagen gesehen, die durch die Straße fuhren und Leute aufforderten, zu Hause zu bleiben. Dieses Phänomen nennt man Mustererkennung. Für ihn waren das alles einzelne Bruchstücke, die er dann auf dem Hintergrund seiner Vermutung, die er schon hatte, zu einem Gesamtbild zusammengesetzt hat.
Wann wird es gefährlich?
Die Spaltung der Gesellschaft scheint gerade im Moment immer größer zu werden. Das geht auch auf das Konto von Verschwörungstheorien. Sie teilen die Welt ein in Gut und Böse und wirken darüber natürlich extrem polarisierend. Das trägt zur Radikalisierung bei.Schon vor der Corona-Krisehaben wir uns bei der GWUP mit dem Thema beschäftigt. Wir konnten feststellen, dass einige antisemitische und antimuslimische Attentate der letzten Jahre, von El Paso über Christchurch bis Halle und Hanau, verschwörungsmotiviert waren. Diese Attentäter haben gesagt, dass sie hinter allem einen großen Plan sehen. Im Speziellen ging es um Verschwörungsmythen wie den Bevölkerungsaustausch durch eine Flüchtlingsinvasion oder die Neue Weltordnung, also die globale Versklavung der Menschheit durch allmächtige Eliten.Ein weiteres Problem ist, dass Verschwörungsmythen gesellschaftliches und soziales Engagement untergraben und evidenzbasiertes Handeln torpedieren. Dieser negative „Social Impact“ ist auch aus früheren Studien bekannt, in denen sich zeigt, dass Impfgegner nichts zur Herdenimmunität beitragen und Klimawandelleugnern ihr persönlicher CO2-Fußabdruck egal ist, ebenso wie der Glaube an Verschwörungstheorien negativ mit der Wahlbeteiligung korreliert.Was das unter Umständen bedeuten kann, sieht man gerade in den USA, wo Verschwörungsmythen die gemeinsame Basis der Tatsachenbeurteilung zwischen Politik, Medien, Wissenschaft und Bevölkerung wegziehen.Wenn wir uns als Gesellschaft aber nicht mehr darauf einigen können, was wahr ist, also auf welcher Faktenlage wir über bestimmte Maßnahmen entscheiden, dann werden wir nicht nur die Coronakrise nicht lösen, sondern auch alles Kommende nicht, wie etwa den Klimawandel.Zu keinem Zeitpunkt waren Verschwörungstheorien also harmlos, zum Lachen oder ungefährlich und im Moment setzt sich das nur nahtlos fort.
Wie kann man Menschen noch erreichen, die Verschwörungstheorien erliegen?
Wenn wir das wüssten, gäbe es das Problem nicht. In der Regel erreicht man sie gar nicht − das muss man einfach so sagen. Das Killer-Argument, bei dem er oder sie entgegnet: „Ach ja, da du hast Recht“, gibt es nicht. Die meisten Experten raten dazu, irgendwie zum Kern vorzudringen und zu schauen, worum es der Person eigentlich geht. Häufig kommt dabei heraus, dass die Leute zutiefst verunsichert sind, vielleicht Angst um ihren Arbeitsplatz habenoder Angst davor, jetzt durch das Abitur zu fallen. Letztendlich stecken solche Probleme dahinter, also zutiefst emotionale Gründe, an die man nur ganz schwer herankommt.
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