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Demokratie heißt Wahlfreiheit. Kapitalismus auch

11. Juli 2020

Wenn Zukunftsvisionen sauer aufstoßen – Glosse

Das Leben ist anders heute, denke ich mir, während ich durch die Straßen von Bonobia City™ laufe. Anders als vor den Ereignissen von 2020. Ich meine nicht die Coronakrise. Die kam und ging wieder. Was aber blieb, das sind die Umwälzungen, die der Abgasskandal mit sich gebracht hat. Die Vorfälle wurden restlos aufgeklärt. Alle Verbindungen zwischen Politik und Wirtschaft wurden offengelegt. Das Ausmaß dieser Verquickungen und Verwicklungen war erschreckend. Wir haben erfahren, dass politische Entscheidungen nicht in Berlin, sondern wirklich in Wolfsburg, Ingolstadt und München gefällt wurden. Dass Politiker sich nicht mit Konzerngehältern etwas dazuverdienen, sondern dass im Gegenteil die Abgeordnetendiäten ein Taschengeld darstellen. Und dass das alles rechtens sei und doch großartig funktioniere. Endlich konnte der Maskenball Demokratie ein Ende haben. Eine neue „Ära der Freiheit“, wie sie es nennen, hatte begonnen.

Seitdem ließ jeder Bereich politisch-öffentlichen Lebens seine demokratische Hülle fallen und offenbarte den Blick auf seinen korporatistischen Kern. Ich blicke auf die Hochhäuser dessen, was einst die Bochumer Innenstadt gewesen war. Der große dreizackige, in einen Kreis gefasste Stern weist einem immer noch den Weg hierhin. Auch der Schriftzug, von dem keiner genau weiß, wie er auszusprechen ist, prangt noch immer darunter. Vielleicht hat sich doch nicht so viel verändert.

Das Ruhrgebiet ist immer noch eine „Stadt der Städte“. Rein geografisch stimmt das nach wie vor. Aber an eine Ruhrmetropole ist nicht mehr zu denken. Die Innenstädte wurden zu Einkaufszentren (Essen, Bochum, Dortmund) oder zu rechtslosen Slums (Gelsenkirchen, Wanne-Eickel). Nicht ganz so gefährlich, aber ähnlich martialisch ging es in Altenessen zu: Das relativ verwinkelte Stadteilzentrum ist jetzt eine gewaltige Freiluft-Paintball-Arena für Häuserkampfsimulationen mit bis zu 200 Teilnehmern. Die Wohngegenden aber wurden zu Wohn-Franchises. Wir Menschen wurden von Bürgern zu Kunden.

Bonobia City™ ist ein großes umzäuntes Gelände mit Wohngelegenheiten für die Mittelschicht. Genauer gesagt heißt es Bonobia City BO-789™, denn selbstverständlich gibt es noch dutzende oder hunderte andere Bonobia Cities™ in ganz Deutschland. Daneben gibt es natürlich ganz viele andere Anbieter: Die Schwabing Group Communities™ für die Besserverdiener; in den AutoStädten™ sind zwei Stellplätze pro Wohnung garantiert; in Bonobia City BO-791™ hat man sogar ermäßigten Eintritt ins Bonobia Ruhrstadion™, wo der Bonobia Bochum™ seine Heimspiele austrägt. All diese Wohnanbieter haben ihr eigenes Angebot und ihre eigene corporate identity bzw. habitat identity. Natürlich hat auch mein Anbieter überall eine eigene Verwaltung (Service-Center), eine eigene Polizei (Bonobia Security Force™) und eigenen ÖPNV – die Bonobia Cabs™ für den Weg innerhalb der eigenen City und den Bonobia InterCity™, der die einzelnen gated communities der eigenen Marke miteinander verbindet. Um in ein anderes Franchise zu gelangen, setzt man sich in ein Vehikel eines anderen Transport-Anbieters, der BogeStar™ zum Beispiel.

Die alte BoGeStra AG gehörte ja ursprünglich den Städten Bochum und Gelsenkirchen. Aber direkt nach der Umwandlung in eine Privatgesellschaft hat Bochum dieses Verlustgeschäft schnell abgestoßen, um sich auf das Kerngeschäft im Musikforum zu konzentrieren (Insider rechnen mit einer baldigen Übernahme der Bochum GmbH durch eine Privatbrauerei). Die Gelsenkirchen GmbH indes ist im Prinzip direkt nach der Gründung in der Fleisch-für-die-Tönne-Gruppe aufgegangen, die nun einige Viertel als „Städte“ für seine Schlachthofmitarbeiter verwendet. Die Bevölkerung auf dem ehemaligen Stadtgebiet Gelsenkirchens ist seither um 100.000 gewachsen. Die BogeStar™ betreibt neben einer Seilbahn nur noch die CampusLinie™, die das nun Point City™ genannte Stadtzentrum mit der Univercity™ verbindet. Private Hochschulen sind nichts Neues und es verwundert wohl nicht, dass die Ruhr-Universität zu einem Technologieriesen auf- bzw. zu einem Zulieferer für die IT- und Rüstungsindustrie abgestiegen ist. Wie man das bewertet, hängt davon ab, wen man fragt: Investoren oder AStA, das heißt: Betriebsrat.

Natürlich gefällt das nicht allen. An einer Ampel („Diese Lichtsignalanlage wird Ihnen zur Verfügung gestellt von Luxofor™, im Auftrag der Drehscheibe AG. Bei Störung oder Haftungsansprüchen wenden Sie sich bitte an den Aufsteller oder die Schiedsgerichtsfiliale Ihrer Wahl.“) hängt ein Zettel. „Kapitalismus zerschlagen“ steht darauf. Eine antikapitalistische Gruppierung ruft zum Widerstand auf. Sie fordern mich auf, am nächsten Samstag zu einer Demonstration zu kommen, auf dem durch crowdfunding und einen Sojamilchhersteller finanzierten Demonstrationsgelände „Future Place For All People*“. Der befindet sich irgendwo zwischen Datteln und Olfen; näher an den Rathäusern bzw. Konzernzentralen war der Baugrund einfach zu teuer. Außerdem ist unten auf dem Wisch noch ein QR-Code, mit dem ich die antikapitalistische Gruppierung via Geldüberweisung unterstützen kann.

Eigentlich keine schlechte Idee so ein Demofestival, denke ich mir. Muss mich mal erkundigen, wer da so spielt. Endlich bin ich im Kneipenviertel Bermuda3eck™ angekommen. Das ist günstiger als das Ehrenfeld™ – aber auch nur, weil ich im Dreieck als Bonobia-Kunde exklusive Rabatte erhalte. Noch einmal blicke ich auf die Hochhäuser dessen, was einst die Bochumer Innenstadt gewesen war. Vielleicht, sage ich zu mir selbst, vielleicht hat sich doch nicht so viel verändert. Und betrete die Bar, um mir wieder gepflegt die Festplatte zu löschen.


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Marek Firlej

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