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Katja Keul
Foto: Deutscher Bundestag / Thomas Koehler

„Scheitern der Führungsebene“

15. Juli 2020

Grünen-Politikerin Katja Keul zur Berateraffäre im Verteidigungsministerium

engels: Frau Keul, die ehemalige Verteidigungsministerin von der Leyen soll ein überzogenes Budget für externe Berater aufgewendet haben. Wie kam es zu der Annahme?

Katja Keul:Anlass für den Untersuchungsausschuss waren Berichte des Bundesrechnungshofes, wonach Beratungsaufträge unter Verstoß gegen das Vergaberecht als Unteraufträge vergeben worden waren. Was noch dazu kam, war, dass viele dieser Berater aus dem Umkreis von McKinsey und Accenture kamen, dem die ehemalige Staatssekretärin Katrin Suder angehörte. Auffällig war, dass viele untereinander bekannt waren.

War der Bedarf externer Berater − Stichwort IT − tatsächlich gegeben?

Es ist zweifelsohne so, dass im Bundesverteidigungsministerium nicht ausreichend IT-Kenntnisse vorhanden sind, um entsprechende Projekte, wie wir sie untersucht haben, auf den Weg zu bringen. Aber in diesem Fall hätte man eigene Kapazitäten zumindest soweit aufbauen müssen, dass man selbst noch die Führungs- und Entscheidungskompetenz innehat. Hier wurden sozusagen von Anfang an Projekte an Externe vergeben. Weil sie die Einzigen waren, die die Projekte verstanden und umsetzen konnten, konnten sie darüber auch immer wieder Folgeaufträge generieren. Am Ende war das Verteidigungsministerium abhängig von den extern hinzugezogenen Beratern.

Die Beraterfirma Accenture hat Aufträge erhalten, die eigentlich öffentlich hätten ausgeschrieben werden müssen. Ist inzwischen klar, warum?

Die Führung, die von Anfang an die Idee hatte, das Projekt PLM (Product Lifecycle Management) aufzusetzen, entschied und stellte nie infrage, dass die Firma Accenture das machen würde. Es war überhaupt kein Bewusstsein auf der Führungsebene − gerade bei den Abteilungsleitern − dafür, dass ein Vergabeverfahren oder rechtliche Vorschriften den Anlass geben, gerade diese Firma nicht mit dem Auftrag zu bedenken. Man hat sich immer darauf zurückgezogen, dass für das Vergabeverfahren die Juristen im Beschaffungsamt in Koblenz (BAAINBw) zuständig sind. Der Führungsebene muss doch klar gewesen sein, dass sie, wenn sie Aufträge in Milliardenhöhe vergeben, auch dafür verantwortlich sind, dass diese Verfahren ordnungsgemäß stattfinden. Sie können das Ergebnis nicht einfach vorwegnehmen. Doch das ist hier passiert. Dieses Verhalten ist natürlich ein katastrophales Scheitern der Führungsebene. Die Staatssekretärin Suder hat immer wieder betont, dass es bekannt sei, dass sie diese Personen alle kenne. Deswegen hielte sie sich aus dem Vergabeverfahren heraus. Um wirksame Compliance, also Regeltreue, zu betreiben, reicht das aber nicht, denn ihre Untergebenen wissen, wen sie kennt, und haben tendenziell das Bedürfnis, etwas zu tun, das ihren Vorgesetzten gefällt. Eine Quintessenz dieses Untersuchungsausschusses ist demnach auch, Compliance-Vorschriften im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) überhaupt erst einmal zu etablieren.

Im Zuge der Aufklärung durch den Untersuchungsausschusses ergab sich, dass Daten auf dem Diensthandy von der Leyens gelöscht wurden. Wie hat das die Aufklärung beeinflusst?

Die Löschung ist im Prinzip skandalös, weil von Anfang an der Untersuchungsausschuss eingerichtet war und klar war, dass auch die Handydaten Beweismittel sind. Offensichtlich sind sie erst danach gelöscht worden, entgegen des Beschlusses. Ich persönlich kritisiere diese Tatsache massiv, finde es aber schade, wenn das von den Erkenntnissen ablenkt, die wir durch die zahlreichen ausführlichen Zeugenaussagen gewonnen haben. Aus meiner Sicht sind das die maßgebenden Quellen, aus denen wir heraus erkennen können, wo die Fehler lagen und was in Zukunft anders laufen muss. Glücklicherweise waren wir nicht auf die Handydaten von der Leyens angewiesen, um diese Erkenntnisse zu gewinnen. Trotzdem ist es ein Rechtsverstoß, ein Beweismittel verschwinden zu lassen. Das geht so nicht.

Sehr viele Beamte waren mit der Beauftragung befasst. Wie kam es zu dieser Verantwortungsdiffusion?

Das Prozedere ist so: Die Führung des Verteidigungsministeriums entscheidet, dass sie ein Projekt machen will, spezifiziert die Anforderungen dafür und gibt das dann an das Beschaffungsamt in Koblenz. Dort sitzen die Vergabejuristen, die dann eine Ausschreibung dazu machen. Was wir jetzt mehrfach im Untersuchungsausschuss nachweisen konnten, ist, dass die Führungsebene des Verteidigungsministeriums direkt mit den Vergabejuristen des BAAINBw kommuniziert hat, also nicht entlang der Hierarchieketten. Dort haben sie ihre Wünsche angemeldet und vor allen Dingen das Ergebnis vorgegeben. Die Vergabejuristen, die als Zeugen ja auch geladen waren, haben uns auch für die Fälle, die wir untersucht haben, geschildert, wie sie es erlebt haben. Das BMVG gab ihnen vor, die Firma Accenture zu beauftragen. Sie sollte den Unterauftrag erhalten und das Verteidigungsministerium habe auch schon einen Rahmenvertrag herausgesucht, über den man das abwickeln könne. Für die Vergabejuristen war es so, als wäre alles vorgegeben. Sie konnten gar keine offene Prüfung mehr auf den Weg bringen.

Wie wäre die Vergabe grundsätzlich abgelaufen?

Wie das vorbildlich abläuft, hat uns der Zeuge Dippl geschildert, ein Vergabejurist der HIL − für die Heeresinstantsetzungslogistik. Eine solche Ausschreibung für Beratungsleistungen hat er selbst in seiner Verantwortung auch durchgeführt. Er hat uns geschildert, wie das im Einzelnen läuft: Die Bewerbungen der Unternehmen werden zunächst anonymisiert. In Workshops werden die Angebote verglichen, von der Qualität her, von den Kosten, und erst am Ende, wenn klar ist, wer das beste Angebot hat, werden sie von den Namen her gelüftet und dann weiß man erst, wer’s ist. So läuft das normalerweise ab. Wer am Ende der Unterauftragnehmer ist, hätte also nicht vorgegeben werden dürfen, sondern es hätte einen ergebnisoffenen Wettbewerb geben müssen. Man hätte es ausschreiben müssen, dann hätten sich Unternehmen bewerben können und erst dann hätte es eine Entscheidung gegeben.

Was ist nötig, um einwandfreie Auftragsvergaben zu gewährleisten?

Aus meiner Sicht muss die Vergabestelle in ihrer Unabhängigkeit gestärkt werden. Da auf politischer Führungsebene regelmäßig Gespräche mit Unternehmen geführt werden, muss die Stelle, die den fairen Wettbewerb und die Vergabe durchführt, gegenüber der eigenen Führungsebene weisungsunabhängig sein. Dafür ist ein geschützter Rahmen nötig, in dem Mitarbeiter ihre Bedenken auch äußern können.

Wird es darüber hinaus Konsequenzen aus diesem Vorfall geben?

Die Staatsanwaltschaft hat sich an das Sekretariat gewandt, weil sie noch einmal die Akten haben möchten. Zum einen wegen der Beweisvernichtung auf dem Handy − das ist der eine Komplex. Ich glaube allerdings, dass das nur ein Nebenkriegsschauplatz ist. Zum anderen gibt es eine weitere strafrechtliche Prüfung, die noch aussteht. Bei dem Komplex der Heeresinstandhaltung ist mindestens eine Falschaussage getätigt worden, denn wir haben zwei Aussagen, die nicht miteinander vereinbar sind. Da muss man sagen: „Einer lügt“. Auch vor dem Untersuchungsausschuss ist das eine Straftat. Was aus meiner Sicht noch einmal beleuchtet werden müsste, ist allerdings die Frage der Haushaltsuntreue. Vor allem in dem Bereich der Heeresinstandsetzung, bei deren Privatisierung, sehe ich Anhaltspunkte bei den Beteiligten, die strafrechtlich geprüft werden müssten. Man hat vorsätzlich in ein laufendes Vergabeverfahren eingegriffen mit Methoden, die nicht mehr als Unwissenheit oder Versehen durchgehen. Hier wurde wirklich massiv und bewusst Druck ausgeübt.Der Eingriff in ein laufendes Vergabeverfahren könnte unmittelbar eine Haushaltsuntreue darstellen. Dabei käme es natürlich darauf an, ob ein Schaden entstanden ist. In der Thematik der Heeresinstandsetzung sehen wir das schon deswegen, weil diese gesamte Privatisierung jetzt im Zuge dieser Untersuchungen durch die Verteidigungsministerin gestoppt wurde. Damit sind die gesamten Millionenbeträge in diesem Zusammenhang sozusagen unnütz ausgegeben worden und der öffentlichen Hand ist dadurch ein Schaden entstanden. Das wäre vermeidbar gewesen.

Von welcher Summe ist die Rede?

Die Beraterverträge lagen bei 40 Millionen, doch der Schaden geht meines Erachtens noch darüber hinaus. Der gesamte Komplex des Herunterfahrens dieser Werkstätten, um sie zu privatisieren, wurde dadurch teurer, dass man es anderweitig vergeben musste, da sie nicht mehr dazu in der Lage waren, ihre Arbeit zu machen. Das betraf die Instandhaltung des Geräts der Bundeswehr.

Wird in dem Punkt persönlicher Bekanntschaft nachjustiert?

Da muss man ganz offensichtlich bei null anfangen. Die Staatsekretärin Suder hat uns berichtet, dass alle davon gewusst haben, dass sie von McKinsey sei und dass sie das auch gemeldet habe. Dann haben wir immer wieder nachgefragt, wo sie das gemeldet haben will und wo eine solche Information überhaupt gemeldet würde. Dabei stellte sich heraus, dass es dafür überhaupt kein formelles Meldeverfahren gibt. In jeder Führungsebene muss klar sein, was wo gemeldet werden muss und welche Konsequenzen das hat. Einfach nur zu sagen, es habe jeder darüber Bescheid gewusst, ist sicher keine Compliance.

Was geschieht in Bezug auf die Auftragnehmer?

Bei der Unterbeauftragung muss es zukünftig mehr Transparenz geben. Das Verteidigungsministerium war nicht in der Lage zu sagen, wie viele Berater es beauftragt hat, weil es alle irgendwelche Unterauftragnehmer waren. Welche Unterauftragnehmer im Verteidigungsministerium ein- und ausgingen, darüber gab es keine Listen. Wenn man sich mal vor Augen führt, dass wir hier über einen Sicherheitsbereich sprechen, stelle ich mir die Frage: Wie ist so was möglich?


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