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Lars Kraume
Foto: Lena Kiessler

„Diese Art von Helden findet man nur mit der Lupe“

24. September 2015

Regisseur Lars Kraume über sein Drama „Der Staat gegen Fritz Bauer“ – Gespräch zum Film 10/15

Lars Kraume (*1973) studierte an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin. Sein Abschlussfilm „Dunckel“ (1998) wurde mit dem Grimme-Preis für die beste Regie ausgezeichnet. Für das Fernsehen inszenierte er Filme und verschiedene Folgen von „KDD-Kriminaldauerdienst“ und „Tatort“. Zu seinen Kinoarbeiten gehören der halbdokumentarische Musik-Spielfilm „Keine Lieder über Liebe“ (2005), das TV-Schuldrama „Guten Morgen, Herr Grothe“ (2007) und die Dystopie „Die kommenden Tage“ (2010).

engels: Herr Kraume, in Ihren vorigen Kinofilmen bewegten Sie sich in der Gegenwart, zuletzt auch in der Zukunft. Wie kamen Sie nun darauf, mit „Der Staat gegen Fritz Bauer“ von der historischen Persönlichkeit Fritz Bauer zu erzählen?
Lars Kraume: „Die kommenden Tage“ handelte ja auch von Deutschland und Europa. Wenn man sich in unserem Kulturkreis mit Geschichten beschäftigt, denkt man irgendwann darüber nach, was man zum Dritten Reich und den Folgen erzählen könnte. Ein Freund von mir, [der Koautor] Olivier Guez, hatte ein Buch veröffentlicht („Heimkehr der Unerwünschten – Eine Geschichte der Juden in Deutschland nach 1945“), in dem irgendwann Fritz Bauer auftauchte, den ich bis dahin nicht kannte. Ich sah in ihm eine außergewöhnliche Filmfigur, weil er ein Außenseiter ist und sich als Einziger in dieser grauen Zeit, in der es eigentlich nur um Verdrängung geht, sagt: „Wir müssen in unsere Vergangenheit schauen.“

Ihr Fritz Bauer ist eine Heldenfigur, aber eine mit Ecken und Kanten.
Der Film ist sehr genau recherchiert. Wir versuchen, dem Porträt Bauers in der künstlerischen Übersetzung so gerecht wie möglich zu werden – bis hin zu Duktus und Gestus, die so exzentrisch und extrem beim echten Bauer waren. Seine nicht öffentliche Homosexualität, seine jüdische Herkunft, auch sein sozialistischer Grundgedanke, all das waren natürlich totale Außenseiterpositionen in der Adenauer-BRD. Bauers spätes Outing, das wir gewissermaßen auch mit betreiben, hat aktuell sogar einen Historikerstreit entfacht. Aber die Quellenlage ergibt nun mal, dass Bauer homosexuell war, und dieser Aspekt seiner Persönlichkeit wurde auch in einer Ausstellung und einer neuen Biografie aufgegriffen. Wir hatten das Gefühl, dass es richtig ist, davon zu erzählen, weil es vor allem eines bedeutet: Wie viel dieser Mann bereit war zu opfern, um der selbst gestellten Aufgabe nachzukommen.

Sie hätten auch ein Biopic erzählen können, wählten aber die Form eines Politthrillers. War diese Richtung von Anfang an klar?
Biopics haben oft ein dramaturgisches Problem im Sinne von „erst passierte das, dann passierte das“. Wir hatten das Gefühl, in der Suche nach Eichmann alles erzählen zu können, was an Bauer interessant ist. Er war nun mal kein Geheimagent oder Actionheld, sondern er war ein deutscher Beamter, der aus seiner Amtsstube heraus in einer natürlich noch nicht globalisierten Welt Leute aus dem letzten Winkel aufgespürt hat. An Eichmann wiederum fokussiert sich die ganze Katastrophe des Holocaust. Im Höhepunkt der Suche kulminiert das Scheitern der Figur Bauer und auch sein ungebrochener Wille weiterzumachen.

An einer entscheidenden Stelle haben Sie jedoch Fakten und Fiktion vermischt und die Figur des jungen Staatsanwalts Angermann hinzuerfunden.
Das war der Teil, an dem wir am längsten gearbeitet haben. Es ist wichtig zu verstehen, dass Bauer sich an genau die Generation gewandt hat, die zur Zeit des Dritten Reichs aufgrund ihres Alters noch keine Verantwortung übernehmen konnte, dies jetzt aber in der jungen BRD musste. Wir hätten Angermann nicht erfinden müssen, aber er ist ein Symbol für verschiedene reale Personen, zu denen Bauer ein mentorenhaftes, väterliches, freundschaftliches Verhältnis gepflegt hat. An dieser Stelle deformiert man dann als Dramatiker die historischen Fakten.

Und über Angermann konnten Sie die Thematik des §175 hinzunehmen. Das war Ihnen wichtig?
Ja, total, weil es ein gutes Beispiel ist für eine Moralvorstellung der Nationalsozialisten, welche die junge BRD einfach übernommenen hat. Und es ist wiederum auch ein Symbol dafür, dass sich die junge Bundesrepublik nicht in einem großen Schnitt vom Dritten Reich gelöst, sondern in den 50er Jahren viele Dinge einfach verdrängt hat. Billy Wilders „Manche mögen's heiß“ bekam etwa 1959 eine FSK-Freigabe von 18, weil es darin Männer in Frauenkleidern gab.

Haben Sie von Anfang an Burghart Klaußner für die Hauptrolle im Kopf gehabt?
Er war der absolute Favorit der Casterin Nessie Nesslauer. Dann trafen wir uns, und Burghart hat das sofort so souverän gemacht und so gut verstanden, was es zu spielen gibt, dass die Entscheidung schnell klar war. Wir kannten uns noch nicht, aber die Zusammenarbeit war toll. Es war für uns beide ein wichtiger und herausfordernder Film. Unsere Vorstellung davon, wie Dinge zu machen sind und wie weit man gehen kann, waren gleich.

Ronald Zehrfeld ist ja nicht der Erste, an den man für die Rolle als heimlicher Homosexueller denkt …
Genau deshalb bin ich auf ihn gekommen. Ronald verkörpert den Prototyp des Mannes in dieser Zeit: groß, kraftvoll, sehr männlich. Und weil es natürlich ein absolutes Klischee ist, dass Homosexuelle schmächtig und klein sind. Ronald erkannte sofort, dass das für ihn eine totale Gegenbesetzung ist und wollte die Rolle spielen.

Sie stoßen vielerlei Gedanken an mit Ihrem Film. Gibt es etwas, was die Zuschauer idealerweise „mitnehmen“ sollten?
Der Film hat natürlich eine ganz klassische, klare Botschaft. Es ist ein Film darüber, dass man – egal wie groß die Widerstände sind – immer für die Wahrheit eintreten muss. Das ist es, was man von Bauer lernt. In unseren Tagen ist das Edward Snowden. Aber insgesamt findet man diese Art von Helden einfach nur mit der Lupe. Und in der deutschen Geschichte sowieso schon gar nicht.

Der andere Film, in dem Fritz Bauer letztes Jahr vorkam, „Im Labyrinth des Schweigens“, wurde gerade als deutscher Kandidat für den Oscar eingereicht. Sind Sie enttäuscht, dass nun ein gefälligerer Film ins Rennen geht und Deutschland repräsentiert?
Nein, und unser Film ist auch noch gar nicht in den USA gestartet. Im Ausland wollen die Leute Filme über die deutsche Geschichte sehen, über die DDR und die Zeit des Nationalsozialismus. Dass Bauer jetzt in verschiedenen Filmen thematisiert wird, ist mehr als überfällig. Insofern ist es toll, dass etwas, was uns am Herzen liegt, auch im Ausland wahrgenommen wird.

Interview: Jessica Düster

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