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Liedtexten beim Baggerfahren: Alexander Scheer als „Gundermann“.
Presse

„Diesen Typen spiele ich dir mit allem, was ich habe“

26. Juli 2018

Alexander Scheer über „Gundermann“ – Roter Teppich 08/18

Bekannt geworden ist Alexander Scheer durch seine Hauptrolle in Leander Haußmanns Kassenerfolg „Sonnenallee“ und durch seine Zeit am Schauspielhaus Bochum. Seitdem hat er in Hamburg, Wien und Berlin auf den Brettern gestanden und etliche Preise gewonnen. Im Kino sah man ihn u.a. in „Das wilde Leben“, „Carlos – Der Schakal“, „Westen“ oder „Tod den Hippies!! Es lebe der Punk!“. Für Andreas Dresen ist er nun in die Rolle des Ostrockers Gerhard „Gundermann“ geschlüpft, was man ab dem 23. August in den Kinos sehen kann.

engels: Herr Scheer, das ist doch bestimmt was ganz Besonderes, wenn Andreas Dresen anruft und einen für die Titelrolle in seinem neuen Film haben will – oder war das ganz anders?

Alexander Scheer: Das wäre schon etwas ganz Besonderes, es ist nur leider komplett anders abgelaufen. Herr Dresen hat mich nicht angerufen, ich habe ihm eine Mail geschrieben (lacht). Ich hatte gehört, dass Dresen „Gundermann“ verfilmen will. Gundermann kannte ich zwar kaum, den Dresen dafür umso mehr. Die Konstellation klang sehr interessant für mich, und ich habe erstmal einen Gundi-Song aufgelegt. Im Osten hatte ich immer einen Bogen um Gundermann gemacht, jetzt merkte ich, dass seine Lieder gar nicht so schlecht waren. Ich schrieb Dresen sofort eine Mail: Diesen Typen spiele ich dir, mit allem was ich habe – noch bevor ich das Drehbuch gelesen hatte! Dann traf ich mich ein paarmal mit Dresen, ohne dass etwas passierte, bis er mich schließlich zum Casting eingeladen hat.

Dresen arbeitet vor und hinter der Kamera gerne mit denselben Leuten zusammen. War es dann schwierig, in seiner Welt aufgenommen zu werden?

Nö. Wie gesagt bin ich ein halbes Jahr um Dresen herumgetanzt, ohne dass etwas Nennenswertes passierte. Beim zweiten Treffen hatte ich mir schon falsche Zähne gebastelt, Brille aufgesetzt und Zopf geflochten – ich habe nur noch im Gundi-Slang gesprochen! Das hat ihn aber kaum bis gar nicht beeindruckt. Mittlerweile kamen aber schon Kollegen auf mich zu, die mir bestätigten, dass ich im Rennen sei und die Rolle ohnehin keiner außer mir spielen könne. Aber Dresen blieb stumm. Denn er hat, teilweise schon seit zwanzig Jahren, seine feste Crew und Leute, mit denen er regelmäßig zusammenarbeitet. Er braucht einfach lange, bis er sich für Familienzuwachs entscheidet. Nach besagtem Casting nahm er mich in den Arm und sagte „Glückwunsch, Du bist Gundermann. Willkommen bei der Truppe!“

Ist es Ihnen dann leichtgefallen, einen Zugang zu Gundermanns Liedern herzustellen, die Sie ja alle selbst auf der Leinwand singen?

Die Atmosphäre in seinen Liedern war mir nicht fremd. Spätestens beim ersten Refrain hatte er mich am Haken. Früher hatte ich Gundermann nie gehört, weil mir sein Sound einfach zu ost-rockig war. Aber dieser Liedermacher, der Zeit seines Lebens im Tagebau Braunkohle einfuhr, schrieb seine Lieder tatsächlich auf dem Bagger. Er blieb immer Arbeiter und hat sich seine Texte ehrlich verdient. Selbst als er im Vorprogramm für Bob Dylan spielte, fuhr er nach dem Konzert wieder runter in die Lausitz zur Frühschicht. Der wollte nie von der Musikindustrie abhängig sein, sondern sein Brot mit seiner Hände Arbeit verdienen. Da weiß ich doch wieder, wo ich herkomme! Ich habe Andi direkt gesagt, dass ich die Lieder live singen möchte. Und so haben wir das dann auch gemacht.

Zur Premierentour werden Sie mit Band auch einige Konzerte spielen – ist denn darunter auch einer der alten Weggefährten Gundermanns?

Unser musikalischer Produzent Jens Quandt, Keyboarder von Dresen | Prahl & Band, bei denen ich dann auch als Gast auftrete, der ist tatsächlich einige Jahre mit Gundermann und dessen Liedprogrammen durch die DDR getingelt. Der kannte ihn sehr genau, hat auch die Band zusammengestellt und den Sound etwas heutiger gestaltet. Der Soundtrack wird gleichzeitig zum Kinostart erscheinen, und dann gibt es bei den Premieren des Films noch jeweils ein einstündiges Begleitkonzert. Das kommt mir sehr zupass, denn ich wollte ja immer Rockstar oder Filmstar werden (lacht). Wenn Musik und Schauspiel zusammenkommen, dann hüpft mir das Herz.

Dann hatten Sie also auch schon während der Dreharbeiten Gelegenheit, sich mit alten Freunden und Weggefährten Gundermanns zu treffen und sich mit ihnen über seinen Charakter auszutauschen?

Ja, klar, das gehört im Vorfeld natürlich mit zur Recherche. Man hat die ganzen Songs, Platten, Filmschnipsel und Dokumentationen. Und dann muss man natürlich auch an die Leute ran. Es gab sehr viele Weggefährten, u.a. auch Conny Gundermann, seine Witwe, oder Linda, seine Tochter. Was mir an dieser Arbeit am meisten Spaß macht, ist tatsächlich die Recherche. Es gibt von Gundi einen Song, der heißt „Von jedem Tag will ich was haben, was ich nicht vergesse“, und mir geht’s bei jedem Film so. Was man bei der Recherche nicht hat, kann man beim Dreh selbst schwer einholen. Man muss sich deswegen sehr genau und sehr umfangreich vorbereiten, was ich wirklich sehr gerne mache.

Ist das ein Grund, warum Sie so gerne und oft Rollen übernehmen, die auf echten Personen basieren?

Das ist tatsächlich, nach einigen Musikern wie Keith Richards und Blixa Bargeld oder Terroristen wie Johannes Weinrich und Dieter Degowski, dem Geiselnehmer von Gladbeck, insgesamt meine siebte biografische Rolle. Ich weiß nicht, ob das damit zusammenhängt, dass mir das großen Spaß macht, oder weil ich das mittlerweile ganz gut kann. Ich mache das sehr gerne, weil man, im Gegensatz zu fiktiven Figuren in fiktiven Drehbüchern, bei denen die eigene Fantasie gefragt ist, Parameter hat, an die man sich halten kann. Bei biografischen Rollen ist die Hälfte der Arbeit bereits getan, die Figur muss nicht mehr entwickelt werden, sie ist ja schon da. Die Frage ist nur, ob ich da überhaupt eine Ecke zu fassen bekomme und dem Menschen gerecht werde.

Sie selbst waren in der Wendezeit noch Teenager, haben Sie trotzdem noch Erinnerungen an die Stasi, als Sie in der DDR aufgewachsen sind?

Ich habe die natürlich an der Ecke stehen sehen, als mein Papa drauf zeigte – Lederjacke, Sonnenbrille. Die kamen auch mal in die fünfte oder siebte Schulklasse zu uns und haben sich als Berufsberater ausgegeben. Aber mit 12 Jahren hatte ich natürlich ganz andere Probleme, deswegen ist die Frage, wie ich mich da verhalten hätte, rein hypothetisch. Aber es ist wahnsinnig interessant, sich damit zu befassen, oder sich nun auch im Zuge meiner Recherchen mit meinen Eltern erstmals über das Thema zu unterhalten – das ist ja doch immer sehr schwierig mit den Deutschen und ihrer Geschichte. Dresens Film zeigt auch, dass zwischen Weiß und Schwarz jede Menge Grau lag. Und auch jede Menge Bunt. Ich finde, es ist ein großes Verdienst Dresens, dass er sich für diese Widersprüche Zeit nimmt, und ich bin sehr beeindruckt, was er da für einen Film gedreht hat.

Unter der Haußmann-Intendanz haben Sie am Schauspielhaus Bochum Theater gespielt. Wie wichtig war diese Zeit für Sie?

Das war für mich eine prägende Zeit, auch wenn ich Haußmann und seiner wilden Truppe nur zweieinhalb Jahre angehört habe. Das war mein erstes Theaterengagement, ich war dreiundzwanzig Jahre alt. Ich hatte noch nie ein richtiges Theater im Vollbetrieb von Nahem gesehen. Das war sozusagen meine Schule. Ich habe ja nicht studiert, in den wilden 90er Jahren hatte ich andere Sachen zu tun, als mich beruflich weiterzubilden (lacht). Das Schauspielhaus Bochum war mein Studium, da habe ich gelernt, da bin ich raus auf die Bretter und habe jeden Abend gespielt. Was Besseres konnte mir nicht passieren, ich habe sehr schöne Erinnerungen daran. Vor allen Dingen auch an die Kantine, oder an die Späße, die wir gemacht haben, wenn wir die Kollegen in der Kammer gestört haben, während wir selber im großen Haus spielten. Ich dachte, Theater sei immer so – ist es aber nicht. Das war ziemlich einmalig damals.

Interview: Frank Brenner

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