Wo auch immer Bastien Vivès („Der Geschmack von Chlor“, „Polina“) beteiligt ist, es ist besonders und besonders gut. Wenn er sich dann auch noch mit Ruppert & Mulot („Affentheater“) zusammentut, kann man wirklich Außergewöhnliches erwarten.
„Die große Odaliske“ erinnert an Heist-Movies der 60er Jahre wie „Diamantenraub in Rio“, nur dass hier die Emanzipation schon zugeschlagen hat: Die Trickganoven sind Frauen, und sie sind keck, dreist und superschön. Wer für die tollen Farbzeichnungen verantwortlich ist, sagen die Credits nicht – aber sie stehen der wilden Story in nichts nach (Reprodukt). Ernster geh es bei Birgit Weyhes „Im Himmel ist Jahrmarkt“ zu. Weye erzählt die Lebensgeschichten ihrer Großeltern, und das macht sie wie schon in ihrer episodischen Erzählung „Reigen“ fantasievoll-assoziativ: mal in wörtlicher Rede, mal mit Erzähltext und symbolischen Bilderfolgen. Rund 100 Jahre umfasst ihr Familienportrait, das zugleich exemplarisch 100 Jahre deutsche Geschichte erzählt (avant-verlag). Auch Kurt Schwitters gehört zur deutschen Geschichte. Der Künstler entfaltete unter dem Begriff Merz seine Collagenkunst zwischen Dada, Surrealismus und Konstruktivismus. Der Norweger Lars Fiske widmet sich mit „Herr Merz“ dessen Leben. Es ist aber keine gewöhnliche Comic-Biografie, wie sie zurzeit ihre Blüte treiben. Fiske kombiniert Schwitters Vita mit seiner eigenen Spurensuche, die sein Erbe erforscht. Das Ganze ist in absurdem Konstruktivismus meets Don Martin („Mad“) gehalten (avant-verlag).
Raina Telgemeier stand eine gewöhnliche Teenagerzeit mit Zahnspange bevor, als sie sich beide Schneidezähne ausschlug. Die Folge waren jahrelange Besuche bei Zahnchirurgen, obskure Spangen und Klammern sowie: Scham. Davon berichtet die heute 36Jährige in „Smile“ auf über 200 Seiten – farbig, temperamentvoll und tragikomisch (Panini). Eine Jugendgeschichte erzählt auch Olivia Vieweg: „Huck Finn“ ist natürlich keine Autobiografie, sondern eine Adaption von Mark Twains Roman. Vieweg verlegt die Story an die Elbe der Gegenwart, wo der Ausreißer auf eine Zwangsprostituierte trifft. Gemeinsam stürzen sie sich ins Abenteuer. Während die Zeichnungen souverän sind und ein wenig an Mawil erinnern, wirkt der Spannungsbogen zum Ende hin sehr abgebrochen. Das hätte gut ein Mehrteiler werden können (Suhrkamp). Noch eine Zeichnerin in diesem frauenlastigen Beitrag: „Riekes Notizen“ von Barbara Yelin („Gift“) versammelt Comicstrips der Frankfurter Rundschau aus den Jahren 2011/12: Rieke ist Zeichnerin und versucht nicht nur, Kreativität und Broterwerb unter einen Hut zu bringen, sie muss sich auch noch mit dem Grübelmonster, einem Ethnologievogel und allerhand Alltagschaos herumschlagen. Das macht sie bzw. Yelin sehr farbenfroh und sehr kurzweilig (Reprodukt).
Mit „Blast“ hat Manu Larcenet („Der alltägliche Kampf“) ein monströses Projekt gestartet. Sechs Bände à 200 Seiten sollen es werden. Der Inhalt ist ebenso monströs wie der Umfang: Der dicke Polza hat irgendetwas Schlimmes angestellt mit einer jungen Frau. Was, wissen wir nicht. Warum, wissen wir auch nicht. Letzteres wollen zwei Polizisten bei ihrer ausführlichen Befragung herausfinden. Polza erzählt ihnen genüsslich von seinem Ausstieg aus dieser Gesellschaft, seiner Alkoholsucht, seiner Streunerei im Wald, seinen Visionen, seinem Blast. Der Blast – man könnte es auch Kick nennen – dem ist er auch im zweiten Band „Die Apokalypse des heiligen Jacky“ auf der Spur, und wir, die Leser, mit ihm (Reprodukt).
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