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25. Mai 2022

Intro – Mit allen Sinnen

Langeweile ist aus der Mode gekommen, wozu maßgeblich beiträgt, dass die Technik ihr kaum eine Chance lässt. Nonstop gehen öffentliche, berufliche oder private Nachrichten um den Globus – Schlagzeilen, Berichte, Kommentare, Interviews, Diskussionen, Reportagen, Live-Schalten, Unterhaltung, Blogs, Mails, Chats, Emojis etc. Eilmeldungen, Klatsch und Tratsch oder Fiction schallen und strahlen überdauerbetriebene Radios, Fernseher, Computer oder Smartphones. Verkehr und Konsum lassen Städte nicht mehr zur Ruhe kommen. Das hat Folgen. Studien bescheinigen einen Rückgang von Aufmerksamkeitsspannen und Lese- und Schreibfähigkeiten. Auf der Hand liegt, wie viel Zeit frei würde, entzöge man sich dieser Überwältigung, Zeit, Abstand zu gewinnen, nachzudenken oder nichts zu tun. Das wäre weder Weltflucht, noch technik- oder lustfeindlich. Vielmehr braucht es doch auch Langeweile, um die Sinne zu beruhigen und sich neu auf die Welt einzulassen.

In unserem Monatsthema MIT ALLEN SINNEN fragen wir, was die Allgegenwart moderner Medien bedeutet für Medienfreiheit und -verantwortung, für Solidarität unter Beschäftigten und für das lebenswichtige Bedürfnis, auch einmal zur Ruhe zu kommen. Unsere Leitartikel schlagen Prinzipien vor, denen sich Medienschaffende verpflichten könnten, wägen ab, wie die Digitalisierung den Arbeitskampf verändert und fragen sich, wo die Grenze zwischen Lärm und Genuss verläuft.

In unseren Interviews plädiert die Medienexpertin Anna Litvinenkodafür, Medienkompetenz als eine Kernkompetenz zu entwickeln, der Soziologe Simon Schaupp beschreibt, wie die Digitaliserung neue Klassenkonflikte hervorbringt und der Ingenieur Christian Popp klärt über Defizite im Lärmschutzrecht auf.

In Köln besuchen wir die Initiative Nachrichtenaufklärung, die Aufmerksamkeit schafft für wichtige, aber vernachlässigte Nachrichten, in Dortmund das Fritz-Hüser-Institut, das die Literatur der Arbeitswelt erforscht und in Wuppertal dieBürgertaskforce, die sich für Lärmschutz an der Autobahn 46 einsetzt.

Wie aus der Zeit gefallen wirkte schon im Jahr 2011 die Antwort Helmut Schmidts auf die Frage, wie er auf die Nachricht von Osama bin Ladens Tod reagiert habe. Davon habe er erst auf dem Weg ins Fernsehstudio erfahren, antwortete der damals 92-jährige Altkanzler, denn normalerweise schalte er weder das Fernsehen noch das Radio ein – es genüge ihm, die „Neuigkeiten des Tages“ am „nächsten Morgen aus der Zeitung“ zu erfahren. Man darf annehmen, dass Schmidt derart keineswegs schlechter informiert war als irgendjemand, dass die Bedenkzeit seinen Schlüssen gutgetan hat. Wem das zu weit geht, der könnte ja – falls gewünscht – ganz klein anfangen und beispielsweise das Smartphone nachts ausschalten. Der nächste Schritt könnte ein Zeitungsabo sein, so mit Papier. Ist auch besser für die Augen.

Dino Kosjak/Chefredaktion

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