Der Berliner Verlag Reprodukt hat vor einiger Zeit eine scheinbare Tautologie in ihr Programm aufgenommen: Kindercomics. Aber es ist lange her, dass man unwidersprochen Comics mit Kinderkram gleichsetzen konnte (auch wenn „Kinderkram“ eigentlich nicht negativ belegt sein sollte). Spätestens der Boom der Graphic Novel hat auch dem letzten die Augen dafür geöffnet, dass der Comic ein erwachsenes Medium ist. Da muss man fast schon wieder für Kindercomics werben, zumindest, wenn man etwas anderes als die Klassiker von Gallien bis Entenhausen meint. Luke Pearsons „Hilda“ ist ein solcher Comic: Wunderschön gezeichnet und mit ungebändigter Fantasie erzählte Pearson in den bislang drei Geschichten von der kecken Protagonistin, die allerlei Geister und Trolle, Winzlinge und Riesen oder auch einen winzigen Riesenvogel kennenlernt. Immer siegt bei ihr die Neugierde über die Angst, wenn es im Gebüsch raschelt, im Erdreich grummelt oder hinter dem Schrank poltert. Mit „Hilda und der schwarze Hund“ erscheint nun ein vierter Band in der überaus schön gestalteten Reihe, die Erstleser, aber auch ältere Kinder mit Genuss lesen können: Um Pfadfinder geht es, aber auch um Hausgeister und einen riesigen schwarzen … hm … Hund? Ein Abenteuer aus einer fantastischen Welt voller fabelhafter Wesen – längst nicht nur für Kinder (Reprodukt).
Auch hier raschelt und grummelt es im Gebüsch – für Kinder ist „Safari Honeymoon“ aber wohl nicht geeignet. Ein frisch vermähltes Paar genießt die Großwildjagd mit einem fürsorglichen Guide. Der Dschungel ist allerdings höchst ungewöhnlich, und Gefahren lauern überall: giftige Pflanzen, psychedelische Parasiten – ein Albtraum jagt den nächsten. Jesse Jacobs hat eine blühende Fantasie – im wahrsten Sinne des Wortes: Die Natur strotzt nur so vor giftigen, alles fressenden Wesen, die permanent unsere Urängste heraufbeschwören. Und dann steht sich der Mensch auch noch selbst im Weg! Gezeichnet ist diese dunkle Wunderwelt ganz akribisch in faszinierendem Giftgrün (Rotopolpress). Jan Soekens Debüt „Friends“ basiert auf einer Zeitungsnotiz: Zwei Freunde wandern zu einem Treffen des Baden Württembergischen Ku-Klux-Clans. Im Wald verlaufen sie sich und geraten aneinander – der Tonangeber bekommt plötzlich Gegenwind. Dann stehen sie vor einem Zwinger mit einem dreibeinigen Hund ... Die tragikomische Geschichte ist in flüchtigen Bleistiftzeichnungen gehalten, die die Albernheit, aber auch das tragisch unbeholfene der Figuren transportieren (avant verlag).
Julie Birmant und Clément Oubrerie widmen sich in „Pablo“ Picassos frühen Künstlerjahren. Aus der Perspektive seiner ersten Geliebten Fernande Olivier erzählen die bisher drei Bände von Picassos Kampf um Anerkennung und einen eigenen Stil. Die sehr schönen Zeichnungen von Oubrerie („Aya“) verströmen die Aura des wilden Lebens am Montmarte. Im aktuellen vierten Band „Matisse“ reisen Pablo und Fernande in die spanische Heimat des jungen Künstlers und lernen den Kollegen Matisse kennen – Picassos großen Konkurrenten. Picassos Arbeit ist zunehmend von Erfolg gekrönt, und mit dem Kubismus findet er schließlich seine Ausdrucksweise. Seine Besessenheit – die Geistesblitze wie der Wahn, aber auch der normale Alltag zwischen Saufgelage, Streitereien mit Fernande und Geldsorgen fangen die Autoren schwung- und humorvoll ein, die Bilder sind eine Augenweide (Reprodukt).
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