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Biotechnische Replikanten, die nicht nur singen, sondern auch ihre Arien selbst zusammenstellen müssen
Foto: Jens Grossmann

Wer den Zentralplan findet, zerstört das System

29. Januar 2020

Uraufführung von „Chaosmos“ in der Wuppertaler Oper – Auftritt 02/20

Eine Oper, die keine ist, Zuschauer am falschen Ort im Theater und biotechnische Replikanten, die nicht nur singen, sondern auch ihre Arien selbst zusammenstellen müssen. Leicht ist das nicht, denn Teile des Publikums bekommen anfangs mit einem Code beschriftete Klarsichtmappen, die in vier Stahlregale sortiert werden sollen. Das ist ihr Beitrag zu einem zeitgenössischen Musikwerk, das durch den NRW-Fonds Experimentelles Musiktheater (feXm) gefördert wurde und das auf der Wuppertaler Opernbühne, aber hinter dem Vorhang Premiere hatte. Auf den ersten Blick war dort von einem richtigen Chaos nichts zu spüren, wortlos wuselten die Cyborgs durch die Reihen, ordneten hier, schoben da, eine Performance in der Sortieranlage. Dann kehrte Ruhe ein, Codes wurden gerufen, einsortiert, umgepackt, die Musiker betraten ihr Gerüst, links das Blech, rechts das Holz, in der Mitte Streicher Bass und Percussion. O.k., die leere Kaffeemaschine machte stutzig. Aber Ordnung muss eben sein, auch in kleinen Dingen.

Tobias Rausch, Konrad Kästner und Marc Sinan haben sich in Wuppertal zusammengetan, um „Chaosmos“ das erste Musikwerk der neuen „NOperas!“-Reihe auf ein geöltes Transportband zu legen – Halle und Bremen werden in den kommenden Spielzeiten das Format und die Oper, die auch keine sein will übernehmen. Das Projekt ist eben auch ein Laboratorium, was Musiktheater im 21. Jahrhundert sein kann. Eins kann man sofort sagen, langweilig ist es nicht, vielleicht gewöhnungsbedürftig, aber musikalisch und visuell ein Highlight. Das liegt natürlich auch an den Kompositionen und der ziemlich dystopischen Thematik, die Tobias Rausch da verarbeitet und wohl auch mit einigen Filmzitaten strukturiert hat.

Drei Paketrutschen, ein Gabelstapler und ein paar hundert Pakete bilden die Welt der Logistik-Oper über das zwanghafte Errichten und Zerstören von Ordnung, ohne überhaupt zu wissen, was das Wesen des stereotypen Aktionismus ist. Das vertonte Universum zum Paketzentrum liefern die fein verästelten Kompositionen von Marc Sinan (live dabei mit E-Gitarre und Sequenzer), denen Mitglieder des Wuppertaler Sinfonieorchesters und Sänger Leben einhauchen und die mit Gesangs- und Tonkaskaden ein Fluidum zu einem Gesamtkunstwerk verweben.

Konrad Kästner führt nicht nur Regie, sondern hat auch erklärende, zum Teil beklemmend-witzige Videoprojektionen erarbeitet, die die Tiefe der universellen Ordnung ausloten wollen: Da verwandeln sich florale Illustrationen des Naturforschers Carl von Linné (1707-1778) in erotische Clips, da muss der Bock zeigen, was er drauf hat und da wird auch schon mal den geilen Pflanzen unter das Röckchen geschaut. Da thematisiert Kästner die kolonialen schnurgeraden Grenzziehungen in Afrika als falsche Ordnung und der Zuschauer lernt die Erfindung des Hochseecontainers durch den Unternehmer Malcom P. McLean mit dem Vietnamkrieg zu verbinden. Generiert werden die Geschichten durch das Zwillingspaar Jay und Joe, die das Paketwesen in Bewegung halten, aber irgendwann die richtige Frage stellen: What for?, und sich auf die Suche nach dem nicht vorhandenen Ausgang der Pakete machen, einige aufreißen, darin nicht nur die Geschichten, sondern auch einen plüschigen Triffid und zwei Roboter finden. Wenn dann das Chaos perfekt ist und auch die Regale fallen, taucht der zentrale Computer (V.I.K.I.?) nebst Fluchtweg auf. Die beiden sind weg, die Cyborgs räumen auf und Johann Sebastian Bach bringt wieder strukturelle Ordnung zurück. Ein interessanter Abend.

Noperas!: Chaosmos | R: Konrad Kästner | Sa 8.2. 19.30 Uhr | Oper Wuppertal | 0202 56 37 66 6

PETER ORTMANN

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