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Martin Andersson
Foto: Karin M. Klossek

„Es gibt nicht die eine Arie, die jeder kennt“

26. September 2023

Martin Andersson über seine „Tristan und Isolde“-Inszenierung an der Oper Wuppertal – Premiere 10/23

Richard Wagners „Tristan und Isolde“ gilt als außergewöhnlich leidenschaftliche Oper und als höchste Bewährungsprobe. Die Oper Wuppertal empfiehlt ihre Aufführung Menschen, die „sich gerne tiefen Gefühlen hingeben, großbesetzte Orchesterklänge lieben, Mittelalter-Geschichten mögen“. Ein Gespräch über Lebensziele, große und kleine Bühnengesten und die Herausforderung, das heutige Publikum zu erreichen.

engels: Herr Anderson, selbst unerfüllte Liebe ist besser als Krieg. Könnte das eine „Tristan und Isolde“-Botschaft fürs 21. Jahrhundert sein?

Martin Andersson: Ich denke, ein Lebensziel, einen Lebensinhalt zu haben, und das kann die Liebe sein, ist die stärkste Antriebskraft, die wir Menschen haben. Tristan führt ja ein ziemlich gewalttätiges Leben im Stück. Im Tristan-Drama von Gottfried von Straßburg, das er um 1210 schrieb, wird Tristan als künstlerisch begabter Mann dargestellt. Er kann Harfe spielen und Gedichte rezitieren und kämpfen muss er halt auch – das ist so. Aber er ist nicht als Kämpfer geboren.

Wie geht man als Regisseur an so einen Operngiganten heran?

Wichtig ist, welche Wirkung die Geschichte auf mich hat. Ich lese die Handlung, höre die Musik und beides weckt ganz viele Assoziationen. Die bringe ich dann in eine Ordnung. Darauf basierend entwickle ich ein Gesamtkonzept.

Ein Lebensziel zu haben, ist die stärkste Antriebskraft“

Inwieweit beeinflusst die Musik die Visualisierung?

Schon sehr stark, natürlich, zum Beispiel dievielen chromatischen Übergänge. Das Besondere an dieser Musik ist, es ist alles ein großer Fluss und es gibt nicht die eine Arie, die jeder kennt. „Tristanund Isolde“ ist ein zusammenhängendes Werk, aufgeteilt in drei Akte, die alle über eine Stunde dauern. Es transformiert immer von einem zum anderen, es gibt selten Brüche. Auf der Bühne werden wir auch mit Licht und Videos diesen konstanten Fluss gestalten.

Und die Choreografien in den drei Akten? Man muss die Sängerinnen und Sänger ja auch in Bewegung bringen.

Auchwenn sie mal auf der Bühne stehen, ohne sich dabei groß zu bewegen, dann haben Sängerinnen und Sänger eine ganz besondere Körperspannung. Die Handlung dieser Oper bezieht sich stark auf das Innenleben. Vieles von dem, was gesungen wird, bezieht sich auf Dinge, die geschehen sind oder geschehen werden: Jemand wird getötet, jemand verliebt sich, jemand wird betrogen. Und da stellt sich immer die Frage, was macht das mit den jeweiligen Personen. Ich arbeite mit den folgenden drei Gs: 1. das Gefühl, 2. die Geschichte und 3. die Gestaltung. Das beschreibt die Hierarchie meiner Vorgehensweise.

Die Handlung bezieht sich stark auf das Innenleben“

Und die Funktion von Video auf der Opernbühne in Wuppertal?

Das Interessante ist ja, dass Wagner aus dem gesamten Tristan und Isolde-Mythos, einer ziemlich langen Geschichte, nur drei Tage erzählt. Wir zeigen mit den Videos insbesondere die Vorgeschichte, aber auch Szenen, die chronologisch zwischen den Akten einzuordnen sind, und auf die im Gesang Bezug genommen wird. Die Funktion der Videos ist hier in erster Linie narrativ.

Wie groß muss das schauspielerische Talent der Sängerinnen und Sänger sein?

Es muss vor allen Dingen eine Bereitschaft da sein, sich auf etwas einzulassen. Wichtig ist, dass man lernt, dass auch in einem großen Theater kleine Gesten sichtbar sind. Ich versuche auch den Solisten mitzugeben: Es muss nicht alles so groß sein. Wenn ich große Gesten darstelle, dann bewege ich mich in einem Bereich des Künstlichen, des Artifiziellen. Ich inszeniere so, dass ich den Sängerinnen und Sänger weniger sage, was sie tun sollen, sondern was sie dabei fühlen und dann mache ich ein Angebot. Oft sehen die Sängerinnen und Sänger andere Gefühlsebenen, das ist dann etwas, was die Rolle persönlich macht. Für Sänger ist das allerdings manchmal verunsichernd. Es braucht eine Bereitschaft, dass die Grenze zwischen der Figur und der Persönlichkeit ein bisschen verschwimmt. Klar, nach der Vorstellung legt man das Kostüm ab und der Tristan bleibt in der Oper, aber die eine oder andere kleine Geste könnte man bei dem Sänger oder der Sängerin auch im Privaten erleben.

Es gibt nicht viele Menschen, die dieses Werk überhaupt singen können“

Sind dieses Mal besonders viele Gäste dabei oder ist das normal?

Es gibt nicht viele Menschen, die dieses Werk überhaupt singen können. Innerhalb des Opernfachs ist das eine der höchsten Ligen, die man erreichen kann.

Wagner hat ja mit „Tristan und Isolde“ keine Nummernoper komponiert. Kommt die Hermeneutik der Musik beim Publikum überhaupt an?

Ich betrachte die Oper aus einer heutigen Perspektive, frage in vielen Punkten wo diese Mythologie noch einen aktuellen Bezug hat. Und es ist wichtig, zu überlegen, welche formalen Gegebenheiten die Zuschauer unserer Zeit vielleicht nicht mehr gewohnt sind. Die Medien, die heute konsumiert werden, sind Filme und Musik, das sind die zwei dominanten Kunstformen in der breiten Bevölkerung. Ich analysiere, wie ähnliche Geschichten im Film dargestellt werden und wie man damit umgeht, dass Dinge langsam erzählt werden. Ich versuche die Geschichte für ein heutiges Publikum zu erzählen, versuche die Leute anzusprechen und in eine Stimmung zu bringen, so dass die Langsamkeit oder das Getragene keine Nervosität erzeugt, sondern eine Ruhe ausstrahlt. Ich möchte, dass die Leute sich hinsetzen und eintauchen, zum Teil der Geschichtewerden.

Ich versuche die Geschichte für ein heutiges Publikum zu erzählen“

Im Klappentext steht, das könnte Menschen ab 16 Jahren gefallen. Wie kommt man denn darauf?

Das glaube ich schon. Ab dem Moment an, wo man sich für die Liebe als solche zu interessieren beginnt, ist das ein relevantes Stück. Man muss nur bereit sein, sich auf diese Reise zu begeben und bereit sein für diese Ruhe, das langsame Erzähltempo.

Tristan und Isolde | So 22.10. 16 Uhr (P) | Oper Wuppertal | 0202 563 76 66

Interview: Peter Ortmann

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