Manuel Schmitt bringt zwei Musikkompositionen des frühen 20. Jahrhunderts an einem Abend auf die Bühne: Arnold Schönbergs Monodram „Erwartung“ und Ethel Smyths Musikdrama „Der Wald“.
engels: Herr Schmitt, was ist denn heute das typische Publikum für ein Arnold Schönberg-Monodram in einem Akt?
Manuel Schmitt: Da bin ich auch mal sehr gespannt. Ich fürchte, dass es für ein Arnold Schönberg-Monodram überhaupt kein typisches Publikum gibt, sondern dass es lediglich das Interesse von Neugierigen wecken kann, die sich von etwas Neuem überraschen lassen möchten. Das Stück wird ja so selten gespielt, selbst Opernliebhaber werden es kaum kennen. Aber sie können sich auf einen spannenden und intensiven Monolog freuen.
Passt das Stück zum Wuppertaler Publikum?
Wuppertal hat ein sehr aufgeschlossenes und experimentierfreudiges Publikum, was vielleicht u.a. auch durch die langjährige Auseinandersetzung mit Arbeiten von Pina Bausch hier gewachsen ist. Deshalb bin ich auch optimistisch, dass der Abend in Wuppertal an einem guten Platz ist und das man hier, was solche Stücke angeht, mehr riskieren kann, als vielleicht an anderen Häusern.
Wie viel muss man vom musikalischen Expressionismus für eine Inszenierung verstehen?
Ich beschäftigte mich vor den Proben intensiv sowohl mit dem Stück, als auch mit dem Komponisten, der Entstehungszeit und der Entstehungsgeschichte des Werkes. Wie viel man dann davon im Endergebnis sieht, sei mal dahin gestellt. Aber wenn ich eine seriöse, gute Probe abhalten möchte und mit der Darstellerin auf Augenhöhe über Musik, Interpretation und Gestaltung, über Psychologie, über Ausdruck der Figur etc. sprechen möchte, dann muss man das Stück inhaltlich und musikalisch sehr genau durchdrungen haben. Schönberg hat sich beim Komponieren sehr stark am Text orientiert. Es ist auffällig, dass fast alle musikalische Anweisungen, die Tempoangaben und Dynamiken inhaltlich begründet sind. Wenn in der Partitur „bewegter“ oder „etwas zurückhaltend“ steht, dann meint das auch die Psychologie der Figur. Es ist eigentlich ein vertontes Schauspiel.
Beide Musikstücke spielen mit den Mythen des Waldes, muss der sich für die Stücke auf der Bühne verändern?
Beide Stücke spielen mit dem Mythos, das stimmt. Aber in beiden Stücken ist der Wald auch ein symbolischer Ort – und wenn man sich das genau anschaut, nicht einmal mehr primärer Spielort. Zwar durchquert die Frau in „Erwartung“ einen Wald, aber die Hauptszene, die Entdeckung der Leiche, findet dann an einer Straße am Waldrand statt. So ist es auch bei „Der Wald“ von Ethel Smyth. Es ist an der Grenze zum Wald, zu dem dunklen, gefährlichen Ort. Identisch ist in beiden Stücken auch, dass der Wald bedeutungsvoll aufgeladen ist. Wir befinden uns am Beginn des 20. Jahrhunderts, es geht nicht mehr um den romantischen Naturort, sondern um dem Wald als Abbild der Psyche. Es geht vielmehr um seelische Zustände, um Angstzustände, und da ist der Wald eher eine Herausforderung für die Figuren, sich in dunkle Bereiche ihre Psyche oder ihrer Seele vorzuwagen.
Wie transportiert man in einer musikalischen Inszenierung die Noten ins Visuelle?
Während ich im Schauspiel eine Partitur mit den Schauspielern erarbeite, indem ich über Tempo, Lautstärken und Emotionen Entscheidungen treffe, die ja meist aus dem Text nicht ablesbar sind, ist es in der Oper umgekehrt. Gerade bei einem so fremden Werk wie „Der Wald“ von Ethel Smyth versuche ich, das bereits komponierte Konstrukt zu verstehen. Das sollte dann logisch in eine Bebilderung zurückgeführt werden, die dieser Musik gerecht wird. Und so arbeitet man sich mit Fragen der Situation und Emotion von Takt zu Takt.
Ist der erste Teil von Schönberg eher statisch? Ist bei Smyth wegen des Chors mehr Bewegung auf der Bühne?
Nein, Hanna Naujoks spielt sehr intensive 30 Minuten, nimmt den Raum, durch den sie sich bewegt, auch ziemlich actionreich auseinander. Mit „Der Wald“ geht der Abend schon fast in Wagnersche Dimensionen über, mit großem Chor und Extrachor, mit sechs Solisten. Das ist der ganz große stilistische und optische Unterschied zwischen den beiden Werken. Der intime Monolog von „Erwartung“ steht im starken Kontrast zur großen Oper „Der Wald“.
Beide Werke tangieren auch Geschlechterfragen?
Ja. Das ist sehr typisch für die Zeit der Entstehung. Die Rolle der Frau rückt um 1900 stark in den Fokus. Mit Salome, mit Lulu, mit Elektra oder Turandot ist immer die Frau im Zentrum der Oper, und darauf werden wir uns in der Inszenierung auch fokussieren. „Der Wald“ wurde ja auch von einer Frau komponiert, was damals noch sehr selten vorkam. Bei Schönberg ist der Fokus noch deutlicher auf die Rolle der Frau gerichtet, da es nur eine einzige Frau auf der Bühne gibt.
Haben sich die schauspielerischen Qualitäten der Sänger:innen im vergangenen Jahrhundert verändert?
Ich weiß es nicht, da ich bei der Uraufführung nicht dabei war. Man weiß aber, dass Schönberg sehr daran interessiert war, dieses Monodram szenisch umgesetzt zu wissen. Er wünscht sich für diese 30 Minuten Monolog alleine schon vier Bühnenbilder. Etwa jeder dritte Takt der Partitur ist mit einer Szenenanweisung versehen. Er fordert die Sängerin geradezu auf intensiv zu agieren, denn Schönberg hatte Angst, dass eine Aufführung zu statisch werden könnte.
Erwartung / Der Wald | 7. (P), 28.4., 4., 10., 18.5. | Oper Wuppertal | 0202 563 76 66
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